Süddeutsche Zeitung

Siegerentwurf im Ideenwettbewerb:"Ein Glücksfall für Hebertshausen"

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Allmählich zeichnet sich ab, wie das 26 Hektar große Areal zwischen Amperschleife und Alter Holzschleiferei einmal aussehen wird. Münchner Architekten haben mit ihrem Entwurf den Ideenwettbewerb gewonnen. Sie planen etwa, den Mühlbach freizulegen. Die Jury ist begeistert

Von Horst Kramer, Hebertshausen

Als Hebertshausens Bürgermeister Richard Reischl (CSU) an diesem Vormittag in die Turnhalle kommt und die vielen Modelle sieht, denkt er sich: "Mein Gott, wie sollen wir das alles bewerten und in eine Reihung bringen", erzählt Reischl. Ein Dutzend Mini-Modelle sind in der Hebertshausener Turnhalle aufgebaut, große Stellwände mit Zeichnungen, Fotos und Fakten dahinter - allesamt städtebauliche Konzepte für das 26 Hektar große Areal zwischen Amperschleife und Alter Holzschleiferei, eingereicht von Architekturbüros vornehmlich aus Süddeutschland, aber auch aus Österreich und sogar Portugal.

Im Winter hatte die Gemeinde die Ausschreibung für den Wettbewerb EU-weit veröffentlicht, 26 Büros wollten sich beteiligen. Das Projekt an der zentralen Fläche mitten in Hebertshausen ist eines der Resultate des Integrierten Städtebaulichen Entwicklungskonzepts (ISEK), das die Gemeinde und ihre Einwohner zwischen 2017 und 2019 erarbeitet hat. Die Bewertung der Entwürfe erweist sich dank des Sachverstands zahlreicher Experten leichter als gedacht: Nach acht Stunden Diskussion steht ein eindeutiger Sieger fest: das Münchner Architektur- und Stadtplanungsbüro Grassinger Emrich, die ihr Konzept gemeinsam mit dem Münchner Landschaftsarchitekten Horst Kübert entwickelt haben. Der Leiter der Jury, der Würzburger Hochschulprofessor und Architekt Martin Schirmer, hält eine regelrechte Laudatio: "Dieser Beitrag ist ein Glücksfall für Hebertshausen."

Martin Schirmer und Richard Reischl stellen den Siegerbeitrag gemeinsam der Presse vor. Eine der landschaftsplanerischen Ideen sticht dabei sofort ins Auge: Die Münchner Architekten legen den alten Mühlbach komplett frei, sowohl den Anstich am Amperbogen südöstlich der Krautgartenstraße als auch das große Teilstück auf dem Holzschleiferei-Gelände - derzeit wird dort das Wasser unterirdisch durch Rohre geführt. Der neue Bach wird zu einer Art ökologischen Ader des neuen Quartiers mit begrünten Uferpromenaden, Auwaldflächen und - wie Schirmer sagt - "grünen Fingern", die von den Subzentren des Viertels bis zur Freisinger Straße und Amper reichen. Die Münchner haben vielfältige Wohnformen vorgesehen: Mehrgenerationenhäuser, Geschosseinheiten mit sozialen Wohnungsbau ebenso Gebäude mit Eigentumswohnungen. Ein Heim für betreutes Wohnen ist vorgesehen, ein Kinderhaus ebenfalls. Zu den Subzentren zählen ein "Kulturplatz" mit einem Café nördlich der jetzigen Holzschleiferei sowie ein "Dorfplatz" auf dem Grundstück, auf dem derzeit die Container der Elisabeth-Bamberger-Schule untergebracht sind. Er ist gedacht als Treffpunkt für die Alteingesessenen und die Neubürger. "So wird Abschottung vermieden", meint Schirmer.

