Süddeutsche Zeitung

Wirtschaftswald und Naturschutz:Gut genährtes Wild und junge Tannen

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Wildschutz und Naturschutz gelten als Gegensätze. Das muss nicht sein, wie die Jagdgenossenschaft Weichs zeigt - sie bewirtschaftet ihre Wälder seit fünf Jahren selbst.

Von Renate Zauscher, Weichs

"Wald vor Wild": So steht es im bayerischen Waldgesetz. Umgesetzt aber wird dieser Grundsatz oft nur sehr halbherzig. Mit der Folge, dass aus forstlicher Sicht zu hohe Wildbestände eine Naturverjüngung des Waldes - das Nachwachsen junger Bäumchen ohne menschliche Hilfsmaßnahmen - vielerorts unmöglich machen. Dass es auch anders geht und ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Wirtschaftswald, Wild und Naturschutz möglich ist, wollte die Jagdgenossenschaft Weichs bei ihrem alljährlichen Waldbegang zeigen.

Das Interesse war groß: An die vierzig Personen nahmen teil, unter ihnen Paul Zahn, Jagdberater bei der Regierung von Oberbayern, Georg Bichler, Jagdberater im Landkreis Dachau, sowie Petra Hoch-Dosch, die Ortsvorsitzende des Bundes Naturschutz in Weichs, und der BN-Kreisvorsitzende, Roderich Zauscher. Geführt wurden die Teilnehmer von Georg Rottmeir, dem Vorstand der Jagdgenossenschaft Weichs, und Christian Mettin, emeritierter Professor für Waldbau der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und nach wie vor als Jäger in Weichs aktiv.

Die Weichser Jagdgenossenschaft gibt es seit fünfeinhalb Jahren. 2015 schlossen sich die Waldbesitzer in den Weichser Revieren zusammen, um die Bejagung ihrer Wälder in Form der Eigenbewirtschaftung selbst in die Hand zu nehmen. Jetzt wollten die Genossenschaftsmitglieder zeigen, wie sich dies bislang auf den Zustand ihrer Flächen ausgewirkt hat. Dabei steht die große Frage im Raum, wie sich in Zeiten gravierenden Klimawandels stabile Wälder schaffen und erhalten lassen. Für Christian Mettin steht fest, dass sich dieses Ziel - wenn überhaupt noch - nur auf dem Weg der Naturverjüngung und mit einem an die jeweilige Situation angepassten Wildbestand erreichen lässt.

Dort, wo der Waldbesitzer auf Kulturpflanzgut oder auf den kostspieligen Schutz der jungen Bäume mit Zäunen, Drahthosen oder Plastikröhren zurückgreifen müsse, werde er "nie mehr auch nur einen Euro aus dem Wald herausholen können". Ohne Einnahmen aus dem Holzverkauf aber sei die sehr arbeitsintensive Bewirtschaftung des Waldes nicht möglich.

Im Revier der Weichser Jagdgenossenschaft sind bereits nach fünf Jahren deutliche Verbesserungen zu sehen. Mettin und Rottmeir verweisen auf die Veränderung des Waldbodens, der mittlerweile nicht mehr braun und trocken, sondern mit artenreicher Vegetation krautig überwachsen ist. Für das Rehwild bedeute dies ein "optimales Äsungsangebot". Dementsprechend sei auch die früher erheblich zu hohe Verbissbelastung deutlich zurückgegangen, sagt Mettin. Bereits 2018 habe das Forstliche Verbissgutachten die günstige Entwicklung bestätigt.

Mittlerweile gibt es Bereiche in den Weichser Revieren mit einer Tannennaturverjüngung von 30 000 bis 120 000 Stück pro Hektar. So konnten an die 2000 junge Tannen, die in früheren Jahren komplett abgefressen worden wären, in andere Revierbereiche verpflanzt werden, wo sie optimal gedeihen.

Diese Erfolge seien nur möglich, weil die Rehwildabschüsse im Revier vor allem anfangs "konsequent angehoben" worden seien, erläuterte Mettin den Teilnehmern der Waldbegehung. Trotzdem gibt es laut den Weichser Jägern noch genug Wild im Wald - und dem gehe es dank ausreichender Nahrung auch deutlich besser als früher. Dies lasse sich am erheblich gestiegenen Gewicht der erlegten Tiere ablesen. Und auch ein anderer Nebeneffekt des besseren Futterangebots im Wald sei festzustellen: Die Zahl der Tiere, die dem Verkehr zum Opfer fallen, sei um achtzig Prozent gesunken.

Schon jetzt, nach nur wenigen Jahren der Eigenbewirtschaftung in den Weichser Revieren, wird die Entwicklung eines artenreichen Mischwalds sichtbar. Wie wichtig dies für die Schaffung stabiler Wälder ist, unterstrich Paul Zahl mit großem Nachdruck. "Baumgesellschaften, die sich selbst zusammenfinden", sagte er, "sind sehr viel vitaler und stabiler." Grundsätzlich seien "komplexe Lebenssysteme leistungsfähiger" und böten mehr Lebensraum auch für andere Pflanzen und für unterschiedlichste Tiere. Der Umbau der Wälder weg von Monokulturen und hin zu überlebenswichtiger Diversität vertrage jedoch keinerlei Aufschub mehr: "Das muss", so Zahn, "schnell gehen - wir haben keine Zeit mehr".

Die Frage eines Mannes, warum diese Erkenntnis so spät komme, wurde von den anderen in der Runde der Zuhörer mit herzhaftem Gelächter beantwortet: Man war sich einig, dass von Seiten der Politik über Jahrzehnte hin eine Verhinderungsstrategie gefahren worden sei. Eine Strategie, die heute, angesichts extremer Klimaverschiebungen, jedoch nicht mehr vertretbar ist. "Ihr habt eine Vorbildfunktion", unterstrich Christian Mettin mit Blick auf die Weichser Jagdgenossen: "Ich hoffe, möglichst viele andere Waldbesitzer folgen eurem Beispiel."

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SZ vom 27.07.2021
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