Süddeutsche Zeitung

"Geschichten aus dem Dachauer Land":Mast, Mord und Mundraub

Lesezeit: 4 min

Die Sedlmairs leben in siebter Generation in Durchsamsried. Sechs Familienmitglieder, zwei Hunde, 1000 Schweine - und viele Geschichten.

Von Benjamin Emonts, Röhrmoos

Der Weg nach Durchsamsried führt einen sanften Anstieg hinauf über eine schmale Straße, die von alten Eschen gesäumt wird. Am Ende der Allee steht linker Hand eine kleine Kapelle, die dem Schutzpatron der Jagd, dem Heiligen Hubertus, geweiht wurde. Errichtet wurde die Kapelle auf Wunsch der Bäuerin Christine Sedlmair erst in den Jahren 2005 und 2006. Der Durchsamsrieder Hof der Sedlmairs aber hat eine Geschichte, die bis ins Jahr 1314 erforscht wurde. Im Zweiten Weltkrieg, kurz vor der Befreiung, lieferte sich die SS in Durchsamsried ein Feuergefecht mit den anrückenden Panzern der Amerikaner. Noch weiter zurück, im Jahr 1842, ereignete sich ein aufsehenerregender Mord im Wald bei Durchsamsried. Der kleine Einödhof, der östlich der Kreisstraße zwischen den Orten Lotzbach und Biberbach liegt, hat eine erstaunlich bewegte Geschichte.

Doch zunächst in die Gegenwart: In Durchsamsried leben derzeit acht Menschen, Christine und Josef Sedlmair, Sohn Stefan mit seiner Frau Irmgard und den Söhnen Stefan und Franz sowie zwei Personen, die eine Wohnung auf dem Hof gemietet haben. Außerdem leben auf dem Einödhof der Jagdhund Caesar, der vor Jahren eine Brauchbarkeitsprüfung abgelegt hat, der Dackel Waldi, Caesars treuer Gefährte, und 1000 Mastschweine, mit denen die Sedlmairs ihren Lebensunterhalts bestreiten. Mit mehr als 100 Hektar Fläche zählt der Hof des Bauern zu Ried ("Baur z'Riad) seit Jahrhunderten zu den größten im Landkreis Dachau. Die Mastschweine bleiben hier für vier Monate, bis sie zur Schlachtung überwiegend an Metzger aus dem Landkreis Dachau verkauft werden. Andere Einnahmequellen sind der Kartoffel- und Zuckerrübenanbau, der Getreideverkauf und die Bewirtschaftung von rund 35 Hektar Wald.

Der kleine Einödhof in Durchsamsried hat eine bewegte Geschichte.

Drei Generationen Sedlmair: Familienoberhaupt Josef, die Enkel Franz und Stefan sowie Sohn Stefan (von rechts).

Die Familie besitzt ein eigenes Wappen,...

...eine Hofkapelle...

...und bis zu 1000 Mastschweine.

Der einstige Kreisheimatpfleger Alois Angerpointner hat aus alten Dokumenten und Erzählungen eine detaillierte Hofchronik verfasst. Demnach taucht der Name "Durchsam" (herausgehauenes Holz) erstmals 1479 in einer Urkunde des Klosters Markt Indersdorf auf; der Name "Durchsamsriedt" erscheint erst 1666. Die Sedlmaiers, ein uraltes Geschlecht im Dachauer Land, dessen Schreibweise sich mehrmals änderte, heirateten sich im Jahr 1734 nach Durchsamsried ein. Christa und Josef Sedlmair bewirtschaften den Hof seit 1972 bereits in siebter Generation.

Sedlmair, 74, zeigt unweit der Kapelle auf Einschusslöcher im Betonfundament eines ausgedienten Hühnerstalls. "Ich erinnere mich noch wie heute. Das hat sich eingeprägt", sagt er. Sedlmair war erst drei Jahre und drei Monate alt, als sich die Amerikaner am Morgen des 29. April 1945 mit ihren Panzern Durchsamsried näherten. Der Krieg war bereits verloren für Nazi-Deutschland, die Amerikaner rückten mit schwerem Geschütz von Augsburg in Richtung Dachau vor. In Biberbach und Durchsamsried hatten sich SS-Einheiten verschanzt. Als die Amerikaner den Einödhof passierten, eröffneten die Nazis mit Karabinern das Feuer. Die Amis schossen zurück. Die Familie Sedlmair und ihre Dienstboten verbarrikadierten sich im Keller. Sie blieben unverletzt. Doch der Kuhstall, ein Getreidestadel und ein Wagenhaus sind "ein Raub der Flammen geworden", so heißt es in der Familienchronik. Das Bauernhaus wurde durch die Kampfhandlungen schwer beschädigt. Es folgte ein langer, mühsamer Wiederaufbau, der nur durch die tatkräftige Unterstützung von Bauern aus den umliegenden Ortschaften bewerkstelligt werden konnte.

