Süddeutsche Zeitung

Südlicher Landkreis Ebersberg:Reflexionen für Auge und Gehirn

Lesezeit: 6 min

Bei der "Atelier-Diagonale" am kommenden Wochenende geht es freilich um Kunst - aber nicht nur. Denn die beteiligten Malerinnen und Bildhauer lieben alle auch das gute Gespräch. Außerdem gibt es etwas zu sammeln.

Von Anja Blum, Ebersberg

Natürlich geht es um Kunst an diesem Wochenende. Aber beileibe nicht nur. Es sind die unterschiedlichsten Menschen, die am Samstag und Sonntag, 13./14. Mai, in ihre Ateliers einladen, und sie haben ganz unterschiedliche Themen. Doch sie alle eint, dass sie sich professionell der Kunst verschrieben haben - und darüber hinaus gute Gespräche lieben. Bei dieser Kunst-Rundfahrt durch den südlichen Landkreis Ebersberg lässt sich also trefflich über Kreativität, Bildkomposition oder Pigmente diskutieren. Darüber hinaus aber auch regelrecht philosophieren, etwa über Umweltschutz, Architektur, soziale Themen, das Gärtnern oder das Menschsein an sich.

Neun Künstlerinnen und Künstler haben sich heuer der bereits traditionellen "Atelier-Diagonale" angeschlossen: Johannes Gottwald, Gisela und Stefan Heide, Ingrid Köhler, Chantal Maquet, Andreas Mitterer, Maja Ott, Rosa Pfluger und Robert M. Weber. Die offenen Ateliers sind über den ganzen südlichen Landkreis verteilt, von Ebersberg und Grafing über Pullenhofen und Herrmannsdorf bis nach Moosach und Zorneding führt diese einmalige Kunsttour, die Sportliche sogar mit dem Fahrrad bewältigen könnten.

Neue Aktion: Jeder Besuch wir mit einem individuellen Stempel quittiert

In Richtung "Challange" geht auch eine neue Aktion der Diagonale: Der Flyer dient als Stempelkarte, mit der man seine Teilnahme quasi nachweisen kann. Denn jeder der Künstlerinnen und Künstler hat einen persönliches Motiv entworfen, mit dem er den Besuch quittiert. Stempeln gehen? Das müssen schließlich nicht nur manche Kreative, sondern viele Menschen. Oder geht es vielmehr darum, der Gegenwart den Stempel der Kunst aufzurücken? "Das wollen wir zumindest versuchen", sagt Gottwald und lacht.

Fest steht bereits jetzt: An den Wirkungsstätten all dieser Künstler, Malerinnen und Bildhauer gibt es unglaublich viel Spannendes zu entdecken. Sie zeigen ihren Gästen nämlich nicht nur, was sie gerade beschäftigt, und woran sie aktuell arbeiten - sondern auch, wo und wie. Da sieht man vollgekleckste Böden, massenweise Leinwände, Farbtiegel und Pinsel, mal filigranes Material, dann wieder schweres Gerät, Entwürfe neben Fertigem, da akribische Ordnung, dort kreatives Chaos.

Ganz neu dabei ist Robert Weber, ein Bildhauer aus Grafing, der sich auf sakrale Kunst am Bau spezialisiert hat. "Deswegen habe ich nie viel ausgestellt", erklärt er. Doch jüngst habe sich, wegen der Corona-Verwerfungen und einer Zusammenarbeit mit dem Museum der Stadt Grafing, sein Fokus etwas aufs Lokale verschoben. "Außerdem haben wir ja fast alle zusammen in München studiert", sagt Weber mit Blick auf die Diagonale-Künstler. Deswegen sei es für ihn nur folgerichtig, sich dem jährlich wiederkehrenden Projekt nun anzuschließen.

