Süddeutsche Zeitung

Jugendkulturpreis Ebersberg:Traumhafte Albträume

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Nachts schlüpfen die Geister, die Gedanken verfinstern sich: Der künstlerische Nachwuchs setzt sich diesmal mit den Schattenseiten des Lebens auseinander. Die Jury kürt elf Gewinner.

Von Anja Blum, Ebersberg

Wer "nachts wach" ist, hat wahrscheinlich entweder jede Menge Spaß - oder aber große Sorgen. Insofern eröffnete der diesjährige Jugendkulturpreis mit diesem Thema ein höchst breites Spielfeld der Interpretationen, das offenbar viele junge Kreative aus dem Landkreis Ebersberg angesprochen hat. 84 Arbeiten wurden beim Kreisjugendring eingereicht - ein neuer Rekord. "Und ihr habt es uns wirklich nicht leicht gemacht, zu entscheiden", sagte Jurymitglied Luci Ott bei der Preisverleihung am Sonntagnachmittag. "Und irgendwie seid ihr ja alle Gewinner, alleine schon deswegen, weil eure Werke hier beim Kunstverein zu sehen sind, wo normalerweise nur die Großen ausstellen." Tatsächlich aber hatte die Jury ihre Pflicht erfüllt - und elf beste Werke auserkoren.

Viele Teilnehmende samt Familien und Freunden waren gekommen, um die Kunstwerke zu bestaunen und die Entscheidungen der Jury zu vernehmen, im Studio an der Rampe war fast kein Durchkommen mehr. Trotzdem war die Laune überall bestens, das Interesse groß. Und der Youngsters Music Club verlieh der Veranstaltung einen edel-lässigen musikalischen Rahmen: Das Quartett der Ebersberger Musikschule, bestehend aus zwei Schülern und zwei Lehrern an Gitarre, Bass, Klavier und Akkorden, brachte wunderbar verjazzte Covers von Michael Jackson, den Beatles und anderen zu Gehör und erntet dafür verdient viel Applaus.

Beim Rundgang durch die Galerie zeigte sich dann schnell, dass sich die meisten jungen Künstlerinnen und Künstler mit den negativen Aspekten von "nachts wach" auseinandergesetzt hatten. Lustige Partybilder? Fehlanzeige. Zwischen vielen albtraumartigen Darstellungen mit Monstern oder Skeletten fanden sich allenfalls ein paar neutrale Themen, düstere Stadtszenen etwa oder nachtaktive Tiere. Ja, die Dunkelheit und die Stille können durchaus Angst machen, sie lassen oft Geister schlüpfen, die Gedanken sich verfinstern. So dezidiert politisch wie in den vergangenen Jahren aber ist die Schau diesmal nicht.

Was jungen Menschen alles Anlass zur Sorge geben kann, zeigt zum Beispiel die vielfältige Graphic Novel, mit der es die Klasse 10f des Vaterstettener Gymnasiums auf den dritten Platz in der Kategorie "Gruppen" geschafft hat: Diverse beunruhigende aktuelle Nachrichten sind hier als Comics oder Collagen dargestellt. Vom Ukrainekrieg über die WM in Katar bis hin zu Corona oder Tierschutz. Auf Platz zwei landete ein Duo, Katharina Antrette und Amina Hölm. Die beiden 13-Jährigen haben aus diversen Materialien ein duales, Albtraum-Haus gebastelt, changierend zwischen "awake" und "sleep". Diese Arbeit sei sehr konkret und zugleich abstrakt, lobte die Jury, und eine bemerkenswerte Handarbeit.

Der erste Preis unter den Gruppenarbeiten ging wieder an eine Klasse, nämlich die MS3 der Korbinianschule Steinhöring. Die Zwölf- bis 14-Jährigen haben zusammen mit ihren Pädagogen eine dreidimensionale Wandarbeit inklusive digitaler Tonspur geschaffen, ein "ganz eigenes Universum", wie die Jury sagte. Auf einer bunten Leinwand kleben ebenso bunte kleine Schalen aus Pappmaché, in denen wiederum teils kleine Aufkleber mittels Sprachstift hören lassen, woran die Jugendlichen in der Nacht denken. An den Mond etwa, oder den Wettbewerb. Doch der absolute Clou kommt erst im Dunkeln zum Tragen: Manche der Schalen sind mit fluoreszierender Farbe bemalt, dimmt man das Licht, leuchten sie plötzlich in Form eines Sterns auf. "Diese Arbeit beweist, wie wichtig eine gute pädagogische Begleitung ist", sagte die Jury: Der Klasse sei ein wunderbarer Rahmen vorgegeben worden - mit größtmöglichem Spielraum für individuellen Ausdruck.

