Süddeutsche Zeitung

Wirtshaus in Poing:"Unsere Gesundheit ist uns wichtiger"

Lesezeit: 5 min

Seit 2013 betreiben Andreas Otten und Diana Terlicher das Lokal "Zum Andal" in Poing. Nun ist Schluss damit - Corona hat sämtliche Pläne durchkreuzt.

Von Johanna Feckl, Poing

Andi Otten sitzt am Tisch neben der Bar. Seit 2013 ist der Raum um ihn herum das Reich von ihm und seiner Freundin Diana Terlicher, das Lokal "Zum Andal". Nebenan ist noch ein Raum, zum "Andal" gehört der aber erst seit Beginn des Jahres. Dort steht eine Bühne für Livemusik und Kleinkunst, aber auch für private Feiern wird der Raum genutzt. "Das Thema ist durch", sagt der 38-Jährige nun. Das To-Go-Geschäft im November werden sie noch mitnehmen. Von Dezember an war's das dann aber: Die Türen vom "Zum Andal" werden ein für allemal geschlossen.

Die Corona-Krise hat ihre Spuren hinterlassen. So sehr, dass Andi Otten und Diana Terlicher keine sinnvolle Möglichkeit mehr sehen, in der bisherigen Form ihren Gastro- und Kulturbetrieb weiter zu führen. Der Entschluss steht, wie Otten versichert. "Da gibt es kein Zurück mehr."

Das Telefon an der Bar klingelt. "Servus, der Andi hier, was kann ich für dich tun?", sagt Andi Otten. Er lacht. "Zwei Schnitzel, alles klar, Herbie. Kommst einfach vorbei und trinkst eine Halbe, bis dahin ist's fertig - Tschau derweil!" Otten legt auf und setzt sich zurück an den Tisch. "Der Herbie ist Stammgast, der kommt oft zu uns."

Eigentlich würde man erwarten, dass die Stimmung des Gastro-Paars nicht unbedingt die beste ist. Wer sieben Jahre lang beinahe täglich hinter der Bar stand, gekocht und Gäste bedient hat - sich mit Energie und Hingabe ein funktionierendes und beliebtes Lokal aufgebaut hat, für den muss doch gleichzeitig mit der Entscheidung, den Laden für immer zu schließen, eine Welt zusammengebrochen sein. Oder? Die Vermutung bestätigt sich nicht wirklich, wenn man Otten und Terlicher zuhört. Und auch nicht, wenn man in ihre Gesichter blickt: Es ist Erleichterung, die dort zu erkennen ist.

"Für mich ist ganz klar, dass eine Tür zu geht und gleichzeitig eine andere aufgeht", sagt Andi Otten. Schon im Frühjahr, als Restaurants in Bayern wegen der Corona-Pandemie für acht Wochen komplett schließen mussten, begannen die ersten Gedanken darum zu kreisen, ob sie sich nicht umorientieren sollten. Klar gab es finanzielle Hilfe vom Staat. "Aber wenn man das mit unseren Fixkosten vergleicht, dann sind die Hilfen mit einem Knopfdruck weg", so Otten.

Dem 38-Jährigen und seiner Freundin war es wichtig, keine großen und langfristigen Kredite aufzunehmen - ein solcher Schritt könne auch nach hinten losgehen. Also blieben den beiden nur die Soforthilfen, die Kulanz ihres Vermieters und das To-Go-Geschäft ihres Lokals. "Unsere Stammgäste haben uns da schon echt toll unterstützt", sagt Otten. "Die haben zum Teil dreimal in der Woche bei uns Essen geholt." Trotzdem wurde der Gürtel immer enger.

Otten kommentiert das mit einem Schulterzucken. "Dann muss man seinen Standard eben runterschrauben", sagt er. Sie haben ihren Zweitwagen verkauft - alles nicht so schlimm, dann haben sie halt nur noch ein Auto, so der Gastronom. Von den ehemals zehn Aushilfskräften, die Otten und Terlicher beim laufenden Betrieb unterstützten, konnten nach der Wiedereröffnung Mitte Mai nur noch zwei bleiben. "Wir mussten zurückrudern und unser Arbeitspensum war wieder so wie in den ersten Jahren, als wir das Geschäft aufgebaut haben", erklärt Otten.

Das hat die beiden Gastronomen zum Nachdenken gebracht. Ist es das jetzt? Wieder zurück in die Vergangenheit und nur noch für das Geschäft da sein? Viele Leute würden nicht sehen, wie sehr man als Gastronom mit seinem Geschäft verbunden ist. Immer gute Stimmung verbreiten, immer arbeiten, wenn andere frei haben. Größere Urlaube funktionieren nicht - "das ist halt viel mehr als ein bisschen mit den Leuten ratschen, mal Essen kochen und ein paar Getränke einschenken", sagt Otten. Und dann auch noch die Corona-bedingte Unsicherheit. Die Situation habe beiden psychisch und auch körperlich zugesetzt. "Die Kraft lässt einfach irgendwann nach", so der 38-Jährige weiter.

