Süddeutsche Zeitung

Tradition in Bayern:Wenn die Lindenwanze Walter Sedlmayr sticht

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"Um ein wirklich guter Schafkopfspieler zu werden, braucht es ein ganzes Leben lang": Künstler in Dachau haben ihr eigenes Kartendeck gestaltet. Bei einem Praxistest lässt sich viel über das Spiel lernen - und noch mehr über seine Spieler.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Die letzten Schwalben schwirren um die Häuser, langsam wird es dämmrig in der Altstadt. In der hell erleuchteten Galerie der Künstlervereinigung Dachau (KVD) sitzen und schwitzen an diesem hochsommerlichen Mittwochabend 32 Leute an acht Bierbänken. Auf die Grafiken an den Wänden schaut keiner mehr, wozu auch, die Motive haben die Besucher selber als Karten auf der Hand. Das "Dachauer Schafkopfblatt", gestaltet von vier Künstlern der KVD, wird am Mittwoch in zwei Runden à 20 Spielen einem ersten Praxistest unterzogen. Es werden zwei lange Runden werden. Erst nach mehr als drei Stunden steht der Sieger fest.

"Wir wollen herausfinden, ob unser Dachauer Schafkopfblatt das Zeug hat, ein Klassiker zu werden", sagt der KVD-Vorsitzende Johannes Karl, bevor das Turnier beginnt. Das Reglement erlaubt normale Punktspiele, Solospiele, Naturwenze, aber keine Farbwenze. "Schießen ist erlaubt, Klopfen haben wir weggelassen, weil es zu kompliziert wird." Wer hier nur Bahnhof versteht, ist offenbar kein Schafkopfspieler, Schafkopfspieler haben ihre eigene Sprache, und es gibt viele regionale Varianten bei der Spielweise. Um ein bisschen mitzukarteln, muss man nicht viel können. "Aber um ein wirklich guter Schafkopfspieler zu werden, braucht es ein ganzes Leben lang", sagt Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler. Er hat das Schafkopfen selbst erst nach dem Abitur gelernt hat.

Flankiert wird das Schafkopfrennen von einem kalten Buffett und gekühltem Bier. Nicht dass es heißt, man habe "nur wegen der Elektrolyte" verloren, scherzt Johannes Karl. Das Teilnehmerfeld ist bunt gemischt, alt und jung, auch ein halbes Dutzend Frauen mischt an diesem Abend mit. Das sei eine neue Entwicklung, konstatiert Göttler erfreut. Schafkopf werde in ländlichen wie städtischen Milieus gleichermaßen gespielt, früher sei es eine klare Männerdomäne gewesen, "da ist etwas in Bewegung gekommen". Die Schafkopfenden sind jetzt auch Frauen.

Lindenschädlinge sind die Stars der Farbe Gras

Entstanden ist die Idee für das "Dachauer Kartenblatt" in der "Amperlust", als die KVD-Künstler mal wieder in lustiger Runde beim Bier beisammen saßen und am Tisch nebenan gekartelt wurde. In früheren Zeiten drückte einem jeder zweite Handwerksbetrieb einen Satz Karten als Werbegeschenk in die Hand, warum also nicht auch als Künstlervereinigung selbst so ein Blatt gestalten? Das erfordert natürlich ein gewisses Fingerspitzengefühl, Schafkopfen ist in Bayern ein Kulturgut mit einer Jahrhunderte langen Tradition, da kommt man auch um das schon etwas antiquiert wirkende deutsche Blatt mit seinen Junkern, Königen und Blätterranken nicht ganz herum.

Muss man aber auch gar nicht.

Wie eine originelle zeitgenössische Adaption funktionieren kann, zeigen Marian Wiesners Motive zur Farbe Gras besonders schön. Die Lindenblätter wurden als Holzschnitte in Lindenholz gedruckt. Illustriert sind die Bildkarten mit den prächtigsten Schädlingen des Lindenbaums: Als Unter beißt die Raupe des Lindenschwärmers ein saftiges Blatt an, als Ober sticht der eisenfarbige Lindenbock ins Auge, als König glänzt der Lindenprachtkäfer, und die Lindenwanze zuzelt selig an ihrem Lieblingslaub. Nina Annabelle Märkl hat ein Kabinett phantastisch verwachsener Wesen entworfen: ein fledermausohriger Unter, ein faunartiger Ober, eine mit wurzelartigen Tentakeln ausgestattete Eichel-Sau und ein nasenaffiger Eichelkönig versammeln sich unter dem Banner der Eichel.

