Süddeutsche Zeitung

Entertainment mit Tiefgang:Coole Songs für harte Szenen

Lesezeit: 4 min

Robert Papst, Filmkomponist aus Grafing, ist an diesem Wochenende in Montreal: Seine Tragikomödie "Kill me today, tomorrow I'm sick" feiert dort Premiere

Von Anja Blum

Dieser Film ist starker Tobak. Korruption, Gier, Gewalt, Sex - alles drin. "Kino nur für Erwachsene", heißt es in der Ankündigung wohl zu Recht. Das macht auch schon der Titel klar: "Kill me today, tomorrow I'm sick". Was dieser Name allerdings nicht vermuten lässt: Hinter dem Projekt stecken Deutsche, zwei Münchner Filmemacher - und auch viele Menschen aus dem Landkreis Ebersberg haben daran mitgewirkt. Allen voran Robert Papst, erfolgreicher Komponist aus Grafing, er zeichnet für die Filmmusik verantwortlich und tritt - als Dankeschön für seinen umfassenden Einsatz - als Executive Producer in Erscheinung. Darüber hinaus: Janina Dietz, Sängerin aus Grafing, hat den Titelsong interpretiert, Harald Zimmermann, ursprünglich ebenfalls Grafinger, hat mitkomponiert und getextet, der Ebersberger Geräuschemacher Max Bauer hat den Szenen mit seiner Kunst akustisches Leben eingehaucht.

Das Drehbuch basiert auf wahren Ereignissen

Noch kennt kein Außenstehender das Werk, zu sehen gibt es lediglich einen Trailer, Filmstart ist erst Anfang 2019. Premiere aber feiert "Kill me today, tomorrow I'm sick" bereits an diesem Wochenende, und zwar auf dem Weltfilmfestival in Montreal. Der Film tritt dort in der Kategorie "Erstlingswerke" an, am Montag steht fest, ob er die Siegertrophäe abräumt. Bis dahin heißt es also für alle Ebersberger: Daumen drücken! Papst selbst ist am Donnerstag mit der Crew nach Kanada geflogen, um alles hautnah mitzuerleben.

"Kill me today, tomorrow I'm sick" ist eine bitterböse Tragikomödie über die Verblendung des satten Westens. Der Film spielt im Kosovo des Jahres 1999, ihm zugrunde liegt eine wahre Geschichte: Die Schwester eines der Filmemacher ging damals als Journalistin in das ehemalige Kriegsgebiet - und wurde schnell desillusioniert.

So erzählt es zumindest Robert Papst. Auf ihren Erlebnissen beruhe die Story: Es herrscht Waffenstillstand, viele internationale Organisationen haben Tausende Mitarbeiter geschickt, um die Region zu befrieden. Idealisten treffen dort auf Glücksritter, Gauner, Desillusionierte, Zyniker, Opportunisten. Und so wird der Einsatz für das Gute schnell zur Farce.

Lediglich eine kleine Radiostation funkt mit Humor und lässigem Sound Hoffnung in die verzweifelten Herzen. In der Synopsis heißt es: "Radio macht Freiheit! Das erfahren im Kosovokonflikt 1999 die Hörerinnen und Hörer des subversiv betriebenen Senders Radio-One-Kosovo. Hier wird mit Tabus gebrochen und Licht ins verstaubte Dunkel der Geschichte gebracht. Play it loud!" Auch den Chef des Senders, im Film der Gute, gab es wirklich.

Das Publikum erwartet jede Menge schwarzer Humor

Für Filmkomponist Robert Papst - der nach eigener Aussage längst genug hat von der "ewigen Klaviersoße" gängiger TV-Schmonzetten - war "Kill me today" eine Offenbarung und große Herausforderung zugleich: "Als ich vor fünf Jahren das Buch las, waren wir sofort Freunde", schwärmt der 57-Jährige. "Die Geschichte zieht einen total rein." Es sei der klassischen Kampf Gut gegen Böse, doch gebe es viele überraschende Wendungen. "Außerdem ragt die Story aus der heilen Welt heraus, da ist nichts Geschöntes."

Und trotzdem erwarte das Publikum beste Unterhaltung, keine Dokumentation, sondern viel Spannung, ein bisschen Liebe und vor allem jede Menge schwarzer Humor. Ein Garant dafür: Kabarettist Sigi Zimmerschied. Überhaupt ist Papst auch für den internationalen Cast voll des Lobes. Jeder einzelne Schauspieler sei fantastisch und passe auf seine Rolle, nun ja, wie die Faust aufs Auge. "Diese Intensität, dieser Witz, diese Darsteller: Das ist ein Paket, das ich in Deutschland lange nicht mehr gesehen habe."

