Süddeutsche Zeitung

Schmuckstück in Pliening:Ein Haus wie eine Kollektion

Lesezeit: 4 min

Das Hannes-Roether-Atelier zeigt viele Parallelen zu der Kunst des Modedesigners, vor allem in Puncto Nachhaltigkeit. Ein Besuch beim einzigen Architektouren-Haus im Landkreis Ebersberg.

Von Johannes Korsche

Oben im Dachgeschoss des Hannes-Roether-Ateliers in Pliening kommt vieles zusammen, was dieses Haus so besonders macht. Auf den Tischen und am Boden liegen überall Stoffe, Fotos von Models in feinen Schnitten, an der Wand hängt eine Dartscheibe, schräg gegenüber steht ein übermannsgroßer, bordeauxroter Tank, der nun als Kaffeebar dient. Roether ist Modedesigner, das Haus an der Erdinger Straße sein Atelier, Showroom und Vertriebsbüro in einem. Wenige Schritte weiter betritt man eine großzügige Loggia mit Blick ins grüne Voralpenland. Ein Stahlträger ragt zum Vorplatz hinaus, an ihm hängt ein elektrischer Kran, der schwere Kisten mit Stoffen mühelos ins Atelier hieven kann. Der Kran ist - wie so vieles im Haus - noch vom Vorbesitzer: Früher destillierte eine Brennerei-Genossenschaft hier Schnaps, heute ist das Haus "wie eine Kollektion", sagt Hannes Roether. Wie eine seiner Kollektionen.

Roether entwirft Herrenmode, seine Frau Nicky Wendt die Frauenkollektion. 350 Stores beliefern sie weltweit. In Japan, den USA, der Schweiz - und natürlich auch in Deutschland, wo die Shirts, Pullis, Jacken, Hosen und Schuhe nicht nur in den eigenen Läden in München und Düsseldorf hängen, sondern zum Beispiel auch bei Manufactum. Wobei das, was aktuell verkauft wird, für Roether bereits ferne Vergangenheit ist. Im großzügigen Showroom im Erdgeschoss hängt die Sommerkollektion 2022, oben im Dachgeschoss entwirft Roether schon die darauffolgende Winterkollektion. Seit 17 Jahren will der Modedesigner "ehrliche" Kleidung schaffen, wie er es bezeichnet. Hochwertige Stoffe und Verarbeitung, vom Stil "lässig, aber nicht nachlässig", alles preislich gehobenes Understatement. "Jede Kollektion ist sehr persönlich." Und in dem Atelier findet sich viel, was auch seine Mode prägt. Kein Wunder, das "Haus passt wie die Faust aufs Auge zu uns."

Die Parallelen zwischen Atelier und Mode fangen schon bei der Fassade an: von Hand gebranntes Holz. Schwarz. Eine Farbe, zu der Roether einen leichten Hang hat, wie er selbst sagt. Wie zum Beweis ist er ist an diesem Julitag ganz in Schwarz gekleidet, von der Sohle bis zum Scheitel, ein schwarzer Punkt im bunt blühenden Garten, der hinter dem Showroom seine Idylle aufspannt. Und zu Holz hat der 53-Jährige schon von Kindesbeinen an ein besonderes Verhältnis: Sein Vater war Forstdirektor in der Nähe von Freiburg. Dass Roether seinem Vater nicht beruflich nachfolgte, lag vor allem an einem Geschenk, das er in der Jugend von seiner Oma bekam: eine Nähmaschine. Nach dem Abitur studierte Roether dann also nicht Forstwirtschaft, sondern Maschinenkonfektionstechnik. Seitdem wisse er, wie eine Strickmaschine denke - und wie er der Maschine mitteilen könne, was er sich denke.

Ganz spurlos ging die Kindheit in der Forstwirtschaft allerdings nicht an Roether vorüber. Der Nachhaltigkeitsgedanke - ursprünglich ja aus der Bewirtschaftung der Wälder - ist dem Modedesigner auch in seinem Metier sehr wichtig. Genauso wie man im Wald "in Baumgenerationen denkt", sollte auch Kleidung länger als eine Saison halten, sagt er. Das beginne schon bei den Stoffen. Er arbeite zum Beispiel gerne mit Deutschleder, erklärt Roether und zeigt auf seine Halbschuhe, die teilweise aus dem festen Stoff gefertigt sind. Deutschleder besteht aus sehr dicht gewebter Baumwolle, ist also nur dem Namen nach ein Leder. Weil der Stoff so robust ist, macht man zum Beispiel Zimmermannshosen daraus. Für Roether hat der Stoff aber einen ganz anderen Reiz: "Das wird mit dem Tragen schöner", sagt er, "das kann man auch vererben."

