Süddeutsche Zeitung

Kulturprojekt in Grafing:Vorgeschmack mit Gänsehaut

Lesezeit: 4 min

"Movimento" veröffentlicht erstmals ein Weihnachts-Medley - eine Auskopplung aus einem für 2022 geplanten "Artistical".

Von Anja Blum

Kann es sein, dass alles, was Movimento anfasst, zu Gold wird? Die Artistikgruppe aus Grafing zählt rund 160 Mitglieder, begeistert mit ihren Shows stets Tausende Zuschauer, wurde mehrfach ausgezeichnet. Und nun gibt sie einen Vorgeschmack auf eines der nächsten großen Projekte, der Fantastisches erwarten lässt: ein Weihnachts-Medley. Ein Medley? Von Movimento? Ja, richtig, denn die Truppe erobert nun echtes Neuland. Zu den Bewegungskünsten gesellt sich künftig mehr denn je die Musik, in Verbindung mit Gesang, Tanz und Schauspiel: Geplant ist ein "Artistical", eine Mischung aus Musical und Artistik. Welturaufführung von "Circo Movimento" soll im Juni 2022 in einem Zelt in Ebersberg sein.

Doch die Vorbereitungen dafür laufen bereits auf Hochtouren - so dass nun eben jenes "Weihnachts-Medley" aus dem Score ausgekoppelt werden konnte. "Gerade in dieser schweren Zeit, in der wir uns nicht begegnen und miteinander Sport machen können, ist es extrem wichtig, mal einen positiven Blick in die Zukunft zu werfen", sagt Stefan Eberherr, Chef der Movimentos. Deswegen freut sich der Steinhöringer ungemein, dass nun zumindest dieses musikalische Projekt verwirklicht werden konnte. "Wir alle brauchen etwas Abwechslung und eine Perspektive!" Veröffentlicht wird das Video am kommenden Sonntag, 20. Dezember, auf Youtube und diversen anderen digitalen Kanälen.

Die ganzen geistigen Vorbereitungen zum Artistical - das Schaffen und Verknüpfen von Geschichte, Musik und Bewegung - passen freilich wunderbar in die von Einschränkungen bestimmte Corona-Zeit. Geschuldet aber sind sie ihr nicht. "Ich bin ein ziemlicher Musicalfan und träume schon lange davon, einmal mit Movimento so etwas zu realisieren", sagt Eberherr. Insofern sei die Entscheidung dafür schon vor etwa zwei Jahren gefallen. Die Pandemie allerdings habe dem Team nun "etwas mehr Luft" verschafft: Sowohl die eigentlich für das Kulturfeuer 2020 in Ebersberg geplante Show "Masquerade" - ein Titel, der durch die aktuellen Entwicklungen eine ganz neue Bedeutung bekommen hat - als auch der "Circo Movimento" wurden jeweils um ein Jahr verschoben.

Ausschlaggebend für den Mut, sich in das Wagnis eines komplett selbst kreierten Musicals zu stürzen, war laut Eberherr die Bereitschaft zweier Menschen, sich dafür zu engagieren: Judith Kaiser, eine ehemalige Artistin und nun freie Autorin, entwarf eine Handlungsidee und schrieb in der Folge das Libretto, Bernhard Willer, Musiklehrer, Dirigent, Arrangeur und Komponist, übernahm den musikalischen Part. Stefan Eberherr selbst zeichnet freilich für die Artistik verantwortlich. "In diesem kleinen Team arbeiten wir fleißig daran, aus alldem eine stimmige Show zu entwickeln, Stück für Stück", erklärt er. Schließlich müssen bei einem Musical sämtliche Disziplinen perfekt ineinandergreifen, Musik, Schauspiel, Gesang, Tanz und all die anderen Bewegungskünste.

Die Geschichte des "Circo Movimento" spielt in den 50er Jahren und erzählt von einer gebeutelten deutsch-italienischen Zirkusfamilie. Der Stern ihres kleinen Unternehmens ist am Verblassen, denn das Fernsehen übernimmt zunehmend die abendliche Unterhaltung. Also kommt es zum Generationenkonflikt zwischen dem Zirkusdirektor Paco und seiner Tochter Erica, die gerne neue Wege beschreiten würde... "Das ist eine sehr gut recherchierte, authentische Handlung, die aber durchaus auch eine gewisse Dosis Drama bereithält", sagt Eberherr und grinst vielversprechend. Außerdem hat das Setting freilich den Vorteil, dass alle Bereiche der Zirkuskünste wie Jonglage, Einrad, Akrobatik und Luftartistik zur Geltung kommen können. Besonders hervorzuheben seien die Disziplinen Hochseil, Bungee, Vertikaltuch, Tanz und Pantomime, so der Chef.