Mit den beiden Münchner Filmemachern Joachim Schröder und Tobias Streck hat der Grafinger Komponist schon öfter für Dokumentationen zusammengearbeitet. Sie haben "Kill me today" produziert und auch Regie geführt, es ist ihr erster Spielfilm. "Ich glaube, dieser Umstand hat in Montreal schon Eindruck gemacht", sagt Papst, der mächtig stolz ist auf diese Nominierung. "Bei einem der zwölf A-Festivals dabei zu sein, das ist schon ein Ritterschlag!", sagt er. Schließlich würden dort ja hunderte Filme eingereicht.

Fest steht: "Kill me today" ist Entertainment mit Tiefgang - aber auch ein polarisierender Film. "Der Kosovokrieg ist für viele immer noch ein Reizthema", sagt Papst, deswegen sei auch die Finanzierung des Projektes nicht ganz einfach gewesen. Auf der anderen Seite bestehe bei einer bereits irgendwie verjährten Geschichte wie dieser freilich die Gefahr von Desinteresse beim Publikum. "Aber da kann ich nur sagen: Andere historische Themen werden doch ebenfalls verfilmt und gerne gesehen", so der 57-Jährige.

Ein wichtiges Stilelement von "Kill me today" ist die Sprache: Im Original herrschen in vielen Szenen, bei Konferenzen zum Beispiel, babylonische Zustände, es wird nicht nur Deutsch und Englisch gesprochen, sondern auch Albanisch und Serbisch (mit Untertitel, versteht sich). Das verleiht dem internationalen Geschehen einerseits eine hohe Authentizität, aber auch eine Menge Komik. Sigi Zimmerschieds bayerisches Englisch jedenfalls ist einfach zum Totlachen.

Diese Tragikomödie mit Musik zu veredeln, das war für Papst ein "riesengroßes Abenteuer". Zunächst einmal schon deswegen, weil es hier nicht nur einen klassischen, atmosphärischen Score brauchte, sondern aufgrund des Radiothemas auch jede Menge richtiger Songs. "Und davon haben wir keinen einzigen eingekauft, sondern alle selbst geschrieben und aufgenommen - so dass jetzt alles wirklich auf den Punkt ist", sagt Papst.

Für die Musik unternimmt der Komponist eine Zeitreise in den Balkan der 1990er Jahre

Um dieses Ziel zu erreichen, sei aber erst allerhand Recherche notwendig gewesen, eine musikalische Zeitreise in den Balkan der 1990er Jahre sozusagen. Jugo-Pop, serbischen Rock, orientalische Disco, albanische Folklore - all das haben Papst und seine Mitstreiter imitiert, nach stilechten Sounds und Rhythmen geforscht, erst getextet und dann übersetzt sowie zu guter Letzt passende Sänger gesucht. "Es ging einfach darum, mit der Musik das damalige Lebensgefühl nachzuempfinden", sagt Papst, und dafür haben man keinerlei Mühen gescheut. "Schließlich hat das alles auch irre Spaß gemacht!"

Den Score beschreiben die Filmemacher als "untypisch und ambivalent. Alles oszilliert, zwischen Gut und Böse, Dichte und Verlorenheit. Die Gitarren zwischen lässig und atemlos. Ein drohender Unterton, denn das große Warum ist immer dabei." Man habe - wie üblich beim Film - vieles ausprobiert, erzählt Papst, und einiges wieder verworfen. Bläsersätze zum Beispiel hätten nicht gepasst. "Das Motto musste hier lauten: Weniger ist mehr." Denn nur so könne man die intensiven Gefühle in diesem Film transportieren, den Schrecken, das Flirren. Leichte Dissonanzen, der Hauch eines zarten Flautandos der Streicher - das seien hier die richtigen Mittel gewesen. "Und am Ende, da pumpt es natürlich, da geht das Adrenalin hoch."

Der Titelsong indes ist versöhnlich: Mit dem klassischen, druckvollen Rocksong im Stile der 90er möchten Papst, Zimmermann und Sängerin Dietz die Kinozuschauer nämlich mit dem guten Gefühl in die Nacht entlassen, dass sie gerade einen ganz besonderen Film gesehen haben. "Das Leben muss ja weitergehen", sagt der Komponist und lacht. "So, Leidl, let's look ahead", heißt es bei Zimmerschied.

Ein Trailer des Films ist hier zu finden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4112834
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.09.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.