Süddeutsche Zeitung

Antrag der SPD Ebersberg:"Integration geht über den Tod hinaus"

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Muslime bestatten ihre Verstorbenen traditionell nicht im Sarg, sondern nur in Tücher eingewickelt. Ebersberg könnte die erste Kommune im Landkreis sein, die das nun ermöglicht

Von Jörg Lehne, Ebersberg

Es ist für sie eine Frage der Rücksichtnahme und des Respekts: Doris Rauscher, SPD-Stadträtin in Ebersberg, hat einen Antrag eingebracht, um die städtische Friedhofssatzung zu ändern. Ihr Ziel ist es, dass auf dem Neuen Friedhof bald Beerdigungen auch ohne Sarg stattfinden können. Ihr Antrag ist der erste dieser Art im Landkreis Ebersberg - und dürfte insbesondere Muslimen aus der Seele sprechen: Traditionell werden Verstorbene im Islam nur in Tücher eingewickelt, bevor sie beigesetzt werden.

In Bayern war diese Art der Bestattung bis vor kurzem allerdings nicht möglich. Der Wunsch vieler Muslime ist es daher, nach ihrem Tod in ihre erste Heimat zurückgebracht und dort beerdigt zu werden, wie Arif Taşdelen, integrationspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, berichtet. Für viele Hinterbliebene sei daher in der Zeit der Trauer das Wichtigste, einen schnellen Flug zu organisieren.

Erst am 1. April 2021 kam Bewegung in diese Angelegenheit: Mit Inkrafttreten der Bayerischen Bestattungsverordnung in einer neuen Fassung wurde der Sargzwang in Bayern gelockert. Im ganzen Bundesland ist die Erdbestattung in einem Leichentuch ohne Sarg aus religiösen und weltanschaulichen Gründen nun grundsätzlich erlaubt. In den meisten anderen Bundesländern gibt es ohnehin bereits keinen Sargzwang mehr.

Doch wie reagieren die bevölkerungsstärksten Gemeinden im Landkreis auf die neue Gesetzeslage? Die Antworten fallen unterschiedlich aus. In Vaterstetten ist sie kurz: Eine Auskunft sei noch nicht möglich. Aus Kirchseeon berichtet Bürgermeister Jan Paeplow, dass das ein aktuelles Thema in der Gemeinde sei. "Es ist aber noch nichts geplant," denn noch sehe man den Bedarf für eine Änderung der kommunalen Friedhofssatzung nicht.

Für Thomas Stark, Bürgermeister der Gemeinde Poing, stellt sich die Lage recht unkompliziert dar: Ein Sargzwang ist in der örtlichen Friedhofssatzung nämlich gar nicht enthalten. "Die Lockerung der Sargpflicht kann bei uns problemlos umgesetzt werden", so Stark. Er sieht die Verantwortung letztendlich bei den Bestattungsunternehmen. Sollten Erdbestattungen ohne Sarg angefordert werden, müssten diese "sicherstellen, dass dadurch die Würde der Verstorbenen sowie das sittliche Empfinden der Allgemeinheit sowie gesundheitsschutzrechtliche Bestimmungen nicht verletzt" würden. Anderenfalls sei dem Bestatter seine Zulassung für den Gemeindefriedhof zu entziehen, so der Rathauschef. Auch bei einer Bestattung im Leichentuch müsse etwa gewährleistet werden, dass der Verstorbene insbesondere aus Rücksicht gegenüber den Hinterbliebenen achtsam in die Grabstätte hinabgelassen werde. Qualifizierte Bestattungsunternehmen mit geschultem Personal würden dies jedoch mit Sicherheit beachten, so Stark.

In anderen Gemeinden stellen sich viel profanere Probleme. Für Christian Bauer etwa, Bürgermeister der Stadt Grafing, ist das Thema nicht neu, doch man wolle sich mit der Entscheidung über eine Änderung der Friedhofssatzung noch zurückhalten. Denn zunächst gelte es, die verschiedensten Faktoren abzuwägen, die bei einer sarglosen Bestattung zu beachten seien. Zunächst einmal müsse die örtliche Bodenbeschaffenheit überprüft werden, auch die hygienischen Anforderungen gelte es zu klären, dazu seien etwa Gespräche mit den Bestattungsunternehmen notwendig. Gegebenenfalls müsse zudem die Kostensatzung angepasst werden, so Bauer. Ausschlaggebend scheint aber die Frage des Bedarfs zu sein: Anfragen habe es in Grafing bislang nicht gegeben, daher wolle man noch abwarten. Einen großen Handlungsdruck spüre er bisher nicht, so Bauer: "Ich gehe nicht davon aus, dass da Anfragen kommen."

Anders dagegen in Markt Schwaben. "Wir hatten das Thema auf dem Schirm. Auch schon vor dem 1. April", sagt Michael Stolze, der Bürgermeister. Seine Gemeinde ist diejenige mit dem größten Migrationsanteil im Landkreis. Hier hatte man daher bereits in der Vergangenheit mit Anträgen für sarglose Bestattungen zu tun. Nun soll die Frage bald im Gemeinderat auf die Tagesordnung gesetzt werden. Man habe sich schon mit Bestattungsunternehmen in Verbindung gesetzt. Wenn es zur Diskussion kommt, will Stolze alle Fragen beantworten können, auch die ganz praktischen, wie die der Lagerung und des Transports. Problematisch sieht der Bürgermeister aber schon jetzt die Bodenbeschaffenheit der Gemeindefriedhöfe: Ohne Sarg sind die Verstorbenen in direktem Kontakt mit dem Erdreich. Markt Schwaben stehe aber auf besonders lehmigem Boden, dazwischen befänden sich vielerorts Schichten Wasser. Noch sei nicht geklärt, welche Auswirkungen eine sarglose Bestattung unter solchen Gegebenheiten auf den Boden und das Grundwasser habe, sagt Stolze.

In der Stadt Ebersberg wird sich der Umwelt-, Sozial- und Kulturausschuss am 18. Mai mit dem Antrag der SPD-Fraktion beschäftigen. Mit seiner Zustimmung würde der Ausschuss den Auftrag erteilen, die Satzung entsprechend anzupassen und sarglose Bestattungen zu erlauben. In der Verwaltung habe man keine Bedenken gegen eine entsprechende Änderung, heißt es aus dem Rathaus. Man hoffe aber noch auf einen Mustertext des Freistaates. Wirksam wird die neue Friedhofssatzung erst, nachdem der Stadtrat zugestimmt hat.

Ob am Ende die Politik oder doch äußere Umstände über den Antrag entscheiden, ist noch offen. Denn auch die Stadt Ebersberg steht laut Doris Rauscher auf einem sehr lehmhaltigen Untergrund. Dessen ungeachtet sei es ihr wichtig, schon jetzt eine Grundsatzentscheidung zu treffen und der Öffentlichkeit bekanntzumachen, dass es das neue Gesetz gebe und welche Möglichkeiten es biete. Man setze damit ein Zeichen des Respekts für anderen Kulturen. Wenn es um Integration geht, müsse man auch über den Tod nachdenken, so Rauscher. Mehr noch: "Integration geht über den Tod hinaus."

Der Ebersberger Umwelt-, Sozial- und Kulturausschuss am Dienstag, 18. Mai, beginnt um 18 Uhr in der Mensa der Schule Floßmannstraße.

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SZ vom 18.05.2021
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