Ein schauriges Kapitel der Durchsamrieder Geschichte spielte sich 1838 ab, als der Wald der Sedlmairs Schauplatz eines rätselhaften Mordes wurde. Im Morgengrauen des 31. August hatte man nach viertägiger Suche unter einem Baum die schneebedeckte Leiche des Revierjägers Emanuel Rehbock gefunden. Rehbock war bereits fünf Tage tot. Erschossen. Sein treuer Hund wich ihm tagelang nicht von der Seite, so wurde es überliefert. Der Täter blieb zunächst unbekannt. Erst vier Jahre danach wurde der Durchsamsrieder Landwirt Anton Sedlmayr verdächtigt und ins Gefängnis gesperrt. In Wahrheit aber soll der Mörder der Pferdebub des Riederbauern gewesen sein. Am Sterbebett gestand der Mann laut mündlicher Überlieferung, Rehbock erschossen zu haben. Das μMotiv blieb ungeklärt. Anton Sedlmayr kam frei, musste aber um seine Frau trauern, die während seiner Gefangenschaft an Nervenfieber gestorben war. Im rührenden Sterbeeintrag der Frau steht geschrieben: "Dieses gute Weib, Mutter von zehn lebenden Kindern, starb wohl eigentlich an gebrochenem Herzen, in dem ihr Ehemann schon seit 3. Mai 1842 im Arreste saß."

Doch der Hof erzählt auch launige Geschichten - wie jene aus dem Jahr 2003. Die Jagd spielte in der Familienchronik seit jeher eine bedeutende Rolle. Die Familie hält - wie nur wenige andere Landwirte und Grafen aus dem Landkreis - das alleinige Jagdausübungsrecht für ihren zusammenhängenden Grund aus Feldern, Äckern, Weihern und Wald. Im Jahr 2003 schoss Landwirt Sedlmair in seinem Revier schließlich das erste Wildschwein überhaupt in der Gemeinde Röhrmoos. Im Gegensatz zu heute - es werden jährlich 300 bis 500 Wildschweine im Landkreis geschossen - waren die Tiere zu Anfang des Jahrtausends äußerst selten in den heimischen Wäldern. Weil sie auf den Feldern große Schäden anrichteten, wurden sie nahezu ausgerottet. Die großen Eichen - und Buchenwälder aus dem Mittelalter wurden in der Neuzeit durch Fichten-Monokulturen ersetzt, was den Wildschweinen eine wichtige Nahrungsquelle entzog. Erst nachdem in den vergangenen Jahrzehnten vermehrt Mais, Getreide und Kartoffeln auf den Äckern gepflanzt wurden, fanden die Wildschweine wieder etwas zu fressen und vermehrten sich zusehends.

Sedlmairs Freude über das erlegte Wildschwein war dementsprechend groß - doch sie währte nicht lange. Nach einem kurzen Wellness-Aufenthalt war das erlegte Wildschwein plötzlich aus seiner Scheune verschwunden, noch bevor es zerlegt werden konnte. Doch wer war der Täter? Sedlmair hatte seine Beute vor seiner Abreise stolz einigen Jagdfreunden präsentiert. Sein Verdacht fiel schnell auf den früheren Röhrmooser Jäger und Bürgermeister Sepp Westermayr, der für seine Jungenstreiche bekannt war. Einer Lokalzeitung sagte Sedlmair damals: "Der einzige Lump unter den Leuten, die die aufgebrochene Sau gesehen haben, war der Westermayr."

Der Landwirt machte sich sofort zu dessen Hof auf und stellte Westermayr zur Rede. Nach anfänglichem Leugnen gab der Altbürgermeister endlich zu, die 29 Kilo schwere Sau in einer Nacht- und Nebelaktion gestohlen zu haben. Er händigte den Kadaver aus. Und in der Lokalzeitung erschien ein Bild, das Josef Westermayr und Josef Sedlmair, schelmisch lachend, mit der getöteten Wildsau zeigte.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2016
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