Süddeutsche Zeitung

Künstlerfreundschaft Dachau-Oświęcim:Lambrusco, Lego, Leberkäse

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Bei der Eröffnungsfeier zu 33 Jahren Künstlerfreundschaft Dachau-Oświęcim im Alten Metzgerhof überlassen die Künstler die Reden den Politikern, denn sie wissen: Herzlichkeit braucht keine Worte.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Erst mal heißt es Abstand halten, Mane und die anderen brauchen Platz. Gut vier Meter lang sind ihre Alphörner, und der Alte Metzgerhof, eingezwängt zwischen Café Gramsci, Kleiner Altstadtgalerie und einem künstlerischen Maibaum mit Motiven nach Dantes "Inferno" aus der "Göttlichen Komödie", ist nicht besonders groß, zumal auch noch Bierbänke, eine Bühne für die Band Dame Bube Krass und eine Imbissstation mit 120 Portionen "Lebenskäse" Platz finden müssen. Knapp 100 Gäste drängeln sich in dem Innenhof, manche schick, manche leger gekleidet, es ist nicht proppenvoll, aber doch mehr als gut besucht, und die Stimmung unter den bunten Lichtgirlanden ist sommerlich heiter. Es ist wie eine große Gartenparty. Nur ohne Rasen.

Johannes Karl hält seine Rede äußerst knapp, "damit wir möglichst lange einen lustigen Abend haben". Zu feiern gibt es 33 Jahre Künstlerfreundschaft Dachau-Oświęcim, die große Fete zum 30. Geburtstag musste ja ausfallen: Corona, Shutdown, dichte Grenzen, der Chef der Künstlervereinigung Dachau will gar nicht mehr über all diese unschönen Dinge reden, sich nur bedanken bei den Künstlern Florian Marschall und Heiko Klohn, die fast alles hier auf die Beine gestellt haben: dieses Fest und auch die opulente Jubiläumsausstellung, die nun sechs Wochen lang, bis 4. September, in vier Dachauer Galerien und Museen gezeigt wird. Da gibt es Applaus für die zwei und sogar Jubelrufe.

Die Freundschaft wird von immer neuen Künstlern - und Künstlerinnen - getragen

Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) lässt die Geschichte dieser besonderen Beziehung noch einmal Revue passieren. Seit 1989 gibt es zwischen beiden Orten einen "intensiven Künstleraustausch", mehr als 30 Einzelausstellungen haben in dieser Zeit stattgefunden, dank des "unermüdlichen Engagements" der Künstler. Die Freundschaft habe sich weiterentwickelt, über die Jahre seien immer wieder neue Künstler dazugekommen und - das hebt er freudig hervor - auch viele Künstlerinnen. Der Austausch zwischen den Schulen, zwischen dem Max-Mannheimer-Zentrum und der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Oświęcim, die Städte- und die Landkreispartnerschaft - ohne die Kontakte, die die Künstler beider Städte geknüpft und gut gepflegt haben, wäre dies alles undenkbar gewesen.

Zu feiern gibt es auch acht Jahre Partnerschaft des Landkreises Dachau mit dem Landkreis Oświęcim. "Eine ganz wunderbare Freundschaft" sei da entstanden, schwärmt Landrat Stefan Löwl (CSU), eine Freundschaft, die gerade angesichts der "schwierigen Weltlage" heute besonders wichtig sei. Und was Polen und Deutsche betrifft: Egal wie die politischen Befindlichkeiten in den vergangenen Jahren auch ausgesehen haben mögen - "menschlich war es immer gut". Dazu muss man wissen, dass der Landrat von Oświęcim vor acht Jahren Zbigniew Starzec war. Er pflegte ein ausgesprochen herzliches Verhältnis zu seinen Dachauer Kollegen, während die Partei, der er angehörte, die national-konservative PiS, oft wenig Rücksicht nahm auf die Idee der europäischen Integration.

