Süddeutsche Zeitung

Inklusion:Ein Weihnachtsmarkt für alle

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Enge Gassen und viele Hindernisse: Nur die wenigsten Weihnachtsmärkte sind barrierefrei. Die Gemeinde Hebertshausen will das ändern und hat dieses Jahr genau hingeschaut, was man in Zukunft besser machen kann.

Von Ayça Balcı, Hebertshausen

In geselliger Runde am Glühwein nippen, von einer bunt beleuchteten Bude zur anderen schlendern und mit staunenden Kinderaugen dem Krippenspiel zusehen: Für viele sind Weihnachtsmärkte aus der Adventszeit nicht wegzudenken. Doch nicht für alle verläuft ein Besuch unbeschwert: Menschen im Rollstuhl oder mit Blindenstock haben es schwer, sich durch die Menschenmengen zu bewegen; Hindernisse gibt es zuhauf. Die Inklusionsbeauftragte von Hebertshausen Tanja Patti hat sich zum Ziel gesetzt, den Weihnachtsmarkt der Gemeinde barrierefrei und inklusiv zu machen. Um herauszufinden, wo es noch Verbesserungsbedarf gibt, trafen sich Bürgermeister Richard Reischl (CSU), Gemeinderäte und betroffene Familien zu einer Marktbegehung.

Schon bei der Ankunft an der Grund- und Mittelschule, wo der Hebersthausener Weihnachtsmarkt stattfindet, zeigt sich das erste Problem: Es lassen sich kaum freie Parkplätze in Marktnähe finden, Behindertenparkplätze gibt es keine. Patti hat einen Rollstuhl mitgebracht, in den sich Reischl setzt. Auf dem Kopfsteinpflaster im Schulhof angekommen merkt er: "Das ist um einiges anstrengender als auf dem glatten Weg." Oft finden Weihnachtsmärkte in Altstädten statt und die haben nicht selten einen Bodenbelag aus Kopfsteinpflaster - eine Schwierigkeit für Rollstuhlfahrer oder Menschen mit Rollatoren. Jenny Schlichenmayer kennt das Problem. Sie sitzt im Rollstuhl und meidet grundsätzlich Märkte in Altstädten.

Kopfsteinpflaster können für Menschen im Rollstuhl ein großes Hindernis sein

Die sechsjährige Lea Ziegler ist gerne auf Weihnachtsmärkten. "Sie mag die Atmosphäre, aber mit dem Rollstuhl es ist immer sehr anstrengend", sagt Andrea Ziegler, Leas Mutter. Die Sechsjährige entdeckt die nächste Hürde: Eine Vertiefung im Boden, die als Regenrinne dient. Mit ordentlich Schwung schafft sie es über die Rinne, für Erwachsene wie Jenny Schlichenmayer wird es schon ein bisschen schwieriger - trotz Rollstuhl mit elektronischer Unterstützung.

Auf dem Weg in die Schulaula das nächste Hindernis: eine Kabelbrücke. Es ist zwar gut, dass Kabel nicht offen herumliegen, die nicht zuletzt für blinde Menschen gefährlich werden können. Doch die Brücke ist zu steil, um sie aus eigener Kraft mit dem Rollstuhl zu überqueren. Die sechsjährige Lea und Schlichenmayer sind hier also auf Hilfe angewiesen. Wenige Meter weiter lässt sich die Tür zur Aula nicht automatisch öffnen. "Ich will nicht fragen müssen, ob mir jemand hilft", sagt Schlichenmayer. Gemeinderat Johann Vötter (SPD) merkt an, dass es für blinde Menschen besonders schwierig sei, sich auf Weihnachtsmärkten zurechtzufinden. Er selbst ist einseitig blind und hat immer seine Frau dabei, wenn er einen Markt besucht. "Mit dem Blindenstock ist es gar nicht möglich, durch die Menschenmenge zu kommen."

Häufig meiden Menschen mit Handicap den Besuch auf dem Weihnachtsmarkt

Positiv fällt auf, dass die Buden auf dem Hebertshausener Weihnachtsmarkt ebenerdig sind und sich die Tresen auf Sitzhöhe befinden. Eine Seltenheit, denn häufig stehen Marktbuden auf einem erhöhten Podest, Rampen gibt es nur selten. "Dadurch wird es schon unmöglich, selbstständig das Geld zu überreichen", sagt Andrea Ziegler. Dass Menschen mit Behinderungen immer auf fremde Hilfe angewiesen sind, kann für Betroffene zur Belastung werden. Die Folge: Häufig meiden sie den Besuch auf dem Weihnachtsmarkt. Wenn Andrea Ziegler und ihre Familie auf einen Markt gehen wollen, informieren sie sich vorher über die Barrierefreiheit. So sei beispielsweise der Weihnachtsmarkt am Münchner Flughafen aufgrund seiner Weitläufigkeit vorteilhaft für Personen im Rollstuhl.

Der Dachauer Christkindlmarkt hingegen käme überhaupt nicht in Frage, da sind sich Familie Ziegler und Jenny Schlichenmayer einig: Zu eng und schlecht befahrbar seien die Wege aus Kopfsteinpflaster, auch die Stufen vor und hinter dem Rathaus würden es unmöglich machen, mit dem Rollstuhl überall hinzukommen. Das Problem ist auch dem Kreisbehindertenbeauftragten Hartmut Baumgärtner bekannt. In Dachau laufe er mit dem Thema "gegen Wände", erzählt er. "Der Standort in der Altstadt ist überhaupt nicht barrierefrei und lässt sich auch nicht barrierefrei gestalten." Dabei wäre das möglich bei einem Standortwechsel auf die Ludwig-Thoma-Wiese. Jene Überlegung gab es schon während der ersten Pandemiejahre, denn dort hätte es mehr Platz zum Abstandhalten gegeben. "Aber auch damals gab es schon Gegenwind aus der Bevölkerung", so Baumgärtner. "Man wollte den traditionellen Markt in der Altstadt beibehalten."

In Hebertshausen stand der diesjährige Weihnachtsmarkt unter dem Motto Inklusion - eine Herzensangelegenheit für Inklusionsbeauftragte Patti, da er auf den Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung fiel. Neben ihrem inklusiven Stand mit Aushängen in Brailleschrift organisierte sie, dass an allen Ständen auch Menschen mit Behinderungen mitarbeiten. "Wir sind noch nicht am Ziel, aber es ist wichtig, sich immer Gedanken zu machen, wie man etwas inklusiver und barrierefreier machen kann."

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