Süddeutsche Zeitung

Landkreis Dachau:Polizei-Experte: "Wir ersticken langsam im Verkehr"

Lesezeit: 3 min

Die Unfallstatistik für den gesamten Landkreis belegt, dass noch nie so viele Unfälle passiert sind wie im Jahr 2016.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Erstmals seit Beginn der jährlichen Unfallstatistik im Jahr 1975 ereigneten sich in Dachau und den 16 Landkreisgemeinden mehr als 5000 Unfälle. Im Vergleich zum Vorjahr 2015 ist die Zahl um 347 gestiegen, was einem Zuwachs von 7,5 Prozent entspricht. Ein Ende des Negativtrends hält der Dachauer Verkehrsexperte Richard Wacht für unwahrscheinlich. Im Gegenteil: Wegen des rasanten Bevölkerungswachstums im Ballungsraum München und des zunehmenden Verkehrs auf den bereits überlasteten Straßen "wird die Zahl der Unfälle weiter steigen", prognostiziert Wacht. Er warnt: "Wir ersticken schon langsam im Verkehr."

In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Unfälle im Landkreis Dachau verdoppelt. Die Gründe nennt Verkehrspolizist Wacht. Demnach ist der Landkreis Dachau einer der verkehrsreichsten Bayerns. Mit dem Bevölkerungswachstum steigt die Zahl der zugelassenen Kraftfahrzeuge kontinuierlich an. Die Verkehrswege jedoch "wachsen nicht mit", so betont Wacht. Er appelliert an die Bürger, vom Auto auf die öffentlichen Verkehrsmittel umzusteigen. Das will auch der Landkreis Dachau erreichen, der an einem Gesamtverkehrskonzept arbeitet. Ein zentrale Rolle sollen dabei schnelle Radwege zu den S-Bahn-Stationen spielen, wie aus den neusten Erhebungen hervorgeht.

Besonders alarmierend sind die Probleme im Berufsverkehr. Demnach ereignete sich mehr als ein Fünftel aller Unfälle (1054) im Zeitraum von 16 und 19 Uhr, "wenn sich der Einkaufs- und Freizeitverkehr vermischt". So waren die 72 Unfälle auf der A 8 im Landkreis im Wesentlichen Auffahrunfälle, die durch Staus zwischen Odelzhausen und Dachau provoziert wurden. Hauptursache auf der Bundesstraße 471 waren die ständigen Versuche von Autofahrern, den Staus zu den Stoßzeiten im und am Allacher Tunnel auf der A 99 auszuweichen.

329 Unfälle auf 31 Kilometern

Als Unfallschwerpunkt kristallisierte sich abermals die Staatsstraße 2047 heraus, die von Dachau über Schwabhausen und Erdweg bis in den Landkreis Aichach-Friedberg führt. Auf der 31 Kilometer langen Strecke ereigneten sich 329 Unfälle, bei denen 110 Personen verletzt wurden; zwei davon tödlich. Auf Platz zwei folgt die Staatsstraße 2339 von Haimhausen über Dachau nach Feldgeding. Dort kam es zu 227 Unfällen mit 49 Verletzten und einem Todesfall. Auffallend hoch ist auch die Zahl der Unfälle auf der B 471 zwischen der Anschlussstelle Dachau und der Landkreisgrenze zu Fürstenfeldbruck. Auf nur 700 Metern ist es hier zu 28 Unfällen mit sieben Verletzten gekommen.

Zwischen der Anschlussstelle Dachau und dem Kreisverkehr im Bergkirchner Gewerbegebiet Gada haben sich auf einer Strecke von nur 550 Metern 27 Unfälle mit 15 Verletzten ereignet. Die B 304 durch Dachau und Karlsfeld nach München und die B 471 waren wie gehabt die unfallträchtigsten Bundesstraßen mit 192 beziehungsweise 135 Unfällen und jeweils einem Verkehrstoten.

Einen Negativrekord verbucht auch die Stadt Dachau. Der Verkehr in der Großen Kreisstadt wird immer extremer, die Staus immer häufiger. Fast schon folgerichtig ereigneten sich auf dem Stadtgebiet 1887 Unfälle im vergangenen Jahr, das sind 136 mehr als noch 2015, was einem Zuwachs von 5,7 Prozent entspricht. Die Anzahl der Verletzten stieg um 14 Personen auf 308 im Jahr 2016 an. "Leider mussten im Gegensatz zum Vorjahr 2015 auch zweite Tote beklagt werden", bedauert Wacht.

Neun Menschen kamen ums Leben

Die Steigerung der Verkehrsunfälle im Stadtgebiet lasse sich allerdings nicht an einzelnen Kreuzungen, Einmündungen oder Straßen ablesen. Die Unfälle verteilten sich über das gesamte Stadtgebiet und "dürften ursächlich in einem nochmals gesteigerten Verkehrsaufkommen liegen", sagt Wacht. Gefährliche Ecken sind erfahrungsgemäß die Kreuzungen der Münchner Straße mit der Schillerstraße und der Bahnhofstraße, der Ludwig-Thoma-Straße mit der Konrad-Adenauer-Straße sowie der Münchner Straße mit dem Wettersteinring und der Wallbergstraße. Allein an diesen drei Kreuzungen kam es zu 24 Unfällen mit elf Verletzten. An der Kreuzung der Münchner Straße mit der Bajuwarenstraße in Karlsfeld krachte es sogar 27 Mal. Die Unfallursachen waren meist zu nahes Auffahren und rücksichtlose Abbiegevorgänge oder Spurwechsel.

Bedauerlich ist, dass im Jahr 2016 neun Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben kamen. Besonders tragisch war ein Unfall auf der Bundesstraße 417, bei dem ein dreijähriges Kind starb. Es saß unangeschnallt auf dem Schoß der Mutter auf dem Beifahrersitz, als der Wagen von der Straße abkam und gegen die Leitplanke prallte. Das Auto hob ab und krachte gegen einen Baum. Das kleine Kind wurde dabei aus dem Auto in den Gröbenbach geschleudert. Das Mädchen trieb ab. Mehr als 50 Einsatzkräfte suchten nach ihm und fanden es tot in 1,5 Kilometer Entfernung von der Unfallstelle. Untersuchungen haben inzwischen ergeben, dass das Kind an den Folgen des Unfalls gestorben und nicht ertrunken ist.

Trotz der neun Todesfälle weist Wacht auf die sinkende Zahl der Verkehrstoten hin. Noch in den Achtzigerjahren starben teils mehr als 40 Menschen bei Verkehrsunfällen. In den Neunzigerjahren reduzierte sich die Zahl auf etwa 20 Tote. Heute, darauf verweist Wacht, "erzielen wir regelmäßig einstellige Zahlen". Verantwortlich dafür seien die steigende Verkehrssicherheit der Fahrzeuge, die über Airbags verfügen. Die Rettungsdienste, die schneller und besser geworden seien, sowie gesetzliche Maßnahmen wie die Einführung der Helm- oder der Gurtpflicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3424623
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.03.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.