Süddeutsche Zeitung

Natur:Wo die wilden Wölfe wohnen

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Hinter dem Hügel des Zornedinger Daxenbergs liegt ein Refugium für Kinder. In der Gruppe des Bund Naturschutz geht es um Spaß im Freien - mit allem was dazugehört

Von Viktoria Spinrad, Zorneding

Lena steht in Turnschuhen im Wald und mustert Stöcke. Konzentriert fährt die Zwölfjährige an einem Exemplar mit den Fingern entlang. Manche sind zu klein, andere zu schwer. "Der ist gut", sagt sie und schiebt den Stock waagerecht über das Gerüst. Eine Holzhütte soll es werden, die sie hier mit ihren Freundinnen errichtet. Ein Wiederaufbau, deshalb die Sorgfalt. Erst hatte sie keine große Lust, jetzt ist sie eifrig mit dabei. "Die alte Hütte wäre fast über uns zusammengekracht", sagt Lena und fischt weiter im Stockhaufen.

Bauen, entdecken, experimentieren - darum geht es den "Wilden Wölfen", ungefähr ein Dutzend Kinder sind dabei. Sie sind die Nachwuchsorganisation des Bund Naturschutz in Zorneding. "Manche Kinder sind kaum noch in der Natur", sagt Stefanie Griesel. Die Ingenieurin hat die Gruppe vor zwei Jahren gegründet. Unter ihrer Leitung können Kinder von der dritten Klasse an radeln, wandern oder einfach vor sich hin werkeln. "Ab dem Alter sind sie selbstbewusst genug um zu sagen, ob sie Lust auf die Gruppe haben", so Griesel.

Lust auf Natur hat Lena mittlerweile. "Es ist doch schön, nicht immer den Erwachsenen zuhören zu müssen und einfach draußen zu spielen", sagt sie. Wer wie sie über den Hügel östlich des Zornedinger Daxenbergs steigt, taucht zwischen Feld, Grube und Wald in ein kleines Refugium für Kinder ein. Das liegt vor allem auch an der neuesten Errungenschaft der Gruppe: dem bemalten Bauwagen. Der steht nun endlich da, wo sich die Gruppe vor Ausflügen sowieso immer trifft. Weil sich damit ein langes Kapitel schließt, gibt es an diesem sonnigen Freitagnachmittag einen Tag der offenen Tür samt Kaffee und Kuchen. Selbstverständlich ist das nicht.

"Es war schon ein Kampf", sagt Bianka Poschenrieder von der SPD. Sie ist die Zweite Bürgermeisterin in Zorneding und Patin des Projekts, das die Kinder in der Jungbürgerversammlung selbst angestoßen haben. Seitdem ist ein Jahr vergangen. Brandschutz, Bodenversiegelung, Haftung - alles musste passen, bevor das Landratsamt seinen Stempel setzte und die Gruppe den Wagen auf Gemeindegrund stellen konnte. Damit der bei schlechtem Wetter nicht nachgibt, schüttete der Bauhof Kies aus; nun steht der Wagen, den demnächst noch ein Solarpanel erwartet, auf festem Grund.

Dort rieseln jetzt Holzspäne. Die elfjährige Madline sitzt auf den Stufen zum Bauwagen und schnitzt - gleich soll es Stockbrot geben. Nebenan knistert das Feuer, ein Hund tollt umher, ein Bub hält stolz einen Strauß aus Pusteblumen hoch. Es ist, als würden Vorstadtkinder das Selbstverständlichste der Welt wiederentdecken: ungezwungenes Spielen ohne nennenswertes Ziel. In Zeiten, in denen manche Eltern ihre Kinder von Termin zu Termin karren, wirkt das Projekt wie ein trotziger Anachronismus gegen den bildungsbürgerlichen Zeitgeist. Stockbrot statt Chiasamen, Müffeln statt Malkurs, Schnitzen statt Spanisch - auf dem Platz mit Bauwagen gibt es keine Vorgaben, keine Erwartungen, keine Lernziele. Ein Raum ohne Ideologie oder Druck, aber mit viel Zeit, in der man auch mal eine vergrabene Plastikplane oder einen toten Fuchs entdeckt - ein Bullerbü am Ostrand Zornedings.

"Die Natur ist eben das größte Spielzimmer", sagt Griesel, die Leiterin. Sie steht vor dem Bauwagen und spricht von Freiheitsgefühl und wie wichtig es für Kinder ist, einfach mal Lärm machen zu dürfen. Im Bauwagen baumeln derweil sechs Kinderfüße von der Sitzecke, die noch lange nicht bis zum Boden reichen. Die drei überlegen, ob sie selber zu den Wilden Wölfen stoßen wollen. Zwei scheinen es kaum erwarten zu können; Benedikt im Deutschlandtrikot aber hält dagegen: "Ich will ja zum Fußball", sagt der Sechsjährige. Beides sei ihm zu viel, vor allem mit den vielen Turnieren. Hanna setzt sich hingegen ihren Fahrradhelm auf. "Meine Freunde sind immer verplant", sagt die Zehnjährige, deswegen wolle sie jetzt Wilde Wölfin werden. Und die elfjährige Theresa verkündet selbstbewusst: "Dieses Stück darf nicht vollgebaut werden. Das gehört jetzt erstmal uns." Und Benedikt, der Fußballer? Jetzt hüpft auch er auf und rennt dahin, wo das Stockbrot brutzelt.

"Die Wilden Wölfe" treffen sich immer am Freitag von 16 bis 18 Uhr. Kontakt: Stefanie Griesel, jbn.ortsgruppe.zorneding@gmail.com

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SZ vom 07.05.2018
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