Süddeutsche Zeitung

Prozess in Ebersberg:Wurde sie Opfer eines Schülerkomplotts?

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Eine Lehrerin aus Poing steht wegen Körperverletzung an Kindern vor Gericht. Am ersten Prozesstag ergibt sich jedoch ein neues Bild.

Aus dem Gericht von Andreas Junkmann, Ebersberg/Poing

Der Fall hatte vor etwa eineinhalb Jahren hohe Wellen geschlagen und für einen handfesten Skandal an der Poinger Grund- und Mittelschule gesorgt: Eine Lehrerin soll sich im Rahmen eines Adventsmarktes schwer betrunken und drei Schüler tätlich angegriffen haben. Seit diesem Mittwoch muss sich die 61-Jährige dafür nun vor dem Ebersberger Amtsgericht verantworten. Nach den ersten sechs Verhandlungsstunden und acht gehörten Zeugen, erscheinen die Dinge allerdings in einem etwas anderen Licht. Zwar hatte die Lehrerin an dem Abend des 29. November 2017 tatsächlich zu tief ins Glas geschaut und einen Zwist mit drei Schülern gehabt, die Auseinandersetzung war aber wohl weniger schlimm, als ihr in der Anklageschrift unterstellt wird.

Dort heißt es, die Frau aus dem nördlichen Landkreis habe die damals acht- und neunjährigen Buben am Hals gepackt und ihnen ins Gesicht und auf den Oberkörper geschlagen. Einer der Jungen warf der Lehrerin zudem vor, sie habe ihn und seine Freunde als "scheiß Ausländer" beschimpft. Zu den Vorwürfen wollte die Angeklagte selbst keine Stellung nehmen, ihr Anwalt machte aber von Beginn an klar, dass er nachweisen wolle, seine Mandantin habe die Straftaten nicht begangen. "Sie hat weder wissentlich, noch unwissentlich auf die Jugendlichen eingewirkt."

Zunächst galt aber zu klären, in welchem Zustand sich die Angeklagte bei der vermeintlichen Tat befunden hat. Und nach Aussage eines Polizisten der Inspektion Poing war dieser mit "angetrunken" wohl noch recht wohlwollend umschrieben. "Die Frau hat stark gerötete Augen gehabt und ein normales Gespräch war kaum möglich", gab der Beamte zu Protokoll. Diese Angaben stützt auch der durchgeführte Alkoholtest, der einen Wert jenseits von einem Promill ergab. Es ist zudem nicht das erste Mal, dass die Frau im Zusammenhang mit Alkohol auffällig geworden ist. Wie sich im Laufe der Verhandlung herausstellte, wurde ihr etwa ein halbes Jahr später, im August 2018, wegen Trunkenheit im Verkehr der Führerschein entzogen.

Da zum genauen Tathergang aber weder der Polizeibeamte noch die ebenfalls geladene Schulleiterin genauere Angaben machen konnten, musste Richter Dieter Kaltbeitzer der Reihe nach alle beteiligten Kinder vernehmen - und der Vorsitzende bekam eine bemerkenswerte Vorstellung geboten. Denn wie sich schon nach kurzer Zeit unschwer erkennen ließ, hatten sich die Buben vor der Verhandlung offenbar recht genau abgesprochen. Zumindest begann jede der drei Aussagen mit den gleichen Worten: "Wir haben in der Aula Fangen gespielt. Dann hat der Hausmeister gesagt, wir sollen damit aufhören."

Die konkreten Erinnerungen der Schüler driften auseinander

Danach allerdings driften die Erinnerungen der Schüler deutlich auseinander. Während einer unter Tränen behauptete, er und sein Freund seien von der Lehrerin gepackt und auf den Boden geworfen worden, sagte ein anderer aus, er sei an den Haaren gezogen und am Hals gekratzt worden. Der Dritte wiederum gab an, dass die Sache eigentlich gar nicht so schlimm gewesen sei. Stutzig machte die Prozessbeteiligten auch, dass die Aussagen der drei Schüler bei der Polizei noch völlig anders geklungen hatten. Dort war unter anderem von Schlägen und Würgegriffen die Rede. "Ich bin der Überzeugung, dass wir es hier trotz des jungen Alters mit einem Aussagekomplott zu tun haben", sagte deshalb der Verteidiger.

Und auch Richter Kaltbeitzer konnte sich dieser Vermutung nicht ganz erwehren, zumal die Vernehmung einer weiteren Zeugin wieder ein anderes Bild auf den Fall warf. Die Lehrerin hatte die Auseinandersetzung beobachtet, "von schütteln, schlagen oder würgen habe ich aber nichts mitbekommen". Die Angeklagte habe die Schüler zwar lautstark ermahnt, Gewalt angewandt oder Beleidigungen ausgesprochen habe sie aber nicht. Im Gegenteil: Der Lehrerin zufolge habe ihre Kollegin eher die Schwester von einem der drei Buben beschützen wollen, die von der Gruppe in der Vergangenheit wohl schon öfter gehänselt worden ist.

Wo genau in diesem Fall die Wahrheit liegt, konnte die Verhandlung am Mittwoch noch nicht mit letzter Sicherheit klären. Ein Fortsetzungstermin mit weiteren Zeugen ist deshalb für Anfang nächster Woche angesetzt. Dann wird auch ein Urteil erwartet.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2019
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