Süddeutsche Zeitung

Geflüchtete im Landkreis Dachau:"Wir haben Probleme, die nicht mit Geld gelöst werden können"

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Dachaus Landrat Stefan Löwl (CSU) sieht sich überfordert, die Beschlüsse der jüngsten Bund-Länder-Konferenz umzusetzen und fordert eine "Beschränkung der Flüchtlingsströme". Der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Schrodi verweist auf Versäumnisse des Freistaats.

Von Anna Schwarz, Dachau

Bundesweit wird befürchtet, dass die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine in diesem Winter die Zahl der Geflüchteten im Jahr 2015 übertreffen könnte. Gleichzeitig fliehen auch Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland. Landrat Stefan Löwl (CSU) sieht sich mit großen Herausforderungen konfrontiert: "Wir haben eine Notsituation wie 2015/16, das wird aber vom Bund nicht anerkannt." Vor kurzem wurden die Themen Flüchtlingsunterbringung und Integration auch bei der Bund-Länder-Konferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und den Ministerpräsidenten diskutiert. Löwl zeigt sich enttäuscht davon: Denn die steigenden Zahlen von Geflüchteten aus der Ukraine und weiteren Ländern wurden dabei nicht angesprochen.

Gegen diese Vorwürfe wehrt sich Michael Schrodi (SPD), der Bundestagsabgeordneter für die Wahlkreise Dachau/Fürstenfeldbruck: Er betont, dass es in Berlin durchaus so gesehen werde, dass die jetzige Flüchtlingssituation mit der von 2015 vergleichbar sei: "Aber wir sind jetzt besser vorbereitet", schließlich habe man bereits Erfahrungen gesammelt und Unterbringungskapazitäten geschaffen.

Löwl kritisiert hingegen weiter, dass "das Thema der sich deutschlandweit wieder füllenden Sporthallen und Notunterkünfte bei der Konferenz nur eine finanzielle Frage" blieb. Letztere sei zwar geklärt: Seit Jahren trägt der Freistaat die Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen. Darüber hinaus gebe es aber noch "Probleme, die nicht mit Geld gelöst werden können", so Löwl - damit meine er etwa infrastrukturelle Herausforderungen: "Das mit der Unterbringung der Flüchtlinge kriegen wir schon irgendwie hin", im absoluten Notfall müssten wieder Turnhallen belegt oder Container aufgebaut werden. Für Löwl ist aber weiter offen, wie die Integration der Geflüchteten gelingen soll: "Wir haben nicht genügend Kindergärten, Erzieher, Sozialberater oder Wohnungen."

"Man darf den Schwarzen Peter nun nicht den Menschen zuspielen, die flüchten müssen"

Schrodi antwortet aufgebracht: "Die CSU hat dieses Land in den vergangenen Jahren heruntergespart", unter anderem wurde es versäumt, Plätze in Kindergärten und Ganztagsklassen an Schulen auszubauen: "Man darf den Schwarzen Peter nun nicht den Menschen zuspielen, die flüchten müssen." Das sei "brandgefährlich" und das würden eigentlich nur Parteien am rechten Rand tun. Darüber hinaus sei die Wohnungsnot ebenfalls dem Freistaat und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zuzuschreiben, der die einst staatliche Wohnungsgesellschaft GBW "verscherbelt hat", auch die landkreiseigene Wohnungsbaugesellschaft habe in den vergangenen Jahren nicht genug Sozialwohnungen geschaffen, so Schrodi.

Für Löwl gehe es aber auch um eine grundsätzliche Frage und zwar: "Wie viele Leute lassen wir nach Deutschland?" Der Nachfrage, ob er damit implizit eine früher bereits viel diskutierte Obergrenze für Zuwanderer fordere, weicht er aus. Über die "Steuerung und Beschränkung" der Flüchtlingsströme müsse man sich jedoch auf europäischer Ebene Gedanken machen, denkbar seien etwa verschärfte Grenzkontrollen an der österreichischen Grenze, so Löwl.

Schrodi betont, dass dort bereits Schleierfahndungen stattfänden. Zudem verweist er darauf, dass in Deutschland das bestehende Asylrecht gelte. Für ihn stehe fest: "Die Krisenherde auf der Welt werden nicht weniger", das stelle sowohl Bund, Länder und Kommunen vor Herausforderungen. Gleichzeitig verweist er darauf, dass die Regierung bereits an einem Chancenaufenthaltsrecht arbeite: "Wir brauchen eine gezielte Zuwanderung", so Schrodi.

49-Euro-Ticket: Löwl befürchtet, dass der ÖPNV-Ausbau auf der Strecke bleiben könnte

Außerdem haben sich Bund und Länder bei der Konferenz auf das 49-Euro-Ticket geeinigt - eine gute Nachricht für viele Pendler im Landkreis. Denn wer aktuell von Dachau nach München pendelt, zahlt für eine MVV-Monatskarte über 95 Euro. Löwl lobt einerseits: "Das 49-Euro-Ticket ist super", weil es einen Anreiz gebe auf das Auto zu verzichten. Allerdings befürchte er, dass das Geld von Bund und Ländern nicht reichen werde, um das Deutschlandticket zu finanzieren: "Sind die Kosten zu hoch, muss der Landkreis die Gelder über die Kreisumlage von den Gemeinden einholen oder bestehende ÖPNV-Linien einschränken." Der Ausbau des Nahverkehrs könnte auf der Strecke bleiben. Schon jetzt rechnet Löwl mit höheren Kosten im ÖPNV: Einerseits werden die Spritpreise für Busfahrten weiter steigen und auch die Gehälter von Busfahrern wohl angehoben, um den Beruf attraktiver zu gestalten, denn dem Landkreis gehen die Busfahrer aus.

Auch hier äußert sich Schrodi kritisch: Er sieht das 49-Euro-Ticket als "großen Wurf", rund 1,5 Milliarden Euro gebe der Bund jährlich dafür aus, den anderen Teil müssen die Länder stemmen. Um den ÖPNV-Ausbau zu finanzieren, stehen weitere Töpfe vom Bund zur Verfügung. Er empfiehlt Löwl, einmal bei der bayerischen Staatsregierung anzuklopfen, um den öffentlichen Nahverkehr auszubauen, das gelte auch für die Kinderbetreuung.

Infolge der Bund-Länder-Konferenz hatte auch der Sprecher der Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU) kritisiert, dass immer mehr Aufgaben auf die Gemeinden und Städte verteilt werden, "aber ohne ausreichende finanzielle Kompensation". Ab 2026 gelte zum Beispiel ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung für alle Kinder bis zehn Jahren, hier wünsche er sich mehr Unterstützung vom Bund, so Kolbe: "Diese Aufgabe kann kommunal nicht durch eine einmalige Investitionsförderung für Räumlichkeit und Personal finanziell gelöst werden." Schrodi kontert. Es könne nicht immer heißen: "Mia san mia und bei der Finanzierung schlagen wir uns in die Büsche", der Freistaat müsse seinen originären Aufgaben nachkommen.

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