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SZ-Serie: Abgedreht - Filmkulissen rund um München:Bibbernde Komparsen, heulende Sirenen

Lesezeit: 4 min

Während der Dreharbeiten für den neuen Doris-Dörrie-Film wird das Freibad Ainhofen kurzerhand zum Damenbad. "Freibad"-Komparsin Anita Peters erinnert sich an Wärmflaschen für die Schauspielerinnen, Glockengeläut und Traktorenlärm.

Von Jacqueline Lang, Markt Indersdorf

Es ist der vierte Drehtag, als plötzlich um Punkt 18 Uhr die Sirenen losgehen. Die Ainhofenerin Anita Peters sieht Panik in den Augen der Filmcrew, auch sie selbst ist für einen Moment perplex. Dann schlüpft sie aus ihrer Rolle als Badende und erinnert sich: Es ist ja der erste Freitag im August, es handelt sich also nur um den allmonatlichen Probealarm. Peters gibt Entwarnung, alle am Set atmen auf. Vier Wochen später genau dasselbe Spiel, dieses Mal ist es jedoch die Regisseurin Doris Dörrie, die sich erinnert: "Es ist nur der Probealarm." Und tatsächlich: Nach wenigen Minuten ist alles wieder still, die Arbeit am Film "Freibad" kann weitergehen.

Etwa ein Jahr später und an genau jenem Tag, an dem der Film offiziell in den Kinos anläuft, trifft man Komparsin Anita Peters, 57, an dem Ort, an dem der neue Doris-Dörrie-Film gedreht worden ist: im Freibad Ainhofen bei Markt Indersdorf. Die Tage bis zum Ende der Badesaison sind gezählt, an diesem Donnerstagvormittag hat der Verein für Bewegungsspiele, der das Bad seit 62 Jahren betreibt, gar nicht erst aufgemacht. Bei 21 Grad Außentemperatur kommt sowieso niemand zum Planschen.

Gedreht wird die meiste Zeit bei schlechtem Wetter - im Film ist davon nichts zu sehen

Wenn ein voraussichtlicher Blockbuster wie "Freibad" gedreht wird, kann auf so Kleinigkeiten wie das Wetter indes keine Rücksicht genommen werden. Zeit ist schließlich Geld. Und so wurde ein Großteil der Komödie, die im einzigen Frauenfreibad Deutschlands spielt, die meiste Zeit bei bewölktem Himmel und manchmal sogar Regen gedreht. Auf der Leinwand ist davon freilich nichts zu sehen: Die Frauen im Film - die einen in Bikini, Badeanzug oder gar barbusig, die anderen im Burkini - tragen ihre Kämpfe darüber, wer die Regeln im Freibad aufstellt, bei strahlendem Sonnenschein aus.

Inspiriert ist die Handlung des Films, das erzählt Peters, von dem, was sich 2016 im Freiburger "Lorettobad" abgespielt hat: Das Bad, kurz Lollo genannt, verfügt nämlich tatsächlich über das in Deutschland einzige Damenbad und erfreute sich dadurch irgendwann immer größerer Beliebtheit bei gläubigen Muslima. Das passte allerdings ein paar anderen Frauen nicht. Die Streitigkeiten gingen so weit, dass sogar die Polizei anrücken musste. Diese kulturellen Spannungen hat Dörrie ebenso in ihrem neuen Film verarbeitet wie die reale Empörung darüber, dass plötzlich ein Bademeister statt einer Bademeisterin für Ordnung sorgen sollte. Und - kaum verwunderlich, wo man doch so viel Haut sieht im Film - geht es auch um die Frage, ob Körper alt oder dick sein dürfen, und darum, wer als Frau gelesen wird .

Komparsin Peters, die im normalen Leben freiberuflich an der Volkshochschule EDV-Kurse unterrichtet, hat den Film beim Münchner Filmfest im Juni das erste und bislang einzige Mal angeschaut. Ob er ihr gefallen hat? Ja, schon, sagt sie. Der Appell für mehr Toleranz, der in Humor verpackt ist, den findet Peters gut. Und Drehbuchautorin und Regisseurin Dörrie habe wirklich nichts ausgelassen, "was im Freibad so vorkommt": Von der Kackwurst im Becken, über den Jungen, der in den Busch pieselt bis zu dem Hund, der plötzlich über die Wiese rennt.

