Süddeutsche Zeitung

Faszination fürs Mittelalter:In eiserner Rüstung

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Die Mitglieder des Mittelaltervereins Grenzwacht nehmen ihr Hobby sehr ernst. Ein Besuch beim Rittertraining auf dem Sportplatz des ASV Dachau.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Passanten werfen irritierte Blicke auf den Trainingsplatz des Allgemeinen Sportvereins Dachau. Anstatt wie sonst Fußballer, die über den Rasen jagen, erspähen sie große Gestalten, die von Kopf bis Fuß mit gehärtetem Stahl eingerüstet sind. Mit eisernen Waffen schlagen sie mit voller Kraft auf sich ein, bis am Ende nur noch einer aufrecht steht. Der Ritter Harald von Smoeha, gefürchtet für seine wuchtigen Überkopf-Schläge, sitzt da bereits am Boden und klagt über Schädelbrummen. Der gefürchtete Österreicher Andreas von Brenntenperch hat ihm ein zwei Kilo schweres Fleischerbeil auf den Kopf gezimmert.

Im Mittelalter wäre der dumpfe Hieb vermutlich tödlich gewesen. Die Schlachten verliefen seinerzeit blutrünstig und brutal; die meisten Soldaten konnten sich eine Rüstung nicht leisten und waren den reitenden Rittern hoffnungslos unterlegen, sodass sie zu Tausenden fielen. Die Helme von damals waren nicht sonderlich stabil. Die Ritterkämpfe heutzutage verlaufen wegen des technischen Fortschritts um einiges verletzungsfreier, wie sich beim Training des Mittelaltervereins "Grenzwacht" auf dem Gelände des ASV Dachau zeigt. Der einzige Mittelalter- und Schwertkampfverein im Landkreis Dachau hat sich im Jahr 2011 gegründet. Er zählt mittlerweile 30 Mitglieder und etwa ein Dutzend Anwärter und Sympathisanten. In der Szene hat sich der Verein, dessen Wappen einen weißen Pferdekopf auf blau-rotem Grund zeigt, einen klangvollen Namen erkämpft. Die Grenzwacht richtet mehrmals im Jahr eigene Schwertkampfturniere aus und nimmt an internationalen Wettkämpfen teil. Ihr Lager mit mehr als 20 Behausungen erinnert an eine Zeltstadt. Oberste Prämisse im Lager ist, alles so authentisch mittelalterlich wie nur möglich zu gestalten. Das Smartphone bleibt deshalb die meiste Zeit in der Tasche. Und gekocht werden Eintöpfe in großen Kesseln auf offenem Feuer.

Die Keilerei auf dem Trainingsplatz hält kurz inne; unter den Ritterhelmen kommen verschwitzte Gesichter hervor, denen die Strapazen des Kampfes deutlich anzusehen sind. Gabriela zu Augusingas, eine stolze Frau mit rot gefärbtem Haar, kümmert sich um die Recken. Sie ist sozusagen Trainerin, Psychologin, Physiotherapeutin, Motivatorin und Köchin in einer Person. Vor den Kämpfen hilft sie den Rittern in die bis zu 30 Kilo schweren Rüstungen und stellt sicher, dass alles sitzt. Im Kampf treibt sie ihre Schützlinge lautstark an. Dazwischen kümmert sie sich um die Verpflegung der Ritter, kocht oder sorgt für Ordnung im Lager der Grenzwacht.

"Das Mittelalter hatte für mich schon immer etwas Romantisches"

Im echten Leben heißt die Lagersergeantin Gabriele Lapi und ist Justizangestellte am Amtsgericht Dachau. Sie ist die rechte Hand des Richters und führt Protokoll bei Gerichtsprozessen. Ihr Doppelleben beginnt am Wochenende, wenn sie die schwarze Robe gegen ihre mittelalterlichen Gewänder eintauscht. Die Faszination für das Mittelalter schlummerte schon länger in der Dachauerin. Wie für viele ihrer Mitstreiter begann alles mit einem Besuch auf einem Mittelaltermarkt, von denen es inzwischen Hunderte in Deutschland gibt. Lapi gefiel auf Anhieb das familiäre Miteinander auf den Märkten und die Idee, sich zu verkleiden und in eine andere Zeit einzutauchen. "Das Mittelalter hatte für mich schon immer etwas Romantisches", sagt sie. Schließlich kaufte sich die Justizangestellte ihre ersten mittelalterlichen Kleider und trat vor fünf Jahren der Grenzwacht bei, die ihr auf Märkten bereits aufgefallen war.