Auch das Atelier ist mit viel Rücksicht aufs Erbe eingerichtet. Das gilt auch für das vielleicht auffälligste Merkmal des Hauses, die raum- und blickgreifenden Lampen, die silbern über dem Eingang hängen: Das waren mal riesige Braukessel. Die Brennerei-Genossenschaft ließ darin die Kartoffeln schwimmen, bevor der Sud destilliert wurde. Nun wurden sie kurzerhand unten aufgeschnitten und zu Lampenschirmen umfunktioniert.

Der Weg der Kartoffel zum Schnaps lässt sich also noch heute in diesem Haus nachzeichnen. Sehr bewusst hat Roether Überbleibsel der Brennerei in sein Atelier integriert. Da ist zunächst einmal die Lkw-Waage, die "immer noch aktiv" im Boden unter den Kessellampen verbaut ist, wie Roether sagt. Einmal kurz dort geparkt - und die Bauern und Schnapsbrenner wussten, wie viel Kartoffeln da gerade angeliefert wurden. Vielleicht fünf Meter weiter ragen heute mannshohe, verglaste Vitrinen aus dem Boden. Einerseits Schaufenster, andererseits Tageslichtzufuhr für die Kellerräume. Früher fielen dort die Kartoffeln durch Schütten in den Keller, selbst die Eisenklappen der damaligen Lieferzone hat Roether wiederverwendet: als Verkleidung der Küchenschränke. Und nicht zu vergessen, der Kran des Dachgeschosses.

Der Weg der Kartoffeln ging vom Keller aus ein Rohr hinauf, oben angekommen wurden sie verarbeitet und schließlich wieder in einem massiven Rohr nach unten in die Dampfkessel transportiert. Davon geblieben sind Durchbrüche zwischen den Stockwerken, wie zum Beispiel ein Loch mit begehbaren Glas in der Decke des Erdgeschosses. "Es wäre ja schade, wenn das Alte nicht im Neuen sichtbar wäre", findet Roether.

Genau darin liege auch die Stärke des Roether-Ateliers, sagt Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer. "Man merkt es dem Projekt an, dass beim Umbau wichtig ist, den Charakter der Ursprungsarchitektur leben zu lassen und trotzdem etwas Neues zu gewinnen." Das Projekt könne da Vorbild sein, auch wie mit diesem Gedanken zeitgemäße Architektur entstehe. Deshalb ist das Atelier in Pliening bei den Architektouren 2021 dabei. Eine Tradition gewordene Ehrung der Bayerischen Architektenkammer, die besonders gelungene Bauprojekte auszeichnet - und diese normalerweise für Besucher öffnet, dieses Jahr allerdings ins Internet ausweicht: Unter www.byak.de werden die Projekte vorgestellt, auch mit Kurzvideos. Das Roether-Atelier ist dieses Jahr das einzige der 208 Architektouren-Häuser aus dem Landkreis.

Auch für Juliane Zopfy, die als projektleitende Architektin bei "Bogevischs Büro" den Umbau der Brennerei in ein Atelier betreut hat, war dies ein besonderer Auftrag. Alleine schon, weil Roether selbst so viele Ideen mitbrachte. "Er hat das Potenzial des Hauses von Anfang erkannt", erinnert sie sich. Schon damals, als noch alte Lieferscheine des Brennereibetriebs in den Möbeln auftauchten. Das Haus sei wie in Aufbruchsstimmung verlassen gewesen. Für die einen viel zum Aufräumen, für Roether viel zum Recyceln. "Das ist ein nachhaltiges Projekt, sehr viel besser kann man es eigentlich nicht machen", sagt auch Zopfy. Das Haus habe Stück für Stück Formen angenommen, im Austausch miteinander. Schnell war zum Beispiel klar, dass die riesigen Kessel nicht weggeschmissen werden sollen. Aus ihnen wurden die Lampen am Eingang - und aus dem abgeschnittenen Rest Kräuter-, Zucchini- und Salatbeete.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5360886
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.07.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.