Die Kompositionen im Stile der großen Broadway-Musicals fußen laut Beschreibung auf einem orchestralen Soundtrack mit Belcanto-Einflüssen. "Zusammen mit einschlägigen Italo-Swing-Klängen der 50er Jahre und modernem Songwriting verschmelzen diese zu einer einzigartigen Einheit." Und tatsächlich: Das nun ausgekoppelte Medley hat schon mal großes Gänsehautpotenzial. Hintergrund ist, dass in dem Artistical unter anderem eine Weihnachtsszene geben wird, deren Musik Movimento jetzt nutzt, um einen vielstimmigen aufmunternden Gruß und lauter gute Wünsche hinaus ins Land zu senden. Die Musiker und Sänger stammen dabei alle aus der großen Movimento-Familie und deren Anhang beziehungsweise aus Eberherrs Umfeld. Vor allem unter seinen Kollegen hat der Gymnasiallehrer einige Mitstreiter für das Artistical gefunden, wie er erzählt. "Es ist einfach unglaublich, wie viele Talente es gibt", sagt er. Bereits das erste Casting für den Chor habe alle Erwartungen übertroffen. Jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich auf verschiedene Weise zu entfalten und weiterzuentwickeln, sportlich, menschlich, künstlerisch - das ist ohnehin das Credo des Movimento-Chefs. "Und wenn sie diese Chancen dann ergreifen, ist das meine Belohnung."

Die Produktion des Medleys allerdings war wegen der Corona-Bestimmungen sehr aufwendig: Stets wurde nur in Zweierteams gearbeitet, so Eberherr, "einer hat gesungen, der andere Ton und Bild aufgenommen". Was klingt wie ein großer Chor samt Solisten, sind tatsächlich nur etwa 15 Stimmen - "dreifach gedoppelt", wie Eberherr verrät. Hinzu kommen zwei Gitarren, Drums, Klavier und Bass. So ist ein wunderbares Stück modern klingende Musik entstanden, das perfekt die Waage hält zwischen professionellem Anspruch und der Authentizität engagierter Laien. Hier sind Menschen am Werk, die wissen, was sie tun. Der Komponist kenne die Sängerinnen und Sänger mittlerweile so gut, dass er ihnen Songs auf den Leib schreiben könne, schwärmt Eberherr. Insofern sei er sehr optimistisch, dass Movimento das Artistical ohne externe Profis auf hohem Niveau stemmen könne. "Das wird mit einem Schulmusical nicht viel zu tun haben."

Zur Musik des Medleys wurde zudem ein Video mit den Akteuren des Artisticals gedreht, in den verschiedenen Aufnahmeräumen sowie in einer verschneiten Landschaft, um die Weihnachtsstimmung auch optisch zu verstärken. Außerdem waren alle Movimentos aufgerufen, spontan zum Groove zu tanzen und sich dabei zu filmen. Jene poetisch-artistischen Szenen zu kreieren, für die die Gruppe berühmt ist, war ja leider nicht möglich. "An dem typischen Corona-Bildschirm mit den vielen Gesichtern kommt man momentan einfach nicht vorbei", sagt Eberherr und lacht.

Grundlage des Medleys ist das sizilianische Weihnachtslied "O santissimo", also "Oh du fröhliche", das hier in verschiedenen Anmutungen zum Klingen kommt: Erst jazzig-verspielt, entwickelt es sich zum mitreißenden Gospel, um am Ende wieder leise-gefühlvoll ans Herz zu gehen. Dazwischen hat Bernhard Willer den "Movimento-Song" eingeflochten, ein zentrales Lied des Artisticals, mit dem die Truppe ihren integrativen Charakter feiert: "Ob klein oder groß, schwarz oder weiß - jeder kann dabei sein". Movimento sei voller Fantasie und Magie, heißt es da. Das erklärt natürlich auch das mit dem Gold.

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Quelle:
SZ vom 18.12.2020
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