Der neue Landrat heißt Andrzej Skrzypiński, er kommt im dunklen Anzug zum Fest, am Revers trägt er eine kleine Anstecknadel mit der deutschen und der polnischen Flagge. Löwl und sein neuer Kollege sind sich an diesem Freitag zum ersten Mal persönlich begegnet, vor der Künstlerfeier waren sie gemeinsam essen. Skrzypiński kam als Kandidat der konservativen pro-europäischen Bürgerplattform Platforma Obywatelska ins Amt, seine Frau Anna ist die stellvertretende Leiterin der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. "Ich bin zum ersten Mal in Dachau", sagt er auf Polnisch. "Ich hoffe, dass es nicht das letzte Mal sein wird." Das ist der Unterschied zwischen Kunst und Politik: Die Künstler können sich ihre Freunde aussuchen, bei den Amtsträger sind es die Wähler, die entscheiden. 2023 sind in Polen wieder Kommunalwahlen.

Besonders gefeiert werden an diesem Abend die "Väter" dieser Künstlerfreundschaft, Heiko Klohn und Paweł Warchoł. Die beiden Zeichner sind seit 33 Jahren eng verbandelt, in gewisser Weise bilden sie seit 33 Jahren die tragende Achse zwischen den beiden Künstler-Communities. Und jetzt stehen sie da, wo gerade noch der Landrat von Oświęcim stand, und sollen auch noch etwas sagen. "Meine Deutsch ist nicht spezial", sagt Warchoł. Aber Bernadette Czech-Sailer ist ja auch noch da, im Landratsamt koordiniert sie die Partnerschaft mit Oświęcim, sie kann übersetzen: "Die größte Katastrophe der Menschheit", sagt Warchoł auf Polnisch, "ist die Zerstörung des Turms zu Babel." Danach setzte laut Bibel nämlich die große Sprachverwirrung unter den Menschen ein. Aber eigentlich, sagt er, könne man sowieso in keiner Sprache richtig ausdrücken, was diese Freundschaft wirklich bedeute.

Es sind nicht die großen Worte, sondern die kleinen Gesten, die an diesem Abend zum Ausdruck bringen, worum es geht. Als er Altlandrat Hansjörg Christmann in der Menge entdeckt, springt Paweł Warchoł von seiner Bank auf und fällt ihm um den Hals. Man kann über den CSU-Politiker sagen, was man will, aber die Künstler hatten immer einen starken Verbündeten in ihm. Wenn es ein Problem gab, ließ Christmann sich etwas einfallen. Das geschah meist ganz geräuschlos und diskret im Hintergrund.

Kleine Galerie, großer Andrang

Vor der Fete haben Dachaus Kunstfreunde knapp bemessen 60 Minuten Zeit, sich in der KVD-Galerie, der Neuen Galerie und der Galerie Lochner einen ersten Überblick über die umfangreiche Jubiläumsausstellung zu verschaffen, nur in der Kleinen Altstadtgalerie, die quasi erweitertes Party-Gelände ist, ist an diesem Abend Open End.

Galeriechef Frank Donath steht mit einer Plastikbox am Fuß der Treppe und drückt jedem Besucher einen Lego-Stein in die Hand. Aha, so, so, was macht man jetzt damit? Ist das für ein Kunstprojekt, vielleicht für eine kollektiv zusammengepuzzelte Skulptur der Freundschaft? Donath deutet mit dem Finger nach oben. "Die Statik", sagt er. "Mehr als 30 Leute dürfen sich da oben nicht gleichzeitig aufhalten." Oben ist man fast dankbar, dass die Galerie nicht solider gebaut wurde. In den drei kleinen Räumen wird es sehr schnell sehr eng. Und ganz dunkel erinnert man sich: Vor Corona sahen Vernissagen in Dachau immer so aus.

Landrat Stefan Löwl steht kurze Zeit später wie eine leibhaftige polnische Nationalflagge im Alten Metzgerhof, oben weißes Hemd, untenrum erdbeerrote Schürze. Gramsci-Wirt Christian Salvermooser nickt zufrieden. Er hat ihm den Kochschurz geschenkt. Ein Gag. Nicht alles, was wie ein bedeutungsvolles Zeichen ausschaut, ist auch eins. Nebenan wird noch ein Bier ausgeschenkt.

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