Süddeutsche Zeitung

Grüne Oasen:Austausch mit der Natur

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Eine Exkursion des Umweltausschusses führt die Mitglieder zu vier besonders gelungenen Ausgleichsflächen im Landkreis

Von Andreas Junkmann

Der Politiker an sich gilt ja gemeinhin eher als Stubenhocker. Umso bemerkenswerter ist deshalb die jüngste Umweltausschuss-Sitzung des Landkreises, die Landrat Robert Niedergesäß (CSU) am Donnerstag nicht wie üblich im Hermann-Beham-Saal eröffnet, sondern in einem Reisebus. Ziel der Exkursion sind vier der insgesamt etwa 1650 Ausgleichsflächen in der Region, die sich die Ausschussmitglieder mit eigenen Augen ansehen wollen. "Es ist wichtig, sich vor Ort ein Bild zu machen", so Niedergesäß, der Ausflüge wie diesen wieder regelmäßig in den Sitzungsplan aufnehmen will. Dass die Reise in die Natur aber nicht ausschließlich dem Seelenwohl dienen soll, macht Fachreferent Max Finster von der Unteren Naturschutzbehörde noch auf dem Weg zum ersten Halt klar: "Es gibt kein heikleres Thema, als das Monitoring von Ausgleichsflächen." Die Früchte dieser Arbeit werden die Kreisräte nun einen Nachmittag lang hautnah erleben.

Blumenwiese Egglsee

"Da möchte man doch gleich eine Biene sein", sagt Johann Taschner, Leiter der Unteren Naturschutzbehörde, als er seinen Blick über das schier endlose Blumenmeer streifen lässt, das sich von der Münchener Straße bis zur Ebersberger Weiherkette erstreckt. Auf einer Größe von etwa 4,3 Hektar - was ungefähr sieben Fußballfeldern entspricht - hat die Stadt Ebersberg hier eine Blühwiese als Ausgleichsfläche für einige ihrer Bauprojekte geschaffen. Unter anderem ist dort das abhanden gekommene Land für die Hochwasserfreilegung im Ebrachtal verrechnet. "Das ist ein Eldorado, ein botanischer Garten", schwärmt Max Finster, als er inmitten der fast kniehohen Blumen und Gräser stehend die Kreisräte mit Informationen über die Fläche versorgt.

So seien auf dem ehemals landwirtschaftlich genutzten Areal inzwischen weit mehr als 30 Pflanzenarten beheimatet. Diese würden aber freilich nicht einfach von selbst wachsen, sondern müssten gezielt angesät werden - und dafür seien sehr viele Samen nötig. Das kann laut Finster schnell ins Geld gehen, denn die Saatgutmischung für einen Hektar Land kostet zwischen 3000 und 5000 Euro. Bis die Wiese schließlich richtig blüht, braucht man Geduld, denn auf Düngemittel wird hier komplett verzichtet. "Das ist eine ökologische Ausgleichsfläche und keine Futterwiese", sagt Finster. Dennoch bietet das Land auch reichlich Nahrung für Tiere: Und zwar für die Insekten, die hier zu Tausenden ihr Tagwerk verrichten.

Streuobstwiese Vorderegglburg

Zu Fuß nur eine kurze Strecke weiter westlich liegt der zweite Halt der Landkreistour - und wieder stehen die Mitglieder des Umweltausschusses inmitten von zahlreichen Blumen, die ihre bunten Köpfe dem sonnigen Himmel entgegenstrecken. Hier, in der Streuobstwiese Vorderegglburg, ist die Blühfläche jedoch anders als zuvor von einigen Bäumen durchbrochen, die im Abstand weniger Meter gepflanzt worden sind. Das etwa 1,6 Hektar große Areal, das dem Landkreis Ebersberg gehört, sei mit sogenannten Ersatzgeldern erworben worden, erklärt Max Finster. Das ist ein Betrag, den Bauherren entrichten müssen, wenn sie selbst keine geeignete Ausgleichsfläche für ihr Vorhaben auftreiben können. Und so hat die Untere Naturschutzbehörde damit begonnen, nach und nach Grundstücke der ehemaligen Kleingartensiedlung aufzukaufen.

