Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Alte Frontstellungen überwunden

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Sybille Steinbacher wird neue Leiterin des Dachauer Symposiums. Das sagt viel aus über eine Stadt, die sich lange lieber als Opfer gerierte als sich mit ihrer NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Walter Gierlich

Es wäre sicher ein lohnendes und umfassendes Thema für ein Dachauer Symposium zur Zeitgeschichte, den Wandel darzustellen, der sich in Dachau in den vergangenen 20 Jahren im Verhältnis zur KZ-Gedenkstätte vollzogen hat. Sybille Steinbacher, die zukünftige Leiterin dieser wissenschaftlichen Reihe, die seit 2000 in jährlichem Turnus stattfindet, wäre geradezu prädestiniert, hat sie doch etwa den jahrelangen Kampf um eine internationale Jugendbegegnungsstätte hautnah miterlebt. Die in Schönbrunn aufgewachsene Universitätsprofessorin für Zeitgeschichte engagierte sich als junge Frau selbst aktiv im Dachauer Förderverein für internationale Jugendbegegnung, gehörte zeitweise sogar dessen Vorstand an. Die schärfsten Widersacher dieses Projekts kamen aus der örtlichen CSU, die "bis zum letzten Blutstropfen" dagegen kämpfen wollte. Heute ist das Jugendgästehaus mit dem Max-Mannheimer-Studienzentrum aus Dachau nicht mehr wegzudenken, und CSU-Politiker sind bei vielen Veranstaltungen dort ganz selbstverständlich dabei.

Das hätte sich Sybille Steinbacher wahrscheinlich vor zwei Jahrzehnten ebenso wenig träumen lassen wie die Tatsache, dass sie von der Stadt den Auftrag erhält, die Leitung der Dachauer Symposien für Zeitgeschichte zu übernehmen. Das ist ein klares Zeichen dafür, dass die alten Frontstellungen nicht mehr existieren, dass so mancher Graben aus der Vergangenheit zugeschüttet ist. Insofern ist Steinbachers Vorschlag ganz besonders zu begrüßen, das erste von ihr im Jahr 2012 organisierte Symposium dem Gedenken an Nikolaus Lehner zu widmen, einem Juden, der nach der Befreiung aus dem KZ ausgerechnet in Dachau blieb und der Stadt, in der er soviel Leid erfahren hat, die Hand zur Versöhnung reichte. An Lehner, dessen Wirken bisher viel zu wenig gewürdigt wurde, hat die Stadt noch etwas gut zu machen.

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Quelle:
SZ vom 23.09.2011
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