Süddeutsche Zeitung

Markt Schwaben: Missstände im Seniorenheim:Pflegepersonal wehrt sich

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"Wir sind Menschen, keine Roboter": Mit deutlichen Worten wehren sich die Angestellten des Awo-Altenheims gegen Vorwürfe, sie würden alte Menschen misshandeln. Es ist die Rede von immer schlechteren Arbeitsbedingungen.

Karin Kampwerth

"Wir wehren uns dagegen, in der Öffentlichkeit generell als menschenverachtend und unfähig hingestellt zu werden. Wir sind Menschen, keine Roboter, und wir haben eine Würde." Mit diesen Worten zu Beginn eines Briefes an die SZ tritt Betriebsratsvorsitzende Margit Lantenhammer im Namen des Pflegepersonals im Markt Schwabener Awo-Seniorenheim der pauschalen Verdächtigung entgegen, alte Menschen zu schikanieren und zu misshandeln. Mit den Vorwürfen, die seitens der Heimleitung teilweise bestätigt worden sind, muss sich die Einrichtung seit 14 Tagen auseinandersetzen.

"Wir wollen deutlich machen, dass wir Pflegekräfte nicht kollektiv schlecht sind und schuldbeladen durch Markt Schwaben gehen müssen", schreibt Lantenhammer. Gleichwohl betont sie, keinesfalls den Eindruck erwecken zu wollen, etwas schön zu reden, Defizite in der Pflege zu verniedlichen oder Fehlverhalten zu entschuldigen.

Diesem sei nachzugehen und mit Konsequenzen zu begegnen. Wer Missstände im Markt Schwabener Awo-Heim beobachte, dürfe diese offen ansprechen, ohne Repressalien zu befürchten. Das hatte neben den Vorwürfen über Misshandlungen eine Mitarbeiterin anonym dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen berichtet.

Margit Lantenhammer wendet sich darüber hinaus an Kritiker, die mit Recht Leistung von den Pflegekräften einforderten. Man müsse sich aber fragen, ob dafür überhaupt Zeit vorhanden sei. So sei in der Berechnung der Pflegezeit nicht berücksichtigt, mit Bewohnern einen Spaziergang zu machen, Angehörigengespräche zu führen, einem Sterbenden beizustehen oder weinende Bewohner zu trösten.

Dafür nehme der ständig wachsende bürokratische Aufwand Zeit von dem direkten Kontakt mit den Pflegebedürftigen. "Was nicht geschrieben und geplant ist, gilt als nicht gemacht. So einfach ist das", klagt die Betriebsratsvorsitzende.

Gleichzeitig würden Fortbildungszeiten, Krankheitsausfälle, Urlaub oder Fallbesprechungen nicht in den Stellenschlüssel einkalkuliert. "Die Anforderungen an uns Pflegende haben sich in den letzten Jahren vervielfacht, die Berechnung, wie viel Personal finanziert wird, ist geblieben", sagt Lantenhammer.

Doch nicht nur durch die Arbeitsbedingungen werde es immer schwerer, qualifiziertes Personal zu finden. Der Personalnotstand beginne bei der Ausbildung. Altenpflegeschulen müssten um Schüler werben. Lantenhammer betont, dass sich die Forderungen der Kritiker an die Pflegequalität mit den Vorstellungen der Pflegekräfte deckten. Das sei aber unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht zu leisten. Nur, wer sich wirklich mit den Hintergründen der Pflegesituation befasse, könne begreifen, was an Schwierigkeiten zu bewältigen sei.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2010
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