Süddeutsche Zeitung

Ebersberg/Vaterstetten:AfD soll Kandidaten gegen ihren Willen aufgestellt haben

Lesezeit: 3 min

Zwölf Kandidaten ziehen sich von der Ebersberger Kreistagsliste zurück, zehn von der Vaterstettener Gemeinderatsliste.

Von Wieland Bögel, Ebersberg/Vaterstetten

Gegen die AfD gibt es Vorwürfe, bei der Aufstellung ihrer Listen sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Hintergrund ist der hohe Anteil an Kandidaten, die ihre Bewerbung zurückgezogen haben. In Vaterstetten waren es zehn, auf der Kreistagsliste sogar zwölf. Einige begründeten ihren Rückzug damit, sie hätten eine Petition gegen den Windpark im Forst unterschreiben wollen.

Dass sich Kandidaten von einer Wahlliste streichen lassen, ist im Wahlgesetz ausdrücklich vorgesehen. So gibt es dazu eine Frist, für die Kommunalwahlen war diese am 23. Januar. Parteien kalkulieren einen gewissen Schwund ein und nominieren Ersatzkandidaten, die einspringen, wenn Nominierte abspringen. Meist sind familiäre oder gesundheitliche Gründe dafür verantwortlich. Dass ein Bewerber erklärt, er habe gedacht, eine Petition zu unterschreiben ist aber eher ungewöhnlich. Genau dies - so wurde es in den Wahlausschüssen des Landkreises und der Gemeinde Vaterstetten öffentlich gesagt - hätten einige, meist ältere Bürger aber getan. Sie seien angesprochen worden, ob sie gegen den geplanten Windpark im Ebersberger Forst unterschreiben wollten, später hätten sie erfahren, dass sie auf der Gemeinderats- und/oder auf der Kreistagsliste der AfD stehen - und Widerspruch eingelegt.

Mit der Folge, dass die AfD am Ende statt 30 Gemeinderatskandidaten trotz Ersatzbewerbern nur noch 23 aufstellen kann, im Kreis schrumpfte die Bewerberzahl von 49 auf 37. Mindestens ein Kandidat, der für beide Gremien kandidiert, hatte weniger Glück: Wie im Vaterstettener Wahlausschuss zu erfahren war und wie es Kreiswahlleiter Paul Wenzel bestätigt, hatte der Kandidat offenbar erst nach Fristende den Wunsch verspürt, von der Liste gestrichen zu werden. Was laut Kommunalwahlgesetz nicht möglich ist. Ob alle, die sich erfolgreich haben streichen lassen, dachten, sie unterstützten eine Petition, ist unbekannt, viele Verzichtserklärungen wurden ohne Begründungen abgegeben.

Interessant ist, dass es bei der AfD für die Listenaufstellungen zweimal Nominierungsveranstaltungen - beide ohne Öffentlichkeit - gegeben hat, aus formellen Gründen ist nur die spätere gültig. Bei der ersten, so die Informationen der Wahlleitung, entsprach die Zahl der Bewerber jeweils weniger als einem Drittel der maximal zu vergebenden Sitze. Dies hätte zur Folge gehabt, dass die Partei Stimmen "verschenkt" hätte. Denn kreuzt jemand einfach eine Liste an, werden die Stimmen auf alle Bewerber verteilt. Da pro Bewerber maximal drei Stimmen zu vergeben sind, bemühen sich die Parteien stets, mindestens ein Drittel der Liste zu befüllen.

Bei der Partei ist man sich keiner Schuld bewusst, will die Vorwürfe aber prüfen

Nach der offiziellen Nominierung reichte die AfD eine Liste mit 30 Gemeinderats- und 49 Kreistagskandidaten ein. Dies geschah sehr kurz vor dem Ende der Frist, bis zu der ein Rückzug der Bewerber möglich ist. Ungewöhnlich auch, dass - im Gegensatz zu allen anderen Parteien - die AfD nie die auf der Nominierungsveranstaltung zustande gekommenen Listen veröffentlicht hat. Erst eine Woche nach Fristende wurden die gekürzten Listen veröffentlicht.

Seitens der AfD ist man sich keiner Schuld bewusst. "Nach vorläufiger Beurteilung und ersten internen Rückfragen können wir uns nicht vorstellen, dass Kandidaten gegen ihren ausdrücklichen Willen auf eine Liste gesetzt wurden", schreibt der Bundestagsabgeordnete, Bezirks- und kommissarische Kreisvorsitzende Wolfgang Wiehle auf eine Anfrage der SZ. "Wir gehen davon aus, dass erwachsene Bewerber (...) wissen, was sie unterschreiben" so Wiehle weiter. Ob "jemand dabei Tragweite und Aufgabenlast einer Kandidatur zum Beispiel altersbedingt zunächst falsch einschätzt", könne man nicht beurteilen. Den Vorwürfen "werden wir selbstverständlich nachgehen", schreibt Wiehle, dies werde aber noch etwas dauern.

Dass man sehr viele eher ältere Bewerber auf der Liste habe - in Vaterstetten liegt der Altersschnitt bei knapp über 70 Jahren - sei ebenfalls unproblematisch: "Die Nominierung einer 96-Jährigen ist zwar ambitioniert. Wenn sie noch geistig rege ist, sehen wir darin grundsätzlich kein Ausschlusskriterium", so der kommissarische Kreisvorsitzende. "Ob es einem Kandidaten an der nötigen Fitness fehlt, können Außenstehende nicht unbedingt schnell feststellen." Auch die Zahl der Rückzieher sieht Wiehle gelassen: "Dass manche Kandidaten (...) es sich einfach anders überlegen und ihren Rückzug erklären, kommt in allen Kreisverbänden vor und ist kein Alarmzeichen für mich."

Für die Gültigkeit der AfD-Wahllisten hat dies keine Auswirkungen. Denn laut Gesetz prüfen die Wahlausschüsse lediglich, ob die formalen Voraussetzungen erfüllt sind - und dies scheint der Fall zu sein. Die Listen wurden rechtzeitig und in der korrekten Form eingereicht. Man überprüfe lediglich, ob die Unterschriften in korrekter Form vorliegen, sagt Wenzel, nicht aber, warum jemand unterschrieben hat. Ähnlich formuliert dies Georg Kast, Büroleiter des Bürgermeisters in Vaterstetten: "Es ist nicht Aufgabe der Gemeinde, das Zustandekommen der Willenserklärung zu prüfen", das gebe das Wahlgesetz gar nicht her. Darum "müssen wir unterstellen, dass jeder weiß, was er unterschreibt".

Die damit eingegangene Verpflichtung gilt allerdings nur bis zum Wahltag. Sollte jemand gegen seinen Willen tatsächlich in Kreistag oder Gemeinderat gewählt werden, muss derjenige das Mandat nicht annehmen. Ebenfalls möglich ist, das Mandat anzunehmen, sich aber nicht der AfD-Fraktion anzuschließen. Denn auch auf kommunaler Ebene gilt, dass Mandatsträger nur ihrem Gewissen verpflichtet sind.

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Quelle:
SZ vom 06.02.2020
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