Süddeutsche Zeitung

Tassilo:Auf ein Glas Wein mit Händel

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Das Hoftheater Bergkirchen ist die einzige professionelle Bühne zwischen München und Augsburg. Das Programm reicht von klassischen Dramen bis zu Opern und Operetten. Der besondere Charme der kleinen Spielstätte ist ihr familiäres Flair

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Man könnte eine Geschichte über das Hoftheater Bergkirchen mit einer beeindruckenden Zahlenreihe anfangen. Man könnte aber auch auf Figaros Hochzeit den guten Menschen von Szechuan auftreten lassen, während im "Weißen Rössl" die Fair Lady ungeduldig auf den Vogelhändler wartet. Der vergnügt sich jedoch bei unheimlich flackerndem Gaslicht gerade mit der Cárdásfürstin. Derweil nippt Nathan der Weise am satanarchäolügenialkohöllischen Wunschpunsch. Robinson Crusoe hört auf seiner einsamen Insel zum hundertsten Mal Edith Piafs "La vie en rose", und eine prächtige Fledermaus flattert um den Urfaust herum.

Seit 2005 hat das Hoftheater Bergkirchen seine Heimat auf dem Biobauernhof der Familie Weller. Aus einem ehemaligen Lagerraum wurde das einzige professionelle Theater zwischen München und Augsburg. Gegründet haben es Ulli Beckers und Herbert Müller, die es bis heute leiten. Ulli Beckers ist Kostüm- und Bühnenbildnerin. Herbert Müller ist Theaterleiter, Intendant, Regisseur, Schauspieler und zuständig für die Bearbeitung der Stücke. Und das nicht nur für das Hoftheater, sondern auch für die Neue Werkbühne München, die das Ehepaar gemeinsam mit dem kleinen Ensemble und vielen jungen Darstellerinnen und Darstellern bespielt.

Dazu muss man wissen, dass die Neue Werkbühne ein Tourneetheater für Schulen ist und in corona-freien Jahren zirka 50 Vorstellungen in ganz Bayern gibt. Im Hoftheater mit seinen rund 80 Plätzen finden weitere 150 Vorstellungen statt. Insgesamt schauen sich Jahr für Jahr etwa 17 000 Besucher die ausgewogene Mischung aus Schauspiel-Klassikern, Opern- und Operettenproduktionen, musikalischen Revues, Boulevardkomödien, Krimidramen, Lesungen, Konzerten und Freilichtaufführungen an. Manche Stücke, wie etwa "Edith Piaf", bringen es auf weit über hundert Vorstellungen. "Der musikalische Sommer Bergkirchen" hat sich zum echten Hit entwickelt. Andere Inszenierungen, wie Sibylle Bergs "Und dann kam Mirna" ziehen ein spezielles Publikum an - auch aus der Landeshauptstadt.

Das war nicht immer so. Mühsam waren die Anfänge, als Premieren manchmal vmr drei, vier Zuschauern stattfanden und bei den anschließenden Gesprächen doch nichts von Resignation oder Enttäuschung zu spüren war, sondern Leidenschaft fürs Theater, für Musik, für Literatur. "Heute Abend Lola Blau" von Georg Kreisler war das erste Stück, mit dem sich das Hoftheater, das damals noch nicht so hieß, im Dachauer Ludwig-Thoma-Haus vor 25 Zuschauern vorstellte.

Herbert Müller, seit 50 Jahren am Theater, hatte nach Stationen in vielen Städten Deutschlands als Dramaturg, Regisseur und Schauspieler 2002 die Neue Werkbühne München übernommen. Warum? "Nach dreißig Jahren an Stadttheatern wollte ich was Eigenes haben", sagt er der SZ Dachau und lächelt bei der Anspielung auf das berühmte Loriot-Zitat. Auch seine Frau Ulrike Beckers sehnte sich nach der Umsetzung ganz eigener Ideen. Weil der damalige Standort Villingen-Schwenningen jedoch nicht im Zentrum des Tournee-Geschehens lag, folgte 2005 der Umzug nach Bergkirchen. Denn "ein Theater braucht ein Zuhause", sagt Müller. So wurde aus dem Lagerraum, der ursprünglich mal ein Kuhstall war, mit viel Kreativität und mindestens ebenso viel Improvisationstalent das Hoftheater Bergkirchen. Schon damals waren Janet Bens sowie Gudrun und Ansgar Wilk dabei. Sie alle halten das Theater am Laufen - auf und hinter der Bühne, erledigen vom Kulissenwechsel und der Beleuchtung, über die Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit bis zur Theaterkasse alles, was anfällt.

Man saß zunächst auf zusammengewürfelten Stühlen, dann auf Theatersitzen aus Berlin, mittlerweile auf praktischen blauen Stühlen. Man holt sich seinen Wein an der Bar, wirft einen Blick auf die umfängliche Bibliothek, das Stammpublikum kommentiert jede Veränderung im Zuschauerraum, so als wäre es im eigenen Wohnzimmer und freut sich auf Musik- und Sprechtheater mit engagierten Darstellern in minimalistischer Dekoration. Es ist gerade diese familiäre Atmosphäre, die das Hoftheater so besonders macht, dieser vertraute Umgang miteinander: im Publikum und mit den Darstellern, wozu unbedingt auch die Plaudereien nach jeder Vorstellung gehören. Die wohl größte Anerkennung ist ein "Das muss ich mir auch ansehen", wenn Publikum oder Theatermenschen von Stücken erzählen, die gerade nicht völlig ausverkauft sind.

Das sind Herzenswünsche, die sich Theaterleitung und Ensemble erfüllen - und die immer ein schwieriger Spagat sind. Denn das Privattheater muss sich weitestgehend aus eigenen Einnahmen finanzieren. Doch es sind diese Nischen, in denen das Ensemble in Solo- oder Zwei-Personenstücken oft eine ganz neue, überraschende Seite seiner darstellerischen Kraft zeigt. "Das Georg-Elser-Projekt war so ein Herzenswunsch von mir", sagt Ulli Beckers. Auch Franz Kafkas "Verwandlung" zählt sie dazu. Schon der Gedanke an diese Inszenierung jagt Schauer den Rücken runter, genauso wie "Der Tod und das Mädchen" oder "Gaslicht", das corona-bedingt gerade mal seine Premiere erleben durfte, bevor der Vorhang wieder fallen musste. Doch trotz aller aktuellen Probleme lebt das Hoftheater und bleibt ein unverzichtbares "Stadttheater auf dem Land".

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SZ vom 29.04.2021
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