Diana Terlicher kommt aus der Küche, die zwei Schnitzel sind fertig, und setzt sich mit an den Tisch. "Es war ein schreckliches Arbeiten." Die 44-Jährige erzählt, wie sie den Sommer, als zumindest das Lokal weitestgehend normal geöffnet war, erlebt hat. Ständig habe es Diskussionen gegeben. Manche Gäste wollten sich nicht in die Listen zur Kontaktnachverfolgung eintragen. "Da hab ich mich gestern erst eingetragen" oder "So ein Quatsch" habe es zum Beispiel geheißen. Andere Gäste hätten ihre Mund-Nase-Bedeckung bei Verlassen des Tisches eher nach eigenem Gutdünken getragen. Abends hätten dann einige Gäste das Lokal nicht verlassen wollen, so Terlicher. Je mehr Alkohol zuvor geflossen ist, desto schwieriger war es, sie zum Gehen zu bewegen.

Nicht alle hätten sich so verhalten, betont Otten. Bei den meisten habe alles wunderbar funktioniert. Aber die Masse sei gar nicht notwendig. "In dem Moment, in dem auch nur Einer ohne Maske von seinem Tisch aufsteht und das der Falsche sieht, dann haben wir ein Problem", sagt der 38-Jährige. "Wir sind dazu verpflichtet, die richtigen Daten von unseren Gästen einzuholen", ergänzt Terlicher. "Aber wie sollen wir das bei jedem kontrollieren?" Eigentlich bräuchte es einen extra Angestellten, der sich um solche Dinge kümmert. Eine utopische Vorstellung, wenn das Geld ohnehin schon hinten und vorne nicht ausreicht. Es war ein Arbeiten in ständiger Angst, dass Regeln nicht eingehalten werden und Konsequenzen drohen. Und in Sorge davor, was ihnen noch alle bevorsteht, sollten die Fallzahlen von Corona-Infizierten wieder ansteigen.

Und das ist jetzt passiert. Seit November gibt es beim "Andal" nun wieder ausschließlich Essen zum Mitnehmen. Die Gäste warten vor dem Lokal, eine Glocke steht dort parat, mit der sich Gäste vor Otten und Terlicher drinnen bemerkbar machen. Der sogenannte "Lockdown light" sei es gewesen, der die beiden endgültig zu dem Entschluss führte, aufzuhören. Das Wort "unfair" fällt, als Terlicher weiterspricht. Warum mussten sie zusperren, obwohl sie einen kontrollierbaren Bereich haben, und andere nicht? Sie erzählt von einem Besuch in einem Möbelhaus einige Tage zuvor. Für Gastro-Leute und Veranstalter, wie sie es sind, sei das dort wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. So viele Menschen, niemand, der Abstände kontrolliert. Sie habe das Geschäft wieder verlassen müssen. Zu sehr habe sie das, was sie dort gesehen hat, belastet.

Aber: "Wir wollen nicht jammern oder jemandem die Schuld geben, das bringt ja auch niemanden weiter", sagt Otten. Ja, sie beide hätten sich sehr auf das Jahr gefreut. Im vergangenen Jahr hat Otten sein Angestelltenverhältnis aufgegeben, um mit Terlicher Vollzeit das Lokal zu betreiben und nebenan die Kleinkunstbühne aufzubauen. Sie hatten ein Konzept und Pläne. "Wir haben uns ganz klar für das hier alles entschieden, da steckt unser Herzblut drin", sagt Otten. Trotz allem: "Unsere Gesundheit ist uns wichtiger" - dieser Stellenwert sei mit der aktuellen Situation nicht vereinbar, so der 38-Jährige weiter. Daran trage niemand Schuld. "Ich möchte definitiv nicht mit einem Politiker von einer Größe wie Ministerpräsident Söder tauschen und im Zweifel mit dafür verantwortlich sein, wenn es Tausende Tote gibt, nur weil man nichts getan hat."

Draußen vor der Lokaltüre klingelt die Glocke. Es ist Herbie, der Stammgast, der zuvor am Telefon zwei Schnitzel bestellt hat. Herbert Mayr, wie er richtig heißt, war es, der Otten in seinen neuen Job vermittelt hat. Seit Oktober arbeitet der 38-Jährige bereits beim MVZ-Labor in Poing im Bereich Bürokommunikation. "Da hatte ich echt Glück", sagt Otten. Ach so, und das noch: Er werde weiterhin Veranstaltungen machen. In Poing. Nur eben nicht mehr in seinen eigenen Räumen. "Das ist ein Versprechen an alle Künstler und Gäste."

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Quelle:
SZ vom 23.11.2020
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