In Webers Atelier, das eher einer Galerie gleicht, gibt es Kunst aller Art zu bestaunen, und beileibe nicht nur Sakrales, sondern vor allem freie Arbeiten. Abstraktes und Gegenständliches, Skulpturen aus Holz und Metall, Objektkästen, aber auch sogenannte Flachware. Farbig gestaltete Glasflächen zum Beispiel faszinieren Weber sehr, genauso wie eine neue Serie von Tafeln: silbernes Aluschlagmetall, auf das der Künstler ganz dünn Ölfarbe aufgetragen hat, türkis, rosa, golden. Und tatsächlich: Dieses geheimnisvolle Leuchten, diese sich ständig verändernde Reflexion sucht Seinesgleichen. "Wie farbiges Licht einen Raum gestalten kann, darum geht es mir schon lange", erklärt Weber. Und um in diesen Kosmos immer weiter vorzudringen, erkundet er als Künstler stets neue Wege, scheut vor allem technisch keinerlei Herausforderung.

Ebenfalls in Grafing arbeitet die Malerin Gisela Heide. Ihr Herzensthema ist der menschliche Körper samt seiner Hülle, das "Tragwerk", wie Heide sagt. So gibt es auch diesmal wieder viele Arbeiten zu sehen, die mit Stoffen, Mustern und Schnitten spielen. Darüber hinaus stellt Heide auch eine neue Serie freier, abstrakter Malerei vor: kleinformatige, zweigeteilte Bilder, die das Auge rege wandern und nach Assoziationen suchen lassen. "Da wollte ich technisch und formal etwas ausprobieren, indem ich Dinge vereine, die eigentlich nicht zusammengehören", erklärt die Künstlerin, "denn die Störfelder haben mich interessiert." Zum einen hat Heide mit Ölfarbe und Tusche gearbeitet - eigentlich ein No-Go - und zum anderen die so bemalten Kartons zerschnitten und die Fragmente dann neu kombiniert. "Durch beides haben diese Bilder ein ganz starkes Eigenleben entwickelt, das war sehr spannend."

Wiederum ein Bildhauer ist Johannes Gottwald, den man in Herrmannsdorf besuchen kann. Sein Markenzeichen sind Bilder und Skulpturen aus gewelltem und mit alten Kabeln vernähtem Holz. Da schwebt zum Beispiel ein raumschiffartiges Teil an der Decke, darunter steht eine außergewöhnliche Kommode, an der Wand hängt ein bunter Wirbel. Und vor dem Atelier wird am Wochenende die Motorsäge zum Einsatz kommen, denn damit möchte der Bildhauer einen großen Baumstamm "zusammenfalten". Gebinde, Gewebe, Geflechte - das sei eines seiner Leitmotive, erklärt Gottwald, mit Goethe könnte man sagen: Dieser Künstler erforscht, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und zwar mit Säge, Klüpfel und Stemmeisen.

Maja Otts Metier ist die organische Form. Nicht umsonst zeigen ihre Stempelvarianten eine Blüte, einen Baum und eine Qualle, und dergleichen findet sich auch auf ihren Hinterglasbildern. Die Malerin aus Moosach nämlich hat sich spezialisiert auf zauberhafte Panoramen voller natürlicher Gebilde. Eine Unterwasserserie zeigt zum Beispiel Korallen, Algen oder Tintenfische, eine andere Arbeit widmet sich bereits ausgestorbenen Pflanzenarten. "Da soll man doch wissen, wie die ausgesehen haben", sagt Ott voller Entrüstung in der Stimme. Doch nicht nur aktuelle Werke wie dieses wird sie ausstellen, sondern auch ein paar alte Acryl- und Ölbilder. "So kann man nämlich schön die Entwicklung sehen."

Einen wahrhaft umfassenden Querschnitt künstlerischen Schaffens bietet das Atelier von Stefan Heide. Dort nämlich herrscht die Fülle des kreativen Chaos'. Leinwände noch und nöcher stapeln sich, genauso wie Skulpturen, Objekte und Masken, überall Pinsel, Papier und Farben, obendrein diverses Material, das noch auf seine Bestimmung wartet. "Ja, das ist mein Spielplatz", sagt Heide und lächelt, "aber es gibt überall Schneisen, die begehbar sind." Sofort ins Auge fällt, dass der Künstler neuerdings unter die Turmbauer gegangen ist. Schallplatten, Fliesen, Glasplatten, Steine: Alle möglichen Dinge hat er übereinander gestapelt, teils mannshoch. Humorvolle Installationen sind das, wenngleich sie für Heide auch einen ernsthaften Hintergrund haben: "Der Turm ist doch eine tolle Metapher fürs Mensch- oder vor allem Mann-Sein: Wie hoch kann ich bauen, bis er zusammenfällt?"