Bayerisches Kolorit mit einer Prise Humor steuert Johannes Karl mit seinen Schellenkarten bei: Der Ober sprengt nach Feldherrenart auf einem Comicpferd ins Bild, die Kuglbauer Theres, wie die Schellensau auch genannt wird, ist als dralles Dirndl mit zwei gut eingeschenkten Maßkrügen personifiziert, ein Deutscher Schäferhund schaut ihr keck über die Schulter, und natürlich darf auch der Märchenkönig, Ludwig II., nicht fehlen, wir sind ja hier in Bayern.

Der weißblauen Wirtshaustradition trägt Florian Marschall auf den Herz-Karten mit mit seinen bayerischen Charakterköpfen Rechnung: Herbert Achternbusch, Kurt Landauer, Walter Sedlmayr, Gustl Bayrhammer, Liesl Karlstadt, Oskar Maria Graf, Kurt Eisner, Franz Josef Strauß zieren sie - und eine Sau. Strauß ist die höchste Herz-Karte. Ober sticht unter. "Schafkopfen war früher ein Spiel der Offiziere", weiß Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler, vermutlich wurden Vorläufer schon zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs gespielt. "Spiele spiegeln immer auch gesellschaftliche Entwicklungen wider."

"Ich habe den Eindruck, dass die ganz Jungen wenig Zugang dazu haben"

Heute ist Schafkopfen ein Spiel der Generationen, die selbst noch auf dem Schulhof Karten gespielt haben. In der Klasse seines Sohnes gebe es nur zwei Kinder, die schafkopfen könnten, erzählt Landrat Stefan Löwl. Das ist keine repräsentative Erhebung, deckt sich aber mit den Erfahrungen des Bezirksheimatpflegers. "Ich habe den Eindruck dass die ganz Jungen wenig Zugang dazu haben", sagt Göttler.

In Bayern war das Schafkopfen seit jeher mit der Wirtshauskultur verbunden. Doch das natürliche Habitat der Schafkopfspieler schwindet so schnell wie die Polkappen der Arktis. Selbst da, wo es noch richtige Wirtshäuser gebe, seien Kartenspieler oft nicht mehr willkommen. "Das ist schade", findet er. Ein Glücksspiel sei Schafkopfen übrigens nicht; alle Karten würden verteilt, es bleibe also kein Stock, der manipuliert werden könne. Früher hätten Bauern aber auch mal Haus und Hof beim Schafkopfen verspielt. Göttler kennt auch heute noch Runden im Dachauer Raum, wo es um Einsätze von 1000 Euro geht. "Das hat aber nichts mehr mit Schafkopf spielen zu tun", sagt er. "Das ist nur noch Zocken." Normalerweise wird nur um Kleinstbeträge gespielt.

Im Landratsamt gehört Schafkopfen zum Team-Building

Im Kreise der Kommunalpolitiker scheint Schafkopfen sich ungebrochener Beliebtheit zu erfreuen: Karlsfelds Bürgermeister Stefan Kolbe und Vierkirchens Bürgermeister Harald Dierlenbach sollen laut Löwl gute Schafkopf-Spieler sein, Vierkirchens Altbürgermeister Heinz Eichinger sogar ein exzellenter. Auch am Landratsamt werde häufiger geschafkopft. "Fürs Team-Building", sagt Löwl. Vor ihm steht ein speckiger Lederbeutel voller Kleingeld, zwei silberfarbene Medaillons dienen als Glücksbringer: einer mit dem Konterfei Ludwig Thomas und einer mit dem von Franz Josef Strauß. Dass trotz des Beistands des CSU-Hausgotts am Ende nicht er, sondern der Dachauer Jakob Auer das Rennen macht, dürfte für Löwl nicht so schlimm sein. Den Preis, einen Geschenkkorb mit allerlei Leckereien, hat er selbst gestiftet, und es würde ja auch ein bisschen komisch aussehen, wenn er mit diesem Korb wieder zur KVD-Galerie herausspazieren würde - und einer Siegerurkunde.

Johannes Karl zeigt sich sehr zufrieden mit dem Verlauf des KVD-Schafkopfturniers. "Es war eine sehr schöne Atmosphäre", sagt er, das Feedback der Teilnehmer sei sehr positiv gewesen. Auch Norbert Göttler lobt die originelle Gestaltung des "Dachauer Schafkopfblatts". Mit den gewohnten Karten sei es immer einfacher zu spielen, "der Mensch ist halt auch ein Gewohnheitstier". Ein "Spezialblatt" setze sich bei Spielern letztlich nie durch, ist seine Erfahrung. Johannes Karl hindert das nicht daran, schon an eine Neuauflage zu denken, vielleicht wieder in einer ganz neu gestalteten Edition.

Das Dachauer Schafkopfblatt gibt es für acht Euro in der Touristinfo der Stadt Dachau und im Büro der KVD.

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