Süddeutsche Zeitung

Markt Indersdorf:Lagerkoller

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Die Stimmung unter den Asylbewerbern, die seit August vorigen Jahres in einer Tennishalle in Indersdorf untergebracht sind, ist zunehmend gereizt. Grüne Landtagsabgeordnete kritisieren die Zustände.

Von Robert Stocker

"Oh Gott, das ist ja furchtbar", entfährt es Christine Kamm. Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag macht keinen Hehl daraus, dass sie über die Wohnverhältnisse in dieser Unterkunft völlig entsetzt ist. An der Wand stehen Liegen und Betten, die nur durch Schränke voneinander getrennt sind. Ein Gitterzaun aus Metall riegelt den gemeinsamen Schlaf- und Wohnbereich vom restlichen, aber wesentlich größeren Teil der Unterkunft ab. Dieser Bereich ist für die Bewohner tabu, weil der Boden geschont werden soll. Es sind zwei Tennisplätze.

Seit August vergangenen Jahres dient die ehemalige Tennishalle in Markt Indersdorf als Unterkunft für afrikanische Asylbewerber. Seit neun Monaten leben um die 30 junge Männer aus Mali, Niger und dem Senegal hier. Ein Helferkreis aus ehrenamtlichen Mitarbeitern engagiert sich für sie nach Kräften, organisiert Deutschunterricht, Ausflüge oder Fahrräder und unterstützt sie bei Behördengängen. Dennoch ist die Stimmung einiger Bewohner gereizt, weil so etwas wie Privatsphäre in dieser Sammelunterkunft unmöglich ist. Nachts finden viele keinen Schlaf, weil andere Bewohner plötzlich das Licht anschalten, Radio hören oder Spiele veranstalten. Einige hätten schon einen Lagerkoller, sagt Georg Weigl aus dem Helferkreis. Aggressionen nähmen zu, berichtet eine andere Helferin.

Davon hat auch Margarete Bause gehört, die mit einer kleinen Delegation die Indersdorfer Tennishalle besucht. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag will sich selbst ein Bild von den Bedingungen machen, unter denen die Asylbewerber hier leben müssen. Auch sie zeigt sich ziemlich erschüttert. Im Sommer wird es in der Halle brütend heiß, im Winter herrschen frostige Temperaturen. Fenster zum Lüften gibt es nicht, einige Lampen sind kaputt, andere gehen nur gemeinsam an. Ein Asylbewerber sagt zu Bause, so eine Unterkunft habe er nicht einmal in Afrika gesehen. Er will so schnell wie möglich raus hier. Wie alle anderen Bewohner.

Die Halle, die der Gemeinde Hebertshausen gehört und der Landkreis für die Unterbringung der Asylbewerber gepachtet hat, ist eine absolute Notunterkunft. Das ist auch den Verantwortlichen im Landratsamt klar. Seit Monaten bemühen sie sich um eine andere Lösung. Geplant sind schon seit langem Wohnmodule, die in der Nähe des Jugendzentrums am Rande des Gewerbegebiets gebaut werden sollen. Die Module sind feste Bauten, für die es eine baurechtliche Genehmigung braucht. Doch bisher gibt es keine Zusage von der Regierung von Oberbayern. Die Entscheidung, so fordert das Landratsamt, muss noch vor den Sommerferien fallen. "Wenn das nicht klappt, stellen wir eben wie in Schönbrunn Container auf", sagt der neu gewählte Landrat Stefan Löwl. Zwar haben die Container nicht den Standard der Wohnmodule, doch die Bewohner können in abgeschlossenen Räumen leben.

Für Margarete Bause und Christine Kamm ist das dringend nötig. "Die Bedingungen in der Halle entsprechen nicht einmal dem gesetzlichen Mindeststandard", sagt die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen. Aus Sicht von Bause ist es völlig klar, dass die Zustände in der Halle zu einem Lagerkoller und Psychosen der Bewohner führen. Sie seien immer wieder vertröstet worden, doch der Umzug habe bis heute nicht stattgefunden. "Die Bedingungen hier führen zu Aggressionen. Dafür werden dann die Bewohner verantwortlich gemacht." Diese seien wegen ihrer unsicheren Zukunft ohnehin schon stark psychisch belastet. Die grüne Politikerin fordert eine neue Flüchtlingspolitik in Europa. Die Dublin-Regelung sei unmenschlich. Jetzt wollen Bause und ihre flüchtlingspolitische Sprecherin mit Landrat Löwl Kontakt aufnehmen und vor allem Druck auf die Regierung machen. "Die Zustände in dieser Halle sind gesetzeswidrig", erklärt Kamm.

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Quelle:
SZ vom 07.06.2014
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