Ein leidenschaftlicher Experimentierer ist auch Andreas Mitterer. Der Chef des Ebersberger Kunstvereins öffnet sein Atelier in der Kreisstadt, ein Labor erster Güte. Bis unter die Decke ist der Raum vollgestopft mit Materialien und Werkzeugen unterschiedlichster Art. Gummiteile, Plastik in allen Variationen, ein Sammelsurium an Bällen, Seilen, Bürsten und Reifen, Leuchtobjekte, Spiegel, Kindergartenstühle, Kabel, Dias, Filmdosen und alte Elektrik. Eine Staffelei sucht man hier vergeblich. Mit dem klassischen weißen Blatt beginne er nur selten, sagt Mitterer. Meist sei es die Materialität von Fund- oder Schenkstücken, die ihn inspiriere. Seine Spezialität ist die Transformation: Postkarten oder Plattencover übermalen, Dinge mit Klebeband umwickeln, Plastik anschmelzen, Abgüsse herstellen oder Schläuche durchlöchern - und dann sehen, was passiert. So entsteht Serie um Serie, denn Einzelstücke produziert der Ebersberger quasi nie.

"Flower Power" hingegen erwartet die Besucher von Ingrid Köhler in Zorneding. "Dieses sehr weibliche Thema war ja lange verpönt - aber nun ist es wieder en vogue", freut sich die Künstlerin, die als leidenschaftliche Gärtnerin bereits seit Jahrzehnten Blumenbilder malt. Nun sind alle Wände ihres Ateliers bestückt mit überbordenden impressionistischen Blütengemälden. Rote Malven konkurrieren hier mit gelben Nachtkerzen um die Gunst des Betrachters, in einem üppig blühenden Birnbaum hat sich ein Vögelchen versteckt. Alte und neue Werke zeigt Köhler - doch epochale Unterschiede sind nicht erkennbar. Stets weiß die Malerin die Natur, unter freiem Himmel eingefangen, in altmeisterlicher Technik auf Leinwand zu bannen, so dass jede Blüte scheinbar von innen heraus leuchtet.

Als Gast hat Köhler erneut Rosa Pfluger eingeladen, die sich diesmal im ehemaligen "Millikammerl" des Zornedinger Hofes eingerichtet hat. "Das passt nämlich super zu meinem Thema", sagt die Pöringerin, "denn es geht um Landwirtschaft und Raumfahrt". Zwei Bereiche, die viele Parallelen aufwiesen: "In beiden kommen hochspezialisierte Geräte zu Einsatz, und oft geht es um Bodenproben." Außerdem seien beide im Ansehen sehr gesunken, seit der technische Fortschritt durchaus kritisch hinterfragt werde.

Mit einer humorvollen Rauminstallation lädt Pfluger nun also ihre Besucher ein, auf Weltraummission zu gehen. Hinter einem dunklen, mit spacigen Nudeln bestückten Vorhang liegt ein selbst gebastelter Kontrollraum. Bunte Lämpchen blinken, verzerrte Mundharmonika sorgt für einen crazy Sound, es gibt eine höchst unscharfe "Liveschalte": In rätselhaften Bildern kann man die Fahrt eines "Space-Mähdreschers" verfolgen. Was er wohl über diesen fernen Planeten herausfinden wird?

Ebenfalls wieder Teil der Atelier-Diagonale ist das Meta Theater in Moosach. Dort kann man am Samstag, 13. Mai, um 19 Uhr eine Lecture Performance erleben: Chantal Maquet, die seit vielen Jahren das grafische Gesicht des Theaters gestaltet, setzt sich mit Kolonialismus und Alltagsrassismus auseinander. Unter dem Titel "Das hat ja nichts mit mir zu tun" stellt sich die luxemburgische Künstlerin, ausgehend von ihrer eigenen Familiengeschichte, der Frage nach individueller und gesellschaftlicher Verantwortung.

Atelier-Diagonale in Moosach, Herrmannsdorf, Pullenhofen, Grafing, Ebersberg und Zorneding: Samstag, 13. Mai, von 15 bis 20 Uhr und Sonntag, 14. Mai, von 11 bis 20 Uhr.

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