Süddeutsche Zeitung

Demografie:Wie Kommunalpolitiker versuchen, auf das Bevölkerungswachstum zu reagieren

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Im Landkreis Dachau wächst die Bevölkerung schneller als die Infrastruktur. Die Gemeinden müssen sich dieser Herausforderung gemeinsam stellen.

Von Thomas Radlmaier

Wäre das Thema nicht so ernst, weil zum Beispiel wegen steigender Mieten immer mehr Menschen im Landkreis von Obdachlosigkeit bedroht sind, man könnte laut lachen: 2011 sagten Statistiker voraus, dass die Einwohnerzahl des Landkreises die 150 000-Marke im Jahr 2031 überschreitet. Tatsächlich lebten 2017 bereits 152 700 Menschen im Landkreis. Und tatsächlich lacht niemand, als Kreisbaumeister Georg Meier diese Zahlen im Kreistag anlässlich des fünfjährigen Bestehens des Projektes "Zwischen Dorf und Metropole" präsentiert. Stattdessen sagt Wolfgang Offenbeck (CSU): "Die Prognosen überrollen uns. Wir werden der Realität immer hinterherhinken." Mechthild Hofner (ÖDP) ist sogar "desillusioniert", wie sie sagt. Für sie sind diese Zahlen "dramatisch".

Zu schätzen, wie viele Menschen in 20 Jahren im Landkreis wohnen werden, ist ungefähr so, als würde man das Wetter vorhersagen. Derzeit rechnen Demografieforscher für das Jahr 2037 mit einem Zuwachs der Einwohnerzahl um 13,2 Prozent. Das wären ungefähr 20 000 Menschen mehr als jetzt. Das kann stimmen oder auch nicht. Auch deshalb ist es eine fast aberwitzige Aufgabe, der sich die Kommunalpolitiker stellen: Sie sollen das Bevölkerungswachstum und seine Auswirkungen im Landkreis irgendwie in geregelte Bahnen lenken.

Prognosen zum Wachstum der Bevölkerung sind so wie Wettervorhersagen

Einer von vielen Versuchen, das zu tun, ist das Leader-geförderte Projekt "Zwischen Dorf und Metropole". Der Kreistag sowie alle Stadt- und Gemeinderäte haben vor fünf Jahren ein "Zukunftsbild" samt 16 Leitlinien für den Landkreis verabschiedet, "um die zukünftige Raum-, Siedlungs- und Verkehrsentwicklung nachhaltig zu gestalten". So lautet das Ziel. Ob das Projekt erfolgreich sein wird? Man verzichtet lieber auf eine Prognose.

Kreisbaumeister Meier und sein Kollege Florian Haas haben nun nach fünf Jahren eine Zwischenbilanz von "Zwischen Metropole und Dorf" gezogen und im Kreistag darüber berichtet. Klar ist: Das gesetzte Vorhaben, das Bevölkerungswachstum bei einem Prozent pro Jahr zu halten, ist gescheitert. Die Einwohnerzahl nimmt seit 2012 jährlich um 1,5 Prozent zu. "Diese rasante Entwicklung wird nicht stoppen", sagt Meier, der im Landkreis eine "enorme Nachverdichtung" festgestellt hat.

Auswirkungen auf den Verkehr im Landkreis Dachau

Doch Meier und Haas können auch erste konkrete Ergebnisse präsentieren, die helfen, das Problem zu lösen. Die Kommunen und der Landkreis gehen die Aufgabe gemeinsam an. Ende vergangenen Jahres haben der Kreistag und der Stadtrat in Dachau einen gemeinsamen Nahverkehrsplan verabschiedet mit dem Ziel, möglichst viele Menschen zum Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen. Unter anderem sollen in der Stadt von 2020 an die Busse deutlich öfter und länger fahren. Davon erhofft man sich viel. Noch schlägt das Auto den Bus um Längen. Dass die Menschen im Landkreis enger zusammengerückt sind, lässt sich jeden Tag auf den Straßen beobachten. Fast 60 Prozent der Alltagswege legen die Menschen im Landkreis Dachau mit dem Auto zurück, 13 Prozent mit dem öffentlichen Personennahverkehr.

Haas, der in der 2015 geschaffenen Abteilung "Kreisentwicklung" im Landratsamt arbeitet, skizziert die Gründe, warum der ÖPNV verbessert werden muss. Die Menschen hätten heutzutage einen höheren Mobilitätsbedarf als früher, sagt er. Das bedeute, dass mit dem Bevölkerungswachstum auf der Straße "ein doppeltes Plus auf den Landkreis zukommt". Dabei meint etwa Mechthild Hofner, man sei im Landkreis schon jetzt "kurz vor dem Verkehrskollaps".

"Der Landkreis Dachau ist keine geschlossene Werkstatt"

Auch deshalb sind einige Kreisräte der Meinung, dass Maßnahmen des Projektes "Zwischen Dorf und Metropole" schneller umgesetzt werden müssten. "Es geht insgesamt zu langsam vorwärts", sagt Michael Reindl (Freie Wähler). Meier entgegnet, oft sei man an Fördermittel und Ausschreibungsprozedere gebunden. Auch dämpfte er die Erwartungen an das Projekt. "Wir haben den Infrastrukturausbau in den vergangenen 30 Jahren komplett verschlafen." Das hole man nicht von heute auf morgen auf. Ähnlich sieht das Landrat Stefan Löwl (CSU). "Ich mache mir ernsthafte Sorgen um eine Überhitzung", sagt er. Schließlich wachse die Bevölkerung schneller als die Infrastruktur. "Dieser Entwicklung irgendwie hinterherzukommen, ist eine Riesenaufgabe."

Klar ist, dass die Städte und Gemeinden diese Herausforderung gemeinsam angehen müssen. Vor diesem Hintergrund fällt Meiers Zwischenbericht zu "Zwischen Dorf und Metropole" durchaus positiv aus. Er verweist darauf, dass alle Kommunen Mitglied der Wohnungsbaugesellschaft im Landkreis Dachau sind (WLD). Vielerorts entsteht vergleichsweise bezahlbarer Wohnraum. Auch die Zusammenarbeit mit der Stadt München funktioniere viel besser als noch vor einigen Jahren, sagt Meier. "Der Schulterschluss findet statt." Das begrüßt auch Offenbeck. Man müsse mit allen anderen Akteuren kooperieren, um handlungsfähig zu bleiben, sagt er. "Der Landkreis ist keine geschlossene Werkstatt."

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Quelle:
SZ vom 20.02.2019
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