Doch da ist auch ein leichtes Zögern. Etwas irritiert sei sie schon gewesen, gibt Peters schließlich zu, als sie realisiert habe, dass von den vielen Stunden, die sie im kalten Wasser ausgeharrt hat, im Film kaum etwas zu sehen ist. Ganze zwei Mal hat sie sich auf der Leinwand gefunden - und das jeweils auch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Immerhin: Den gut 120 weiteren Komparsinnen, darunter rund 25 Stammgäste und Vereinsmitglieder wie Peters, ist es auch nicht besser ergangenen. Ihre Tochter Nathalie ist zwar bei Sekunde 35 im Trailer zu sehen, aber dafür muss man ihre Augenpartie schon sehr genau kennen. Mehr ist nämlich von ihr unter dem Niqab nicht auszumachen.

Auch das Ainhofener Freibad selbst dürften beim Schauen des Films nicht alle sofort erkannt haben: Die Folie, die das Becken vor dem Abkühlen und Laub schützen soll, fehlt in "Freibad", ebenso wie der grüne Zaun, der das Becken einrahmt. Dafür sieht man am Ende des Beckenrands einen kleinen gelben Sprungturm. Außerdem wurde ziemlich viel gestrichen. Die Häuschen der Wasserwacht etwa wollten die Filmemacher bis auf die Türen nicht braun, sondern lieber weiß haben. Mittlerweile hat der Verein die Türen hellblau gestrichen. Kiosk und Kassenbereich erstrahlen bis heute in Pastellfarben.

Fragt man bei Constantin Film nach, warum die Wahl eigentlich ausgerechnet auf das kleine Freibad im Dachauer Hinterland gefallen ist, antwortet Produzent Rüdiger Böss: "Wir hatten fünf Bäder in der engeren Auswahl. Der Charme des Bades, die Größe und vor allem natürlich die unkomplizierte Art des Vereins, der das Bad trägt, haben die Wahl letztlich entschieden." Von den Dorfbewohnern sei man mit offenen Armen empfangen worden, "obwohl wir ihnen ja das Bad im Sommer für einige Wochen ,weggenommen' haben". Peters bestätigt, dass es eine spannende Erfahrung gewesen sei - auch wenn sie es immer noch befremdlich findet, dass die Komparsinnen frieren mussten, während die Schauspielerinnen immer sofort eine Wärmflasche gereicht bekamen.

Es ist der erste Filmdreh im Freibad Ainhofen

Es wird aber auch klar, dass sich die Mitglieder der Filmcrew nicht nur beim Aufheulen der Sirenen als Städter zu erkennen gaben: Als ein Bauer der umliegenden Felder das Heu einfahren wollte, weil für den kommenden Tag mal wieder Regen angesagt war, versuchten die Verantwortlichen doch tatsächlich, ihn davon abzuhalten. "Aber keine Chance", lacht Peters. Und dann sind da noch die Kirchenglocken, die in Ainhofen einmal um 11 Uhr und einmal um 12 Uhr läuten. Immer wieder sei kurz vor der vollen Stunden versucht worden, eine neue Szene zu drehen. Und immer wieder habe das Glockengeläut die Arbeiten unterbrochen. "Das sind die Stadtmenschen einfach nicht gewohnt."

Doch nicht nur für die Filmcrew sind die Dreharbeiten in Ainhofen eine neue Erfahrung, auch für das Freibad ist die Anwesenheit von so vielen Schauspielerinnen und Kameras eine Premiere: Zwar hatte Olaf Schellenberger, zweiter Vorstand des Vereins, das Freibad schon 2016 als Drehort eintragen lassen, erst im Januar 2021 gab es mit Constantin Film aber den ersten Interessenten. Damals hatte der Verein bereits ein Jahr coronabedingter Ausfälle hinter sich, weil ein Badebetrieb nicht möglich war, laufende Kosten aber weiter anfielen. Die Einnahmen durch den sechswöchigen Filmdreh in der zudem ohnehin wetterbedingt durchwachsenen Saison kommen da gerade zur rechten Zeit. Ob sie ihr geliebtes Freibad aber noch einmal so lange für einen Filmdreh schließen würde? Peters mag sich da noch nicht festlegen.

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