Süddeutsche Zeitung

Rhythmik für Senioren:Aktiv altern

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Zum ersten Mal veranstalten VHS und Musikschule in Vaterstetten am Samstag einen Tag, bei dem sich alles um das Älterwerden dreht. Das Angebot ist reichhaltig - von Musik, Tanz und Sport über Technik und Ahnenforschung bis hin zu Vorsorgevollmachten und Trainingsapps

Interview von Johanna Feckl, Vaterstetten

Am Samstag veranstaltet die Volkshochschule in Vaterstetten mit der Musikschule den Aktionstag "Alter(n)". Beide Einrichtungen haben dafür ein buntes Programm auf die Beine gestellt: Vorträge und Präsentationen, Aussteller und Shows, Live-Musik und Mitmachaktionen, wie Yoga oder Gymnastik, erwarten die Besucher. Erika Mzyk von der Musikschule wird einige Kurse mit musikalischen Einlagen leiten. Sie ist ausgebildete Musikgeragogin, das heißt, sie beschäftigt sich mit der musikalischen Bildung alter Menschen und fördert deren Fähigkeiten mit Hilfe von Musik. Im Interview mit der SZ berichtet sie vor dem Aktionstag darüber, was Musik bei Senioren bewirken kann.

SZ: Frau Mzyk, bei dem Aktionstag leiten Sie eine Veranstaltung mit dem Titel "Rhythmikangebote mit Bewegung zur Sturzprophylaxe". Wie kann denn Rhythmik vor Stürzen bewahren?

Erika Mzyk: Rhythmik ist eine ganzheitliche Methode, dort gehen Musik, Sprache und Bewegung Hand in Hand. Das heißt, dass durch Rhythmikübungen zum Beispiel das Gehen geübt wird. Das hilft vor allem Senioren, die noch nicht auf einen Rollstuhl angewiesen sind: Es gibt Studien, die belegen, dass es einen positiven Effekt hat, wenn man regelmäßig Rhythmikübungen macht. Und gleichzeitig trainiert man das Reaktionsvermögen und die Flexibilität: Wenn etwa die Musik den Takt wechselt, dann muss man sich auf einmal anders bewegen. Das möchte ich am Aktionstag exemplarisch mit einer Gruppe machen.

Wie sieht das genau aus?

Ich improvisiere am Klavier und die Teilnehmer bekommen Aufgaben: "Bewegen Sie sich frei zur Musik - und wenn die Musik stoppt, bleiben Sie stehen", "Klatschen Sie beim Gehen zum Schwerpunkt der Musik", "Gehen Sie geradeaus, wenn die Musik einstimmig ist" oder "Gehen Sie in Kurven, wenn die Musik zweistimmig ist".

Einstimmig heißt, dass Sie mit einer Hand am Klavier spielen?

Ja, genau.

Mal allgemeiner gesprochen: Was möchte die Musikschule durch die Unterstützung des Aktionstags erreichen?

Wir möchten damit zum Überlegen anregen, welche Konzepte gebraucht werden, um unserer alternden Gesellschaft das Leben zu bereichern. Wie kann man Senioren sozial einbinden? Wie kann man ihnen eine Freude bereiten? Die Musikgeragogik kann sehr viel dazu beitragen: Das soziale Kriterium ist erfüllt, weil es meistens in der Gruppe stattfindet - es ist ein Gemeinschaftserlebnis. Und die Senioren freuen sich, weil sie Wertschätzung erfahren.

Inwiefern werden sie wertgeschätzt?

Viele ältere Frauen zum Beispiel waren früher in Chören aktiv. Wenn ich die nach dem Text bestimmter Lieder frage, dann ist der sofort parat. Allein indem ich sie danach frage, zeige ich ihnen, dass es jemanden interessiert, was sie wissen. Dadurch fühlen sie sich wertgeschätzt. Für sie bedeutet das ein Erfolgserlebnis und darüber freuen sie sich dann natürlich.

Das soziale Element spielt also bei der Musikgeragogik eine tragende Rolle?

Ja. Musik schafft es, Berührungsängste mit Menschen abzubauen, aber auch mit Situationen, die einem fremd sind. Es ist auch nach so vielen Jahren immer wieder erstaunlich für mich, was Musik bei älteren Menschen alles hervorlocken kann - vor allem im Kontakt mit Kindern.

Fällt Ihnen ein Beispiel ein?