Auf Platz drei und zwei der Jüngeren (sieben bis zwölf Jahre) landeten diesmal Geschwister: Die siebenjährige Lea Chevalier überzeugte mit einem kleinen Bild, das die Jury humorvoll als "Kinder-Pop-Art" bezeichnete. Ein buntes Haus vor einem übervollen Sternenhimmel, auf dem Dachfirst spaziert eine Figur in Zipfelmütze und geschlossenen Augen, also vermutlich ein Schlafwandler. Drumherum: ein silbernen Rahmen mit Sternen drauf. "Dieses Bild würde sich auf jedem Nachtkästchen super machen!", hieß es in der Laudatio. Joschua Chevalier, elf Jahre alt, hat hingegen filmisch gearbeitet. In seinem Stop-Motion-Streifen wird nachts plötzlich das Spielzeug lebendig. "Eine lustige Geschichte mit tollen Effekten und Musik - wir haben sehr gelacht", erzählte einer der Juroren.

Gerade mal acht Jahre als ist die Gewinnerin des ersten Preises der Jüngeren: Marie Sieben hat eine umfangreiche Mixed-Media-Mappe eingereicht, mit Geschichten, Gedichten, Zeichnungen und sogar Musik dazu. In erster Linie geht es darin um eine kleine "Nachtfee", die gerne Abenteuer erleben würde, aber dann doch mächtig erschrickt, als sie plötzlich ein Klopfen vernimmt... Die Zeichnungen sind höchst expressiv, die Wendungen der Story so humorvoll wie überraschend, und obendrein spielt Marie auf einem Video noch Klavier und Fagott dazu. Das Urteil der Jury: "Das hat uns einfach umgehauen!"

Mit einem raffinierten malerischen Zitat wusste Lena Medve zu beeindrucken, die Jury verlieh der 17-Jährigen den dritten Preis in der Kategorie der Älteren (13 bis 21 Jahre). Ihre kleine Zeichnungsskulptur verbindet zwei berühmte Gemälde Vincent van Goghs, seine "Sternennacht" und den "Sommerabend in der Stadt". Bei Medve befinden sich beide Bilder auf Vorder- und Rückseite eines festen Blattes, das sie zu einer Spiralkomposition verdreht hat. "Und diese spannende Art der Darbietung fordert wirklich zu neuen Interpretationen heraus - weiter so!", lobte die Jury.

Einen Schrecken jagte Wibke Friedrich den Juroren zunächst ein: Die 16-Jährige hat eine maßstabsgetreue weiße Schleiereule gestaltet, die dermaßen echt aussieht, dass man sich über kräftige Flügelschläge ihrerseits nicht wundern würde. Doch den Kopf einzuziehen ist nicht notwendig, der Vogel besteht aus Papier, Ton und Modelliermasse aus einem 3-D-Stift. Die Jury lobte die Detailverliebtheit des Objekts - und vergab trotz des anfänglichen Schreckmoments, oder wahrscheinlich genau deswegen, dafür einen zweiten Preis.

Wie schwer den Juroren die Auswahl heuer gefallen sein muss, beweist der erste Preis der Älteren - den der wurde gleich zwei Mal vergeben. Beide Werke waren auf dieselbe Punktzahl gekommen. Josepha Oekl, die auch die Wahl des Publikumspreises für sich entscheiden konnte, überzeugte mit einer Art szenischer Skulptur: mit einem kleinen, detailverliebt eingerichteten Zimmer samt Text. Beides zusammen protokolliert eine schlaflose Nacht, das Grübeln und Zaudern, das genau Hinfühlen und dann wieder Wegschieben: "Eine Nacht, ein Raum, tausend Gedanken". Und zu fast jeder Zeile gibt es in dem Zimmer eine Entsprechung: Da der Spiegel, hier die leeren Flaschen am Boden.

Ebenfalls ganz vorne sag die Jury aber auch den "Blick in den Spiegel" von Alicia Bähr. Die 16-Jährige hat ein klassisches Gemälde eingereicht - und zugleich "ein sehr mutiges Werk", wie eine der Jurorinnen betonte. Das Bild zeigt eine Prostituierte beim Schminken. Eine sehr junge Frau in schulterfreiem Oberteil, das eine Auge blau geschlagen, aus dem anderen rinnt eine Träne. In der Ecke unten sitzt ein kleiner Teddybär. Ein beigefügter Text beweist, dass sich die junge Künstlerin intensiv mit dem schwierigen Thema auseinandergesetzt hat, und nicht nur das. "Du hältst uns den Spiegel vor, diese Arbeit hat uns sehr berührt."

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