Süddeutsche Zeitung

Mitten in Grafing:Ein Hoch auf den Wunschzettel

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Selbst wenn der jugendliche Verfasser eigentlich nicht mehr an den himmlischen Adressaten glaubt, kann so eine Liste erhellende Einblicke geben - und Hoffnungen wecken.

Glosse von Anja Blum

Gibt es etwas Schöneres als einen Heiligen Abend mit Kindern? Vor allem mit kleinen Kindern, die dem weihnachtlichen Zauber noch zur Gänze verfallen sind? Für die ein plötzlich hell erleuchteter Baum ein unbegreifliches Wunder ist. Für die das Christkind lebt, ganz in echt. Und ganz ungesehen unerhört viele, völlig unverdiente Geschenke in glitzerndem Papier vorbeibringt. Wow!

Nun kommt aber unweigerlich irgendwann die Zeit, wo all das elterliche Versteckspiel rund um den 24. Dezember völlig albern wirkt. Wenn die Kinder zu Teenagern werden, die Osterhase, Nikolaus und Co. keinen Millimeter mehr über den Weg trauen, sondern ganz genau wissen, dass hinter all den wundersamen Überraschungen Mama, Papa, Oma und Opa oder andere irdische Helferlein stecken. Auch schon gecheckt???

Nun ja, trotzdem könnte es sinnvoll sein, nicht sofort all die schönen weihnachtlichen Traditionen über Bord zu werfen. So ein Wunschzettel zum Beispiel kann hilfreiche Einblicke in einen jungen Kopf geben - selbst wenn der 14-jährige Verfasser aus Grafing an die Existenz des himmlischen Adressaten nicht mehr wirklich glaubt. Denn wie sich herausstellt, ist dieses hochoffizielle Format eine bemerkenswerte Ausnahme in der ansonsten doch eher einsilbigen Kommunikation. Neben den üblichen Wünschen wie Büchern, Kugelbahnzubehör oder einer neuen Schneehose, die dann nicht mehr Modell Hochwasser sein soll, erfährt der aufmerksame Leser hier nämlich ganz nebenbei, wo ansonsten der Schuh so drückt.

Ob das Christkind denn bitte für eine Eins in der nächsten Latein-Schulaufgabe sorgen könnte? Heieiei, da ist vielleicht mal wieder ein ernstes Gespräch über Leistung und Anspruch vonnöten. Außerdem hätte der Sohn zu Weihnachten gerne eine "Anlage, die automatisch den Staub aus meinem Zimmer entfernt". Mmmhhh. Da könnte man natürlich über einen Gutschein von Heinzelmännchen Mama nachdenken - aber eigentlich auch nicht. Soll er doch selbst mal sowas erfinden! Wäre bestimmt ein Verkaufsschlager. Ebenfalls in die Kategorie "unrealistisch" gehört ein weiterer Punkt auf der Liste: das Ende des Krieges. Und da steht zu befürchten, dass tatsächlich niemand helfen kann. Keine Eltern, und selbst das Christkind nicht. Der einzige Trost: dass dieser Wunsch überhaupt formuliert wird. Weihnachten als Fest der Hoffnung - besteht nicht darin der eigentliche Zauber?

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