Ich erinnere mich an eine Unterrichtsstunde mit Kindern und Senioren. Die Kinder sollten aufstehen und sich im Raum bewegen - und auf einmal stand auch eine 90-jährige Frau von ihrem Rollator auf und bewegte sich mit den Kindern. Im ersten Moment habe ich einen Schreck bekommen, weil sie wirklich sehr gebrechlich war. Aber dann kam schon eine Betreuerin und hat der Dame geholfen. Nach zwei Minuten war sie schön völlig erschöpft und setzte sich wieder. Aber ich hatte den Eindruck, dass sie das gar nicht gemerkt hat. Sie hat sich von den Kindern mitreißen lassen, hatte Spaß und lachte viel.

In der Musikgeragogik geht es auch darum, dass ältere Menschen mit Musik neue Dinge erfahren. Können Sie das genauer erklären?

Senioren soll durch Musik ermöglicht werden, aktiv und kreativ zu sein. Vor allem der kreative Aspekt ist für viele aus der Kriegsgeneration ungewohnt: Sich Zeit zu nehmen um kreativ zu sein und zu experimentieren, einfach weil es schön ist, das gab es oft nicht - alles war über Arbeit und Leistung definiert.

Es gibt aber Menschen, deren Rhythmusgefühl sie schon beim Versuch verlässt, mit dem Kopf im Takt mitzunicken, und die bei dem Namen "Jim Morrison" an ein neues Jeanslabel denken. Kurz: Menschen, die mit keiner Faser ihres Körpers einen Bezug zu Musik haben. Funktioniert Musikgeragogik dann trotzdem?

Ein Gefühl für Musik und Rhythmik ist in jedem Menschen angelegt. Es gibt sicherlich einige, die darin sehr ungeübt sind. Aber ich glaube, dass dieses Gespür nur verschüttet ist. Durch die körperliche Erfahrung, also wenn man den Rhythmus beispielsweise geht, dann funktioniert es besser, den Takt zu erkennen. Vor allem für Ungeübte ist es deshalb wichtig, den Rhythmus mit dem ganzen Körper zu spüren - nur im Kopf funktioniert das nicht. Aber ich habe Kinder und auch Senioren, die brauchen ziemlich lange dafür. Das ist sehr unterschiedlich.

Sie sagen damit aber auch: Jeder kann Rhythmik lernen. Manchmal muss man eben nur ein wenig mehr Durchhaltevermögen mitbringen.

Ja, auf jeden Fall.

Neben der Musikgeragogik arbeiten Sie auch in der musikalischen Früherziehung. Oft kombinieren sie auch beides. Am Aktionstag zum Beispiel bieten Sie ein offenes Singen für Jung und Alt an. Unterscheidet sich ihre Arbeit, je nach dem in welchem Alter ihre Schüler sind?

Kinder beteiligen sich anders, die brauchen keine große Aufforderung. Senioren hingegen muss ich stärker animieren. Ich muss mir überlegen, wie ich ihnen das musikalische Angebot verkaufe, damit sie es nicht als "Spinnerei" abtun. Es ist alles etwas passiver. Musikalisch gebildete Senioren versuche ich aber immer entsprechend einzubinden. Es gibt zum Beispiel diesen Mann, der früher viel Zither gespielt hat. In meinen Stunden bekommt er mit seinem Instrument meistens eine tragende Rolle. Klar ist er nicht mehr so treffsicher mit den Saiten. Aber er hat Freude und ist stolz darauf, aktiv dabei zu sein. Solche Rollen muss ich als Gruppenleiterin bei Senioren suchen - bei den Kindern ist das nicht so.

Das klingt, als ob Sie in ihren Stunden immer sehr flexibel handeln müssen, oder?

Ja, das stimmt. Ich muss mir immer im Vorhinein auch den Schritt zurück überlegen, wenn etwas nicht funktioniert. Das heißt, dass ich Alternativen parat haben muss. Und ich muss mir natürlich vorab über Dinge Gedanken machen, wie: Wann brauche ich beide Hände frei? Oder wann muss ich den Leuten gut zugewandt sein, weil sie mich verstehen müssen? Dann kann ich nicht hinter dem Klavier sitzen bleiben, sondern muss zum Beispiel die Ukulele nehmen, damit ich nah bei den Senioren sein kann.

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Quelle:
SZ vom 22.03.2019
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