Süddeutsche Zeitung

Angst vor Jugendbande:Karlsfeld in Aufruhr

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Seitdem Nachrichten über eine gewaltbereite Jugendbande die Runde machen, ist die Verunsicherung in Karlsfeld groß. Die Polizei kontrolliert nun täglich, die Gemeinde will verstärkt Präventionsarbeit leisten.

Von Christiane Bracht, Karlsfeld

In Karlsfeld ist man entsetzt, ja geschockt: Eine mutmaßlich kriminelle Jugendbande, die im Ort Angst und Schrecken verbreitet - den einen fällt es schwer, diese Nachricht zu glauben, andere "fühlen sich nun unwohl". "Noch ist es nicht wie in den Bronx, aber es könnte ja noch wachsen", sagt eine 69-jährige Karlsfelderin zur SZ. Sie ist verunsichert, wie viele andere auch, fast niemand will seinen Namen nennen. "Man spricht auch nur verhalten darüber, man weiß ja nicht, wer zur Jugendbande gehört", sagt die Seniorin. Ein 41-Jähriger gibt sogar offen zu, dass er nun abends nicht mehr allein auf die Straße gehen würde, obwohl er ein Mann ist. "Ich hoffe, dass das nur eine Momentaufnahme ist", sagt der Dachauer Polizeichef, Thomas Rauscher. "Objektiv ist das nicht gerechtfertigt. Der Landkreis Dachau hat eine super Sicherheitsbilanz." Seit Anfang März sei es um die Bande spürbar ruhig geworden, seit die beiden mutmaßlichen Anführer in Untersuchungshaft sitzen. Zuvor allerdings, von Oktober 2020 bis Februar 2021, habe es eine starke Häufung an Körperverletzungs- und Bedrohungsdelikten gegeben, die alle sehr klar den Mitgliedern der Jugendgruppe zuzuordnen sind. Opfer seien immer Gleichaltrige bis 18 Jahre gewesen. Nicht alle Taten sind jedoch in Karlsfeld verübt worden, sagt Rauscher.

Wie sich die Gruppe zusammengefunden und warum die Gewalt so eskaliert ist, dazu will sich der Polizeichef lieber nicht äußern, "das ist Sache der Experten, aber die Ursachenforschung ist uns wichtig". Die Corona-Pandemie könnte aber einen Beitrag geleistet haben, so Rauscher. Seinen Erkenntnissen zufolge besteht die Bande aus etwa 30 Mitgliedern im Alter von 13 bis 17 Jahren. Angesichts der Ausländerhetze, die in den Sozialen Medien eingesetzt hat, erklärt Rauscher, dass die Bande genauso plural sei wie die Gesellschaft, so seien auch viele Deutsche dabei. "Ein paar sind auch nur Mitläufer." Reyhan Toprak, eine junge Mutter, die gerade mit ihrem Kind in der Neuen Mitte einkaufen gehen will, widerspricht: "Ich kenne die Personen. Das ist alles völlig übertrieben. Es sind bei Weitem keine 30", sagt die 38-Jährige. Jugendbanden wie diese habe es auch vor 30 Jahren schon gegeben, das wisse sie genau, sie sei schließlich in Dachau-Ost aufgewachsen. Auch der CSU-Gemeinderat Bernd Wanka kann sich noch gut daran erinnern: "Damals gab's immer Schlägereien auf dem Siedlerfest."

Andere Mütter machen sich große Sorgen um die eigenen Kinder - auch wenn viele noch lange nicht im Teenageralter sind. Noch läuft ihr Kind nicht allein herum, sagt Julia T. Doch die Neunjährige werde älter und man könne sie nicht einsperren. "Man kann sein Kind nur gut briefen, damit sich das Selbstbewusstsein entwickelt", sagt die 36-Jährige. Vanessa P. empfindet das Ganze irgendwie als "irreal": "Es ist seltsam, obwohl es hier ist, ist es trotzdem weit weg", sagt die 32-jährige Mutter. Auf die Frage, was sie sich von der Gemeinde wünschen würde, überlegt sie kurz und sagt: "Ich glaube, man braucht Raum für die Jugendlichen, das wäre der Schlüssel."

Das ist genau das, was die aufsuchende Jugendarbeit Charide Christin von der Ahe dem Gemeinderat nahe gelegt hat: einen attraktiven Treffpunkt, der einsehbar ist, mit Pavillon, wo sich die Jugendlichen auch bei schlechtem Wetter aufhalten können, zum Beispiel neben dem Hallenbad. "Es ist wichtig, dass die Jugendlichen einen Platz in der Mitte der Gesellschaft finden", betont von der Ahe, wann immer es geht. Derzeit würden die Teenager meist negativ wahrgenommen und an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Dabei seien sie die Zukunft.

Keineswegs zufällig war demzufolge die Aktion "Karlsfeld steht auf" am vergangenen Samstag. Sie sollte die Teenager gegen die Gewalt stärken, die sie in den vergangenen Monaten erlebt haben. "Das war von langer Hand geplant", sagt die Jugendbeauftragte Venera Sansone (SPD). Sie ist froh, dass die Gewalteskalationen der Bande nun publik sind. Nun könnten alle die Augen und Ohren offenhalten. Dass es gerade ruhig ist, müsse nichts heißen, sagt sie. Es könne auch bedeuten, dass die Bande ihr Tätigkeitsfeld verlagert habe. Rauscher will das nicht ausschließen. Sansone sieht vor allem auch die Eltern in der Pflicht. Die Straftaten der jüngsten Vergangenheit offenbarten, dass die Jugendlichen im Netz Zugang zu Dingen haben, zu denen sie keinen haben dürften. Andernfalls wären sie wohl kaum an die Messer gekommen, sagt sie. Eltern müssten also genauer hinschauen, sich interessieren, was ihre Kinder im Internet machen. Deshalb wolle man nun die Eltern sensibilisieren, damit sie die Gefahren im Blick haben.

Heike Miebach (Grüne) beklagt, dass der Gemeinderat erst vor Kurzem beschlossen hat, die leitende Stelle für Jugendarbeit vakant zu lassen. "Wir hätten mehr kämpfen müssen", sagt sie. Unterdessen kontrolliert die Polizei in Karlsfeld seit geraumer Zeit mehrmals täglich Jugendliche. Gemeinde, Schulen, Kindergärten und Vereine versuchen parallel ein tragfähiges Netzwerk aufzubauen. Damit in Karlsfeld bald wieder Ruhe einkehrt.

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Quelle:
SZ vom 10.07.2021
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