Süddeutsche Zeitung

Im Rathaus:Bürgermeister Reiter öffnet sein Büro für Konzert

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Der Oberbürgermeister möchte darauf aufmerksam machen, dass in München Proberäume für Künstler fehlen. Er selbst verpasste den Auftritt aber.

Von Linus Freymark

Oberbürgermeister Dieter Reiter ist entweder ein sehr mutiger Mensch - oder ein Wahnsinniger. Knapp 100 fremde Menschen hat er am Sonntagabend in sein Büro zu einem Konzert eingeladen und das, ohne selbst anwesend zu sein. Da der OB sich andernorts auf den bevorstehenden Dieselgipfel vorbereiten musste, feierten die Gäste ohne den Gastgeber. Auf jeder Teenieparty geht dieses Vertrauen nach hinten los. Aber Reiters Gäste wussten sich zu benehmen.

Rein zum Vergnügen hat Reiter seine Büroräume indes nicht zur Verfügung gestellt. In München fehlen nach wie vor Proberäume und Auftrittsmöglichkeiten für weniger bekannte Künstler und Bands, und weil Reiter auf diesen Missstand aufmerksam machen möchte, hat er sein Büro am Sonntagabend dem Veranstalter Sofar Sounds überlassen. Das Unternehmen, das in München noch als Non-Profit-Organisation agiert, veranstaltet Konzerte wenig bekannter Bands für einen kleinen Kreis in Münchner Wohnzimmern. Jeder, der möchte, kann sich so ein Konzert zu sich nach Hause holen.

Der potenzielle Gastgeber sowie die eventuellen Gäste bewerben sich dafür bei Sofar Sounds. Ist eine Location ausgewählt, darf der Hausherr fünf Gäste selbst bestimmen, die anderen der ungefähr 40 bis 50 Konzertbesucher kennt er nicht. Die Events sollen dazu dienen, neue Leute kennenzulernen. Auch die Künstler bewerben sich und werden vom Veranstalter ausgesucht, die Konzerte sind alle kostenlos. Die Gäste wiederum wissen bis kurz vor Beginn nicht, wo das Konzert stattfindet, auch am Sonntag haben die Besucher erst kurz davor erfahren, dass sie vom Oberbürgermeister eingeladen worden sind. Reiter rief die Münchner dazu auf, es ihm gleichzutun und auch ihre Wohnzimmer für Konzerte zu öffnen.

Auf dem Schreibtisch von Dieter Reiter steht am Sonntagabend ein Mischpult. Der Raum ist abgedunkelt, Lichterketten liegen auf dem Boden. Das Publikum, im Schnitt nicht älter als 30, sitzt auf dem Büroboden, es gibt selbst mitgebrachte Club Mate und Tee aus der Thermoskanne. Reiter ist der 29. Gastgeber der Konzertreihe. Die erste Sängerin, die sein Büro beschallt, heißt Diana Ezerex, die sonst oft in Gefängnissen auftritt. Mit ihrer Gitarre steht sie im gedimmten Licht vor dem Bücherregal des Oberbürgermeisters, in einem Fach liegt ein kleiner Fußball. Ezerek legt los, als soulig ist sie angekündigt worden, und als ihre klare Stimme den Raum erfüllt, wippen die ersten Zuhörer sogleich im Takt und singen schließlich mit. Tatsächlich stellt sich ein bisschen so etwas wie Wohnzimmerstimmung im Politikerbüro ein. "When I stand", singen die auf dem Boden Sitzenden.

Flonoton, der zweite der drei Acts an diesem Abend, schlägt leisere Töne an als Diana Ezerex. Als "Pseudorap und irgendwas mit Pop" beschreibt er seine Musik. Es wird zwar nicht ganz klar, wo genau in seinen romantischen Balladen Rap- oder auch nur Pseudorappassagen vorkommen sollen, aber singen kann Flonoton, und das nicht unbedingt schlechter als der bekannte Radiosäusler Wincent Weiss.

Spätestens beim dritten Act hätte Reiter wohl Probleme mit den Nachbarn bekommen, sofern die Häuser in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rathaus bewohnt wären. Die Band Impala Ray rückt mit Trommel, Tuba, Gitarre und Hackbrett an und am Ende fordern die Zuschauer dermaßen laut eine Zugabe, dass die vier Musiker gar nicht anders können, als noch einmal nach vorne zu kommen.

"Wer sein Wohnzimmer öffnet, kriegt ein Konzert zuhause", hatte Tina Blumenberg von Sofar Sounds vor dem Konzert erklärt. Oberbürgermeister Dieter Reiter hat genau das getan - und einen großartigen Abend in seinem Büro verpasst. Blöder Dieselgipfel.

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Quelle:
SZ vom 04.12.2018
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