Süddeutsche Zeitung

Offene Werkstatt:Die Zukunftsbastler

Lesezeit: 4 min

In Kirchseeon gibt es eine neue offene Werkstatt. Der Verein um Vorsitzenden Martin Riebl möchte einen Beitrag dazu leisten, das Reparieren und Herstellen von Gebrauchsgegenständen salonfähig zu machen.

Von Merlin Wassermann, Kirchseeon

Am verräterischsten sind vielleicht die Gerüche. Sobald man den 38 Quadratmeter kleinen Raum betritt, steigt das Aroma von Holz, Leim, Metall und Sägespänen in die Nase - vermischt mit ein wenig Schweiß, schließlich ist es ein schwüler Tag. Kurz: Es riecht nach Werkstatt.

Genauer, nach dem neuen "Makerspace" in Kirchseeon auf dem Gelände des Berufsbildungswerks. Makerspaces sind keine versteckte Tasten auf der Computertastatur, sondern offene Werkstätten. Sie sind oft als Vereine organisiert - wie auch hier in Kirchseeon - und bieten Mitgliedern und Interessierten einen Raum, Werkzeug und Know-how, um handwerklich tätig zu werden.

Der Makerspace ist die erste offene Werkstatt im Landkreis

"Das Konzept ist eine tolle Sache, in der näheren Umgebung gab es allerdings nichts Vergleichbares. Also haben wir uns entschlossen, selbst eine offene Werkstatt zu gründen", erzählt Martin Riebl, Vereinsvorsitzender des Makerspace Ebersberg. "Wir", das sind die Teilnehmer einer Initiative, die sich im Sommer 2021 gegründet hat, rekrutiert aus Tüftlern und Bastelfreunden des Landkreises. Über das Internet fanden sie sich zusammen, bald darauf ging die Suche nach den passenden Räumlichkeiten los. Die gestaltete sich als schwierig und langwierig. "Aber am Ende hatten wir Glück", berichtet Riebl. Das Berufsbildungswerk (BBW) in Kirchseeon überließ ihnen einen freistehenden Raum zu einer vergünstigten Miete.

Selbiger ist mittlerweile gut gefüllt. Seit Juli hat die Werkstatt offen, Kreis- und Bandsäge, ein Tischbohrer und Elektrowerkzeuge stehen dicht an dicht in der Werkstatt, im Hinterzimmer gibt es ein Elektrolabor mit 3-D-Drucker, selbstgebaut natürlich. In Zukunft hofft man, auch einen Lasercutter und eine CNC-Maschine den Vereinsmitgliedern zur Verfügung stellen zu können.

Mittlerweile zählt der Verein 18 Mitglieder: Zwei Frauen, ein Jugendlicher - die meisten sind jedoch Männer, die aus der IT-Branche oder dem Ingenieursbereich kommen und meist schon seit ihrer Jugend Radios auseinanderbauen.

Sie werkeln jetzt immer noch, wobei sich die Interessen und Motivationen etwas verschoben haben dürften. Das Konzept der Makerspaces - auch "Fabrication Laboratory", kurz "Fablab", genannt - kam Anfang der 2000er Jahre in den USA auf und lässt sich der Do-it-yourself-Bewegung zurechnen. Die Werkstätten sollen es ermöglichen, Upcycling zu betreiben, also beschädigte Geräte oder als Müll klassifizierte Ressourcen zu reparieren und weiter zu verwenden.

Das ist auch eine der Hauptmotivationen in Kirchseeon. So verdankt etwa ein Tisch seine Frankenstein-Existenz verschiedenen Küchengarnituren. Auch die Lüftungsanlage besteht zu großen Teilen aus alten Staubsaugern, die die Vereinsmitglieder vom Wertstoffhof gerettet und ihnen neues Leben eingehaucht haben. Die Kreissäge wiederum ist 35 Jahre alt und noch nicht völlig funktionstüchtig, soll aber ebenfalls repariert werden. Und zukünftig soll es auch ein Angebot an Workshops zu allen Themen rund um Reparatur und Recycling geben.

"Es geht auch um Spaß!"

Doch dreht sich nicht alles um so ernste Themen in dem Verein. "Es geht auch um Spaß", betont Michael Graf. Der gelernte Elektroingenieur war sofort begeistert von der Idee eines eigenen Makerspaces für den Landkreis. Er tüftelt am liebsten an Elektronik, wie etwa Microcontrollern, oder benutzt den 3-D-Drucker, um kleine Gebrauchsgegenstände herzustellen. Manche benutzen die Werkstatt auch hauptsächlich für sich, etwa, um Boxen herzustellen.

