Süddeutsche Zeitung

Ebersberger Forst:Feinkost hinterm Lattenrost

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Deutschlands Wälder werden tonnenweise von Plastikhüllen gegen Wildverbiss verschmutzt. Im Forst stehen nun erste Alternativen aus Holz und Jute vor der Premiere. Prominenter Tester: Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Die Produktneuheit hat etwas von einem Lattenrost: dünne Bretter, die mit zwei getackerten Bändern verbunden sind. Zum Quadrat gefaltet ergeben sie eine Schutzhülle für junge Bäume gegen den Verbiss von Wild. Für Rehe etwa sind hüfthohe Nadelbaumtriebe eine wahre Feinkost. Der Lattenrost der beiden Entwickler Hans Walther und Alfred Meyerhuber aus Ansbach soll den Feinschmeckern im Forst nun den Appetit verderben. Und zwar mit einem neuen System, das den Wald schont, statt ihn zu belasten. Das ist die Innovation dieses Produkts. Und der Grund für einen prominenten Besuch.

Freitagnachmittag im Ebersberger Forst, das Areal des Ebersberger Privatwaldbesitzers Martin Otter. Ein Tag im Zeichen des Schutzes. Keinem sieht man das besser an als Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), der dank Virusmaske und zweier Leibwächter mehrfach abgesichert auf dem Waldboden steht. Mit einer Tackermaschine befestigt Aiwanger die Schutzhülle sachgerecht an einem Pfosten. Der Mann in der Trachtenjoppe ist in diesem Moment mehr Landwirt als Minister. Eine Hülle aus Holz statt Plastik halte er "für eine begrüßenswerte Entwicklung", sagt der Minister. Wenn er die zerbröselten Plastikreste der Schutzhüllen im Wald sehe, "dann tut mir Herz und Auge weh".

Es geht um ein bundesweites Phänomen, dem sich die beiden Ansbacher angenommen haben: In Deutschlands Wäldern werden zum Schutz vor Wildverbiss im großen Stil Hüllen aus Plastik verwendet. Tausende dieser ein Meter hohen Röhren stehen im Ebersberger Forst, bundesweit werden nach Angaben der Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg jährlich zehn Millionen davon in Deutschlands Wäldern verbaut. "In Privatwäldern bleiben davon 80 Prozent zurück", so die Einschätzung Meyerhubers. In staatlichen Wäldern liege diese Quote bei 50 Prozent. So landen jedes Jahr mehrere tausend Tonnen Plastik im Wald, das nicht abgebaut wird und im Magen von Tieren zu einem grausamen Tod führen kann. Die Entwickler drücken es so aus: "Mir machen nun das gleiche im Wald, was wir schon in den Weltmeeren angerichtet haben."

Die Konstruktion aus Ansbach, so der Anspruch, ist zu hundert Prozent ökologisch abbaubar, sowohl das Holz als auch die Jute verrottet im Wald. Gleiches gelte für die Tackernadeln: Durch die Mischung aus Zink, Kohlenstoff und Eisen verrotte auch die Metallklaue rückstandslos. Vor der Verarbeitung zur Schutzhülle wird das Holz biologisch behandelt und ist dadurch wetterrobust. Für ein Bett wäre der Lattenrost allerdings ungeeignet: mit vier Brettern zu kurz und mit zwei Millimeter dünnem Kiefernholz zu instabil. Es gäbe wohl einen Kieferbruch der anderen Art.

Um die 20 Menschen sind zur Präsentation der Neuheit gekommen, ein ähnliches Produkt wurde unlängst in der Schweiz entwickelt. Dennoch finden sich in Bayerns Wäldern vor allem die Kunststoffvariante und deren Rückstände. "Es sieht teilweise aus wie Friedhöfe", sagt Aiwanger, der von der Tackermaschine kaum zu trennen ist. Um einem jungen Nadelbaum mehr Spielraum beim Wachstum zu bieten, hämmert er gleich zwei Pfosten in die Erde und flankiert das Gewächs mit acht statt nur vier Latten. Weniger Erdöl, sagt er. Mehr Holz.

Aiwanger betrachtet sein Werk. Es ist zu erfahren, dass eine Schutzhülle aus Holz 3,10 Euro netto kostet und damit etwa ein Euro mehr als die so beliebte Plastikvariante. Aber, erklären die Entwickler: Für die Entsorgung einer Plastikhülle muss man zusätzlich 2,85 Euro rechnen. Diese Kosten entfallen beim Lattenrost, der ja keiner ist. Am Ende isst dafür Hubert Aiwanger. Sein Mahl ist eine Ebersberger Feinkost: Wildschweinbratwurst vom Grill-Rost.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2021
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