Süddeutsche Zeitung

Sonntagsbegegnung in Markt Schwaben:Blutrünstige Fantasie und knallharte Wirklichkeit

Lesezeit: 3 min

Bei der Markt Schwabener Sonntagsbegegnung "Verbrechen. Fiktion und Realität" mit Markus Kraus, Leiter des Kriminalfachdezernats für Tötungsdelikte bei der Münchner Polizei, und Krimi-Autorin Anna Schneider wird manchem Mythos ein Ende gemacht.

Von Michaela Pelz, Markt Schwaben

'Das Böse ist immer und überall' wusste schon die Pop-Rockband aus Österreich EAV musikalisch im Jahr 1986. An diesem sonnigen Vormittag trifft das gewissermaßen auch auf den vollbesetzten Unterbräusaal in Markt Schwaben zu, beginnt doch der Titel der 115. Sonntagsbegegnung mit dem Wort "Verbrechen". Doch durch den Zusatz "Fiktion und Realität" ist sofort klar, dass es hier um den spannenden Austausch zwischen zwei Profis aus zwei ganz verschiedenen und doch in der Sache ähnlichen Bereichen geht: Aufs Podium gebeten hat Gastgeber Bernhard Winter diesmal Markus Kraus, Leiter des Kriminalfachdezernats für Tötungsdelikte bei der Münchner Polizei, und Krimiautorin Anna Schneider.

Die von ihr geschaffene Romanreihe heißt "Grenzfall". Der Name leitet sich ab aus der Zusammenarbeit zwischen deutschen und österreichischen Ermittlern in jedem der bisher vier Bände, die alle auf der Spiegelbestsellerliste landeten.

Winter allerdings greift bei seiner Begrüßung den Begriff und Titel der Reihe auf, um zu unterstreichen, dass es von Anbeginn an Motto der Sonntagsbegegnungen gewesen sei "Grenzen zu überwinden und Gegensätze zu verbinden".

Dann schlägt er den Bogen zu einem, dessen Anliegen genau das gewesen sei und der Grüße übermitteln lasse: Michael Stolze. Der Markt Schwabener Bürgermeister, der kürzlich überraschend seinen Rücktritt angekündigt hat, habe stets die ganze Gemeinde im Blick gehabt, versucht "Ausgleich und Anstand" gegen "Egoismus und Hetze" zu setzen.

Dafür gibt es viel Applaus, bevor das Gespräch beginnt, in dem schnell die erste Gemeinsamkeit deutlich wird. Autorin Schneider schwärmt: "Ich kann Polizei sein, Opfer und Täter." Und auch Kriminaler Kraus fasziniert nach gut 30 Jahren noch die Vielfalt seiner Tätigkeit, weswegen er junge Menschen ermutigen möchte, eine Laufbahn bei der Polizei anzustreben.

Was sicher auch die anwesende Polizeiprominenz freut. Neben dem Münchner Polizeipräsidenten Thomas Hampel und seinem Vorgänger Hubertus Andrä gehören dazu der Leiter der Polizeiinspektion Poing, Mithun Küffner, sein Stellvertreter Andreas Petermeier und der vorherige Amtsinhaber Helmut Hintereder. Komplettiert wird dieses Aufgebot von Peter Reichl, dem Vorstand des Polizeivereins Münchner Blaulicht e. V., für den am Ende gespendet wird.

Gut möglich, dass sie alle nachvollziehen können, warum Kraus, der vor seiner aktuellen Position acht Jahre die Mordkommission K11 leitete, sagt: "Der Polizeiberuf ist ein Lebensberuf." So nennt er, gefragt nach den Schlagworten für sein Leben, auch "Leidenschaft und Hingabe" als Erstes. Aber auch "Hartnäckigkeit" müsse man besitzen und, das kommt unerwartet, "Toleranz".

Wenn Anna Schneider für einen neuen Roman recherchiert, legt sie sich auch schon mal eine Stunde in den Keller

Auch wenn man Dinge erlebe, die an die Grenze gingen, müsse man sein Gegenüber dennoch als Mensch behandeln. Und zur Opferseite, die ihn stets sehr bewege, gehörten, das dürfe man nicht vergessen, auch die Angehörigen der Täter. Das macht nachdenklich, unterstreicht aber gut das Wesen der "Sonntagsbegegnungen": Man kommt den Menschen, die sich hier mit echtem Interesse für den Gesprächspartner unterhalten, auch persönlich nahe, wenn sie über ihre Arbeitsweise sprechen.

Schneider etwa ist akribische Recherche extrem wichtig, vor Ort, durch viele Fachgespräche, aber auch ungewohnte Wege: "Damit ich eine Vorstellung davon bekomme, wie man sich als Gefesselte in einem Keller fühlt, lege ich mich auch schon mal eine Stunde in den Keller - allerdings ohne Fesseln." Gleichzeitig sei es aber auch die Kunst des Autors, Bilder im Kopf entstehen zu lassen, ohne auf persönliche Erfahrungen zurückgreifen zu können. "J.K. Rowling war auch nie in Hogwarts, trotzdem weiß jeder, wie es da aussieht."

Leider sei die Realität aber eben längst nicht so, wie etwa die Fernsehserie "CSI" Glauben mache, gibt Kraus zu bedenken. Bei ihm gäbe es kein spektakuläres Arbeitsambiente, es schaue vielmehr aus "wie in einer Versicherung: Aktenordner und Computer". Was auch wenig realitätsnah sei: Ermittler seien keine einsamen Wölfe, sondern es werde stets im Team gearbeitet. Und die meisten Taten seien nicht, wie im Krimi oft, lange geplant, sondern geschähen vielmehr im Affekt. "Meist aus einem Streit heraus - gerade bei jungen Heranwachsenden." Das überrascht das Publikum - ebenso wie die Zahlen, die er nennt. "Wo es in den 70ern und 80ern in München noch 70 bis 80 versuchte oder vollendete Tötungsdelikte gab, sind es heute eher 25 bis 35."

Am Ende sind 75 ebenso kurzweilige wie informativen Minuten viel zu schnell vergangen, man hat über Künstliche Intelligenz als Bedrohung für Polizei und Literaturbetrieb gehört, über die Auswirkungen der eigenen Arbeit auf die Familie, aber vor allem über die Leidenschaft für den eigenen Beruf.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.6440618
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.