Süddeutsche Zeitung

Gesundheit im Landkreis:Knapp, knapper und nochmal knapper

Lesezeit: 4 min

Auch in den Regalen der Apotheken im Landkreis Ebersberg herrscht bei immer mehr Präparaten gähnende Leere - wie derzeit überall. Apotheker und Ärztinnen unternehmen viel, um die Versorgung dennoch so gut wie möglich zu halten.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Egal, bei welcher Apotheke im Landkreis Ebersberg man fragt - überall zeichnet sich das gleiche Bild: Um Medikamente ist es aktuell knapp bestellt, ziemlich knapp. "Die Nicht-lieferbar-Liste wird von Tag zu Tag länger", sagt etwa Sabrina Feder von der Mary's Apotheke in Poing. "Die Ware kommt tröpfchenweise", sagt Pinar Uzun von der Marien-Apotheke in Ebersberg, "mal bekommen wir fünf Packungen von etwas, ein anderes Mal zwei und wieder ein anderes Mal einfach gar nichts." Und die Kundschaft? Die hat leider oft das Nachsehen, wie Corinna Steinbach von der St. Georg Apotheke in Aßling erzählt.

Der Landkreis stellt keinen Sonderfall bei der Versorgungslage mit Medikamenten dar - es sieht derzeit überall so aus. Dass bestimmte Arzneien vorübergehend knapp sind, kommt schon mal vor. Aber bislang habe das vereinzelte Wirkstoffe betroffen, erzählt Corinna Steinbach. Die aktuelle Lage jedoch, in der die unterschiedlichsten Präparate diverser Hersteller betroffen sind, so etwas sei auch für sie neu.

Aktuell herrschen bei 399 Arzneien Lieferschwierigkeiten

Vor allem seit Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar vergangenen Jahres verzeichnet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) stetig mehr Medikamente mit Lieferschwierigkeiten: So waren es Mitte September vergangenen Jahres noch 303 Mittel, Mitte Dezember 313 - und jetzt, Ende Januar verzeichnet die Liste 399 Medikamente mit Lieferengpässen (Stand: 23. Januar). Die Gründe dafür, warum hierzulande die Regale leer bleiben, sind vielfältig. Neben Problemen in den Lieferketten spielen auch die Inflation und der Rohstoffmangel eine Rolle.

Die Folgen davon bekommen die Apotheken im Landkreis mit voller Härte zu spüren. Corinna Steinbach nennt Antibiotikasäfte und generell Antibiotika, die ihnen in der St. Georg Apotheke in Aßling immer wieder ausgehen würden. Sabrina Feder von der Mary's Apotheke in Poing fällt auf, dass es häufig die kleinen Patienten sind, deren verschriebene Husten- und Antibiotikasäfte nicht lieferbar seien. Pinar Uzun von der Marien-Apotheke in Ebersberg ergänzt diese Liste um Schmerzmittel. Und sie sagt auch: "Im Grunde ist es bei fast allem ziemlich knapp."

Dass sich die Lieferengpässe überall bemerkbar machen, liegt daran, dass der Großhandel, bei dem Apotheken bestellen, die verfügbaren Medikamente gerecht aufteilt, wie Uzun erklärt. Das bedeutet, dass sie schon 100 Stück von einer Arznei bestellen kann, aber mit wie vielen die Apotheke letztlich beliefert wird, hat oft gar nichts mehr mit dieser Zahl zu tun. "Wir behelfen uns dann gegenseitig", sagt Uzun. Sie und ihre Kolleginnen telefonieren umliegende Apotheken ab und fragen, ob es dieses oder jenes Mittel dort noch gibt. "Ich kann ja nicht zu einer Mutter mit krankem Kind einfach sagen: Ja, klappern sie halt mal alle Apotheken ab, bis sie fündig werden."

Das erzählt auch Corinna Steinbach aus Aßling. "Wir möchten den Patienten ja eine Alternative bieten - das ist auch für uns belastend." Neben anderen Apotheken telefonieren sie und ihre Kolleginnen auch häufig mit den Arztpraxen. Denn beispielsweise bei verschriebenen Hustensäften für Kinder könnte man in manchen Fällen auch auf Arzneien für Erwachsene ausweichen, indem man die Dosierung dementsprechend anpasst, dafür sei aber meistens eine Rücksprache mit dem behandelnden Arzt oder der Ärztin notwendig.

Auch den Arztpraxen beschert der Mangel an Medikamenten Mehraufwand

Mittlerweile sieht Steinbach auch Rezepte, auf denen die Ärzte von vornherein schon zwei Medikamente geschrieben haben, für den Fall, dass das eine gerade nicht vorrätig ist. Klar ist dennoch: Es ist ein enormer Mehraufwand - auch für die Arztpraxen.

"Wir sind ständig am Telefonieren, ja", sagt Marc Block, ärztlicher Koordinator der niedergelassenen Praxen im Landkreis. "Denn bei einem anderen Präparat muss man dann vielleicht eine halbe und nicht mehr eine viertel Tablette nehmen." Bei den Patienten herrsche zunehmend Verunsicherung und Verwirrung.

Er hält es für möglich, dass manche von ihnen auf Medikamente, die eigentlich notwendig für sie wären, ganz verzichten oder weniger häufig nehmen, als sie es müssten. Denn neben diverser Antibiotika, Fiebersäfte und Co., ist es auch um eine andere Gruppe von Arzneien gerade schlecht bestellt. Zum Beispiel solche zur Behandlung von Herzschwäche oder Blutdruck, also Präparate, die von Patienten regelmäßig eingenommen werden und nicht nur gegen eine akute Erkrankung.

"Das ist natürlich schädlich für die Gesundheit", so Block - und könnte im schlimmsten Falle weitere Arztbesuche und andere Medikamente erforderlich machen, die dann auch wieder nicht vorhanden sind. Ein Teufelskreis. Block wählt deutliche Worte, um die aktuelle Situation zu beschreiben: "Es herrscht eine extrem schlechte Versorgungslage."

Die Lage wird sich in nächster Zeit wohl nicht verbessern

Und wie geht es weiter, ist Besserung in Sicht? Dazu wagt keiner der Befragten eine Prognose. "Es ist nicht absehbar, dass sich die Situation in nächster Zeit groß entspannen wird", sagt Corinna Steinbach.

Marc Block sieht einen grundlegenden Fehler, den Pharmaunternehmen und Politik jahrzehntelang verfolgt haben: Man verlagerte die Produktion dorthin, wo sie am günstigsten war - und das war sehr oft nicht Deutschland. Der Gedanke, dass dieses Konzept unter gewissen Umständen zusammenbrechen und die Versorgungslage gefährden könnte, hat dabei offensichtlich eine weniger wichtige Rolle gespielt. Das Problem scheinen die Verantwortlichen nun zwar erkannt zu haben, so Blocks Eindruck. Aber, und das ist wohl die relevante Frage: Ist bei den Verantwortlichen der Wille da, daran maßgeblich etwas zu ändern und dementsprechend finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen? Darauf weiß Marc Block auch keine Antwort, doch eine Ahnung hat er schon - wenngleich sie nicht unbedingt optimistisch stimmt: "Ich bin da eher resigniert und frustriert."

Eine positive Nachricht gibt es dann aber doch: Zumindest in der Kreisklinik Ebersberg gibt es derzeit keine Schwierigkeiten in der Versorgung durch fehlende Medikamente, wie Pressesprecherin Katharina Ober auf Nachfrage mitteilt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5737495
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.