Bewirtschaftet werden diese als Streuobstwiesen, mit derzeit etwa 60 Obstbäumen. Hier werden laut Finster vor allem alte, einheimische Apfelsorten angepflanzt - die für jedermann zugänglich sind. "Ausgleichsflächen sind ein Stück freie Natur", so Finster. Das bedeutet, alle Bürger können sich hier nach Belieben ihre Äpfel selbst pflücken. Was übrig bleibt, wird von den Mitarbeitern der Naturschutzbehörde geerntet und entweder in Kisten verpackt verschenkt oder zu echtem Ebersberger Apfelsaft verarbeitet.

Die Streuobstwiese soll auch künftig weiter wachsen. Deshalb würde die Naturschutzbehörde gerne weitere Flächen in diesem Bereich dazukaufen. Die Grundstücksverhandlungen gestalten sich laut Johann Taschner aber schwierig. "Die Ampel steht momentan auf Rot", sagt der Behördenchef.

Laufinger Moos mit Hangleite

Während die ersten beiden Landstriche mit bunten Blumen und hohen Gräsern übersät sind, hätte ein Golfspieler am südlichen Ende des Ebersberger Naturfriedhofs wohl seine wahre Freude. Das Grün ist so kurz, als würde man ihm täglich mit dem Rasenmäher zu Leibe rücken - und dennoch handelt es sich auch hier um eine Ausgleichsfläche. Die 1,4 Hektar gehören der Stadt Ebersberg und werden von Roland Becker bewirtschaftet. Der Landschaftspfleger hält am Hang, der hinab zur Ebersberger Umgehungsstraße führt, knapp 50 Schafe. Die Mäharbeiten kann er sich auf dem eingezäunten Gelände deshalb sparen, denn das übernehmen die Tiere für ihn. Andernorts muss Becker aber noch selbst Hand anlegen, denn der ehemalige Koch kümmert sich gleich um mehre Ausgleichsflächen in der Region.

Eine von ihnen zeigt sich, wenn man den Blick vom Hügel aus weiter in Richtung Südosten wendet. Dort, unmittelbar neben der Ortsumfahrung, erstreckt sich eine 7,3 Hektar große Moorlandschaft, die dem Straßenbauamt Rosenheim gehört und als Ersatzfläche unter anderem für die Bundesstraße, aber auch für die Grafinger Osttangente dient. Hier, erklärt Max Finster, treffen verschiedene Feuchtgebietstypen aufeinander, die einen optimalen Lebensraum für Amphibien bilden.

Renaturierung im Atteltal

Amphibien, aber auch größere Wasserbewohner fühlen sich inzwischen auch im Atteltal wieder pudelwohl. Wo sich der Bach früher noch zwischen Straußdorf und Oberelkofen wie ein mit dem Lineal gezogener Strich seinen Weg durch die Landschaft gebahnt hat, wird der Lauf der Attel heute durch eine ganze Reihe von Seitenarmen und sonstigen Hindernissen durchbrochen. "Artenvielfalt braucht Strukturvielfalt", sagt Finster über die Renaturierungsmaßnahmen, die in dem Flusstal in den vergangenen Jahren eingeleitet worden sind. Das etwa fünf Hektar große Gelände ist eine Ausgleichsfläche der Stadt Grafing - und übersteigt laut Finster bei weitem die ökologischen Maßstäbe, die eigentlich gefordert waren.

So wird das ehemals ruhig dahinfließende Gewässer nun von Steinen und Baumstümpfen gestört, die eine natürliche Dynamik erzeugen sollen. Und so wechseln sich nun beruhigte Bereiche mit kleineren Stromschnellen ab. "Je mehr Naturnähe, desto wohler fühlen sich die Bewohner", sagt Finster. Das sind an der Attel neben dem Biber unter anderem auch zahlreiche Fischarten und Bachmuscheln, welche die Biotope entlang des Flusslaufs besiedeln. Und so ist aus dem schnurstracks dahinfließenden Fluss ein florierendes Landschaftsschutzgebiet geworden. Denn, wie Fachreferent Max Finster sagt, "die Natur kennt keine geraden Linien".

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Quelle:
SZ vom 08.06.2019
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