Süddeutsche Zeitung

Jugendkriminalität:Brennpunkt Karlsfeld

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Jugendliche begehen mehrere Gewalttaten in der Gemeinde, die Anführer der Bande sitzen nun im Gefängnis. Doch die dramatischen Schilderungen eines Polizisten sorgen weiter für Aufsehen.

Von Thomas Altvater, Karlsfeld

Ein Presseartikel über eine mutmaßlich kriminelle Jugendbande, die in Karlsfeld Angst und Schrecken verbreite, sodass sich viele Kinder nicht mehr hinausgetrauten, hat in den vergangenen Tagen für Aufsehen gesorgt. So schilderte ein Dachauer Polizeibeamter, dass es in Karlsfeld in der Vergangenheit immer wieder zu Revierkämpfen und schweren Gewalttaten unter den Jugendlichen gekommen sei. Alarmierende Zustände, die den Polizisten an "Klein-Chicago" erinnern würden. Im Netz sorgten sich deshalb viele Karlsfelder über das Wohlergehen der Kinder und Jugendlichen im Ort. Doch nun gibt die Dachauer Polizei Entwarnung: Zwar sei den Beamten eine solche "Jugendgruppenstruktur" bekannt, wie der stellvertretende Leiter der Dachauer Polizeiinspektion, Stefan Priller, erklärt. "Fakt ist aber, dass es in den vergangenen Wochen komplett ruhig war."

Die Polizei bestätigt auch, dass es in der Vergangenheit zu strafbaren Handlungen unter Jugendlichen gekommen war. Mehrere Anzeigen, etwa wegen Beleidigung oder gefährlicher Körperverletzung, würden derzeit von der Staatsanwaltschaft in München bearbeitet. "Wir haben also schon jugendtypische Gewalttaten in Karlsfeld", sagt Priller. Doch er versucht zu beschwichtigen: Das sei noch nichts Ungewöhnliches, sondern komme immer wieder einmal vor, auch in anderen Landkreisen oder Ortsteilen.

"Hinzu kommt, dass es kaum möglich ist, dieses Phänomen in Karlsfeld an irgendwelchen Zahlen festzumachen", erklärt Priller. Vielmehr müsse man abwarten, was die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergeben. Gerade deshalb fällt es dem stellvertretenden Polizeichef schwer, das, was sich noch vor wenigen Monaten in Karlsfeld abgespielt haben soll, richtig einzuschätzen: "Es ist alles ein bisschen schwierig, weil da natürlich viel erzählt wird und viele Gerüchte hochkochen", sagt er. Die Polizei könne vieles weder verifizieren noch mit vollständiger Gewissheit aufklären, zum Beispiel wie groß die Gruppe war oder wo sie sich meistens aufhielt. "Und wenn es nur wenige Anzeigen diesbezüglich gibt, dann können wir auch nicht in ein Ermittlungsverfahren einsteigen und aufklären, was wirklich war." Priller appelliert deshalb an die Kinder und Jugendlichen, etwaige Vorfälle der Polizei zu melden.

Dennoch reagierte die Polizei: So haben die Beamten ihre Präsenz in Karlsfeld erhöht. "Das heißt, wir sind mehr Streife gefahren und haben mehr kontrolliert", erklärt Piller. Vorfälle habe es seitdem keine mehr gegeben, auch die Beschwerden einiger Anwohner seien ausgeblieben. Kurzum: "Wir haben die Leute momentan im Griff und das wird uns auch so bestätigt", fasst Priller die aktuelle Lage zusammen.

Die Dachauer Polizei arbeite mittlerweile auch mit dem Jugendamt und dem Landratsamt zusammen. "Und das funktioniert gut." Dass es momentan ruhig geworden ist um die Jugendbande, dürfte auch daran liegen, dass die Beamten die beiden mutmaßlichen Anführer der Gruppe, zwei Brüder im Alter von 17 und 15 Jahren, mittlerweile festgenommen haben. Sie sitzen in Untersuchungshaft. "Das sind natürlich Signale an die restlichen Mitglieder", erklärt Priller. Der Jüngere sei vor ungefähr zwei Monaten inhaftiert worden. Ihm werfen die Ermittler gefährliche Körperverletzung vor. Der Ältere sitzt schon seit längerer Zeit in Untersuchungshaft. Zu einem mutmaßlichen Sexualdelikt, das von einem der beiden Beschuldigten begangen worden sein soll, könne er jedoch keine Auskunft erteilen, erklärt Piller. Das habe sich im Münchener Raum zugetragen, sagt er, "und das liegt nicht in unserem Zuständigkeitsbereich".

Etwas drastischer formuliert es hingegen der Karlsfelder Bürgermeister, Stefan Kolbe (CSU): "So etwas habe ich noch nicht erlebt", sagt er. Das, was die Bande getan habe, sei eine "völlig andere Dimension", eine "unschöne Geschichte". Dennoch seien ihm als Bürgermeister die Hände gebunden: "Das ist natürlich eine Sache der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Gerichte", sagt Kolbe. Trotzdem wehrt er sich gegen die Formulierung, Karlsfeld sei das "Klein-Chicago" des Dachauer Landkreises: "Das gefällt mir überhaupt nicht, man kann Karlsfeld da nicht über einen Kamm scheren", sagt er. Eher habe man einen Brennpunkt in der Gemeinde, "der wohl durch diese Jugendlichen erzeugt wurde."

Kolbe fordert deshalb die Strafverfolgungsbehörden, aber auch die Gerichte dazu auf, nun mit "voller Härte" gegen die Jugendlichen vorzugehen. Doch auch die Kommune will gegen die Jugendbande aktiv werden. So stehe man bereits mit dem Jugendamt in Kontakt, wie Kolbe erklärt. "Und wir werden versuchen, die Jugendarbeit ins Laufen zu bringen und den Jugendlichen entsprechende Angebote zu machen", sagt er, "und dann beruhigt sich alles wieder, das ist meine Hoffnung."

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SZ vom 07.07.2021
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