Doch am meisten Freude, da sind sich alle einig, macht der Austausch untereinander und das Arbeiten an gemeinsamen Projekten. Obwohl die Werkstatt noch nicht lange geöffnet hat, gibt es bereits ein Meisterstück, einen sogenannten Vertikalplotter. Til Richardsen, Physiker und Vereinsmitglied, zieht das Gerät in die Mitte des Raums und schaltet es ein. Es beginnt zu summen, dann bewegt sich der Stift über das Whiteboard, bald zeigt sich ein erster Umriss: eine Vespa. Richardsen erklärt das Gerät: "Über zwei Motoren bewegen sich zwei Schnüre, die einen Stift halten. Damit lassen sich vorher eingespeiste Bilder oder Muster automatisch aufzeichnen."

"Die Innovationsgeschwindigkeit bei uns ist enorm", sagt Martin Riebl, als sich der Motorroller auf dem Whiteboard manifestiert. "Vor drei Wochen sah das Projekt noch ganz anders aus." Das sei der Vorteil an derartigen Werkstätten: Einer könne sich um die Elektronik kümmern, ein anderer um die Mechanik, wieder ein anderer um die Software. So sei man ständig im Austausch und lerne viel voneinander. Auch die Vereinsmitglieder Marcus Zweiböhmer und Michael Springer finden, das Miteinander mache am meisten Spaß. Besonders freuen sich alle auf die geplanten Themenabende, in denen es zum Beispiel um das Bedienen des 3-D-Druckers oder den sicheren Umgang mit einer Kreissäge gehen soll.

An solchen Themenabenden sollen auch die Auszubildenden des Berufsbildungswerks teilnehmen können. Das sei Teil des Deals gewesen, wie Arthur Böttcher, der Ausbildungsleiter des BBWs, erklärt. Das Bildungswerk wolle mehr Angebote für praktisches Handwerk als auch für den Austausch zwischen Jung und Alt bieten. Das liegt auch im Interesse der Mitglieder des Makerspace. Sie sehen für ihren Verein einen Bildungsauftrag. "Wir würden gerne mit Schulen zusammenarbeiten und gemeinsame Projekte durchführen", sagt Martin Riebl. Ideen gäbe es zuhauf, etwa für Nistkästen mit Infrarotkameras oder Feinstaubmessgeräte.

Derartige handwerkliche Fähigkeiten hätten im heutigen Schulsystem einen zu niedrigen Stellenwert, findet Marcus Zweiböhmer. "Ich sehe das an meinen eigenen Kindern, sie bekommen fast keine praktischen Skills beigebracht." In den Augen von Til Richardsen hätten Kinder und Jugendliche heute weniger Interesse daran, etwas auseinander- und wieder zusammenzuschrauben, weil sie kaum mehr Langeweile haben. "Sie sind entweder in Dauerbetreuung oder treiben sich auf Youtube herum."

Deshalb sei ihr Angebot richtig und wichtig, so Michael Springer. Er hofft, dass es von der Jugend auch wahrgenommen wird. Michael Graf hält das durchaus für wahrscheinlich, da Themen wie Klima- und Umweltschutz die Fridays-for-Future-Generation sehr bewegen - Reparieren und Recyceln passe gut in diese gesellschaftliche Bewegung. Und auch die Vulnerabilität globaler Lieferketten könnten ein Weckruf sein, weniger wegzuwerfen und mehr wiederzuverwerten, spekuliert Zweiböhmer.

Aktuell ist immerhin schon ein Jugendlicher Vereinsmitglied. Ein Familientarif soll diese Quote hoffentlich steigern, so Martin Riebl. Doch seien freilich Interessierte jeden Alters und Geschlechts gerne gesehen. Und jeden Wissensstandes: "Wenn jemand mit einer Idee für ein Projekt kommt, aber keine Ahnung hat, wie das geht, und es gerne lernen würde, ist er bei uns herzlich willkommen", sagt Michael Graf.

Weitere Informationen zur offenen Werkstatt in Kirchseeon gibt es auf der Homepage des Vereins MakerSpace Ebe. Die VHS Grafing bietet am 25. Oktober, 19 Uhr, eine Führung durch die Werkstatt an. Nähere Informationen unter www.vhs-grafing.de .

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5669464
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.