Süddeutsche Zeitung

Funkloch:Grafing-Bahnhof ist die Endstation des Internets

Lesezeit: 2 min

E-Mails checken, Filme streamen, Wetterbericht prüfen? Nichts davon funktioniert hier. Das lässt den modernen Menschen schier verzweifeln.

Glosse von Clara Lipkowski, Grafing

Pünktlich zur Einfahrt in Grafing- Bahnhof ist das Internet weg. Egal, ob man aus München kommt oder nach München fährt, die Anzeige auf dem Handydisplay schaltet von den zuverlässigen, schnellen "4G" auf das Unheil verheißende "E".

E steht für "Edge", die derzeit zweitschwächste Internetverbindung, bedeutet aber eigentlich Endstation, Ende Gelände oder Es ist zum Verzweifeln! Denn einmal eingefahren in Grafing-Bahnhof ist es vorbei mit dem Videostreamen, E-Mail-Checken und Co. Als geübter Smartphonenutzer macht man das ja alles gleichzeitig und in mehreren Fenstern, die man auf dem Display hin und her wischt.

Aber in Grafing-Bahnhof kommt das hektische Treiben im Internet regelmäßig zum Stillstand, nichts lädt mehr. Das Aktualisierungsrädchen dreht und dreht sich vor dem Kino-Trailer, der ausgerechnet im spannendesten Moment eingefroren ist. Das Rädchen rotiert auch im E-Mail-Posteingang, als verhöhne es den Internetabhängigen. Sieh zu, wie du klar kommst, sagt es, und dreht weiter seine Runden.

So schön Grafing-Bahnhof ja sein mag, - ausgerechnet an diesem internetverlassenen Ort hält die S-Bahn planmäßig etwas länger. Was machen bloß die Verlorenen, die hier mal ihre Bahn verpassen und 20 Minuten ohne Zugang zur virtuellen Zivilisation am Bahnhof ihre Existenz bestreiten müssen?

Die aufgerufene Internetseite ist jetzt vollkommen am Ende

Die Krux an so einem Spontanausfall des Internets ist ja: Genau dann fällt einem ein, was man noch alles "mal kurz googeln" wollte, das Wetter am nächsten Tag, irgendein belangloses Wort auf Englisch, die Tipps fürs Wochenende, aber nein, geht nicht, das Internet ist aus.

Natürlich ist das Internet nie aus. Aber so ganz ohne Funktionen ist das Smartphone alles andere als smart. Die aufgerufene Internetseite ist jetzt vollkommen am Ende, "Sie sind offline", steht da und: "Überprüfen Sie Ihre Internetverbindung." Da ist er wieder, der Hohn, danke auch.

In der S-Bahn sitzend lässt man das Handy resigniert auf den Schoß sinken, schaut aus dem Fenster oder blättert unkonzentriert in einem Buch. Denn eigentlich ist man in Gedanken woanders, man fühlt sich so seltsam abgehängt, nicht voll funktionsfähig, er läuft einfach weiter, der digitale Fortschritt, aber man läuft jetzt nicht mehr mit.

Zum Glück setzt sich jetzt die S-Bahn wieder in Bewegung. Die Erlösung naht. Ein paar Hundert Meter hinter Grafing-Bahnhof ist das Rädchen plötzlich verschwunden und die Anzeige sogar auf "4G+" gesprungen!

Spätestens dann merkt man, dass die erhoffte Mail noch nicht eingegangen ist und man eigentlich schon wusste, wie der Trailer endet. Aber das ist egal, es geht hier - schon mal etwas von dem hübschen Wort Breitbandausbau gehört? - ums digitale Prinzip.

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Quelle:
SZ vom 29.08.2018
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