Eine weitere, laut Reischl "geniale Idee" der Münchner: Sie wollen eine "Neue Holzschleiferei" errichten - ein modernes Gebäude mit ähnlicher Kubatur wie das historische Gebäude. "Ein Erinnerungsort, der Geschichte zurückgibt", so der Professor. "Damit versöhnen wir hoffentlich diejenigen, denen das Herz blutete, als wir den Abriss beschlossen haben", meint Reischl. In dieser neuen Holzschleiferei wird freilich kein Holz verarbeitet, stellt der Rathauschef klar. Das Gebäude werde neue Funktionen haben, zum Beispiel für Kultur, Ateliers oder auch Wohnungen, so Reischl. Genaueres steht erst nach der Realisierungsplanung fest, mit der die beiden Münchner Büros beauftragt werden. Schirmer empfiehlt für die Umsetzung einen eigenen Wettbewerb.

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Beurteilung der eingereichten Arbeiten ist Mobilität und Verkehr. Grassinger Emrich und Kübrich überzeugen die Juroren mit sogenannten "Mobilitäts-Hubs" am Rande des Viertels, also Quartiersgaragen mit Ladestationen für E-Fahrzeuge. Die Straßen sollen weitgehend verkehrsfrei sein. Warum keine Tiefgaragen? "Dazu ist der Untergrund zu nass", erklärt Schirmer. Die Garagenbauten hätten zudem den Vorteil, dass man sie problemlos abreißen und durch Wohn- oder Gewerbegebäude ersetzen könne. "Wer weiß, vielleicht spielt der motorisierte Individualverkehr in zehn oder 15 Jahren nur noch eine untergeordnete Rolle", spekuliert der Städteplaner.

Der Plan der Münchner Büros sieht Gewerbegebäude an der Freisinger Straße - unter anderem mit Läden und Dienstleistern - sowie an der Amper vor. Das Flussufer würde sich natürlich auch für edle Wohnsiedlungen eignen, räumt Reischl ein, fährt dann aber fort: "Das wollten wir bewusst nicht. Stattdessen wollen wir hochwertige Arbeitsplätze im Grünen schaffen." Für ansiedlungswillige Firmen, die für Arbeitnehmer attraktiv sein wollen, und die - so des Bürgermeisters Hoffnung - auch erhebliche Gewerbesteuerbeiträge in die Hebertshausener Kassen spülen könnten.

Die beiden Münchner Büros erhalten ein gemeinsames Preisgeld von 30 000 Euro. Auf die Plätze zwei bis vier verteilen sich weitere 45 000 Euro. Jedes der zwölf Büros, das sich an den Wettbewerb beteiligt hat, wird für den Aufwand zudem mit jeweils 5000 Euro entschädigt. Das Rathaus hatte für das Verfahren im Rahmen einer vorgeschalteten Ausschreibung Hilfe beim Stuttgarter Büro Drees & Sommer eingekauft. Die Jury bestand neben Schirmer und Reischl aus überregionalen Bauexperten wie Kreisbaumeister Georg Meier, Christian Schiebel von der Regierung von Oberbayern oder auch der Hebertshausener Architekt Thomas Wallner. Ebenso im Gremium die stellvertretenden Landrätinnen Marese Hoffmann (Grüne) und Marianne Klaffki (SPD) sowie Gabriele Michal (FBB), die den erkrankten zweiten Bürgermeister Martin Gasteiger (FBB) vertrat.

Bis das gesamte Viertel bebaut sein wird, werden wohl zehn bis 15 Jahre vergehen, schätzt Reischl. Die Umsetzung des Holzschleiferei-Areals wird indes wesentlich schneller über die Bühne gehen. "Hier könnten schon in fünf oder sechs Jahren die ersten Gebäude stehen", vermutet das Ortsoberhaupt. Vorziehen möchte er das Teilprojekt "Dorfplatz", schon wegen des immer wieder diskutierten Wochenmarkts.

Das Wettbewerbsformat hat den Bürgermeister "voll überzeugt", wie er sagt. "Das ist sehr effizient, man lernt sehr viel. Nicht nur von den Preisträgern." Einer der Gründe, warum das Bauministerium dafür erhebliche Gelder zur Verfügung stellt. Schirmer schmunzelt, als er Reischls Worte hört: "Ein Wettbewerb ist ein Format, das sich sehr bewährt hat."

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Quelle:
SZ vom 27.04.2021
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