So oder so ähnlich ging es vielen der Mitglieder der Grenzwacht. Sie kommen aus ganz Deutschland, Österreich und Südtirol. Nicole von der Niedertraht, die eigentlich Nicole Friedersdorf heißt, ist mit ihrem Gatten Axel dem Frankenschlächter extra aus Büdingen bei Frankfurt am Main zum Training in Dachau angereist. Überregional bekannt ist die kleine, hessische Stadt durch ihre hervorragend erhaltene mittelalterliche Altstadt mit Schloss. Axel der Frankenschlächter inszenierte in dem Städtchen Schwertkämpfe vor historischem Ambiente. Seine Frau, eine promovierte Biochemikerin, steckte er mit seiner Begeisterung an. Um sich fit zu halten, so erzählen sie, spazieren die beiden mit Hund und in Rüstung regelmäßig durch den Büdinger Stadtpark. Streit gibt es in ihrer Ehe angeblich nicht: Konflikte werden mit Schwert und Lanze im Garten gelöst.

Die Faszination für Ritter und Schwerter macht sich längst nicht nur bei Buben breit, die für Lancelot oder Parzival aus dem Film "Die Ritter der Tafelrunde" schwärmen. Im Kindesalter ahmte man seine Helden noch nach, indem man stundenlang mit Playmobil spielte oder sich eine Plastikrüstung überzog. Inzwischen ist aber deutlich ein Trend zu erkennen, dass immer mehr Erwachsene sich für das Mittelalter und seine Akteure (wieder) begeistern. Die Mittelaltermärkte werden immer zahlreicher und sind überaus gut besucht. Mittelalter-Bands wie "Schandmaul" aus Gröbenzell füllen ganze Konzerthallen. Die Faszination ergreift sämtliche Schichten und Berufsgruppen, wie sich an der Grenzwacht zeigt. Kathy Sommer, oder auch Kathryn zu Weissensteyn, gibt Kosmetikseminare und sagt: "Es ist ein super Ausgleich, nicht immer mit High Heels rumzulaufen, sondern auch mal barfuß im Dreck zu stehen." Ihr Partner Patrick zu Weissensteyn ist Grafikdesigner, ihr Neffe Benni aus Petershausen, mit 17 Jahren der jüngste unter den Rittern, noch Schüler. "Wir entfliehen mit unserem Hobby ein bisschen der Realität", gesteht Gabriela zu Augusingas. Und so geht es vielen. Das Mittelalter ist zu einer Projektionsfläche abenteuerlicher Fantasien geworden.

Beängstigende Wucht der Schläge

Für die Schwertkämpfer der Grenzwacht ist ihr Hobby aber vor allem ein anspruchsvoller Sport. Um sich in der schweren Rüstung bewegen zu können, bedarf es einer immensen Kraft und Ausdauer. Der brachiale Andreas von Brenntenperch schafft es nach 30 Sekunden Kampf gerade noch so eben, sein Visier aufzureißen und schnappt völlig erschöpft nach Luft. "Das ist eine ganz brutale Konditionssache", stammelt er. Unter den fast vollständig geschlossenen Helmen müsse man extrem auf seine Atmung achten, damit sich keine Kohlendioxid-Wolke bilde und man stehend k. o. gehe, erklärt er. Der Vereinsvorsitzende Harald Gelb, dessen Schädel nach dem Kampf so gebrummt hatte, geht einmal die Woche Joggen und mindestens zweimal ins Fitness-Studio, um für die Schlachten gewappnet zu sein. Schwertkampf ist ein Hochleistungssport.

Die Wucht, mit der die Kämpfer aufeinander einschlagen, ist schon im Training beängstigend. "Du schlägst alles an Stress und Problemen aus dir raus", sagt der Frankenschlächter. Im sogenannten Voll-Kontakt-Modus hauen die Kämpfer mit stumpfen Eisenwaffen mit ihrer ganzen Kraft aufeinander ein; die Schlagabtausche sind weder gestellt noch vorher abgesprochen. Schließlich soll es nicht darum gehen, sein Gegenüber mutwillig zu verletzen, sondern ihn durch technische oder körperliche Überlegenheit in die Knie zu zwingen. Die Ganzkörperrüstungen aus gehärtetem Stahl halten den schweren Hieben Stand, sodass höchstens ein paar blaue Flecken bleiben. Bei Turnieren zählen mehrere Kampfrichter die Wirkungstreffer. Außerdem wird penibel darauf geachtet, dass Rüstungen und Waffen historisch stimmig sind.

Ähnlich wie beim Boxen gibt es inzwischen mehrere Verbände, die Europa- und Weltmeisterschaften austragen; Nicole von Niedertraht und ihr Frankenschlächter kämpfen für die deutsche Nationalmannschaft. Die Gewinner sind am Ende meist Ukrainer oder Russen, Länder, in denen der Schwertkampf sehr populär ist. Für eine komplette Rüstung mit Waffen, die sich die meisten in Osteuropa anfertigen lassen, gehen allerdings bis zu 5000 Euro drauf, hinzu kommt der ganze Jahresurlaub für die langen Anreisen und Aufenthalte bei Turnieren. Aber die Zeitreise ins Mittelalter ist es den stolzen Frauen und Männern der Grenzwacht wert. "Mal raus zu kommen aus der schnellen Welt und dem Stress - das ist schon ein schönes Gefühl", sagt Gabriela zu Augusingas.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2017
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