Süddeutsche Zeitung

Abitur im Landkreis Dachau:"Das Leben liegt uns zu Füßen"

Lesezeit: 4 Min.

Von großen Träumen, schweren Prüfungen und Unabhängigkeit: 342 Abiturientinnen und Abiturienten im Landkreis Dachau haben das Ende ihrer Schulzeit erreicht. Neun Schülerinnen und Schüler des Josef-Effner-Gymnasiums erzählen, wie sie das Abitur erlebt haben - und worauf sie sich nach der Schulzeit freuen.

Von Luisa Müller, Dachau

Es ist das Läuten der Schulglocke am Freitagnachmittag, das Julia und Nathalie die Unabhängigkeit ein bisschen greifbarer werden lässt. Eine Freiheit außerhalb einer Welt, die vom 45-Minuten-Takt der Schulstunden und vom Läuten der Schulglocke bestimmt wird. Die beiden 18-jährigen Abiturientinnen haben gerade ihre Französisch-Prüfung hinter sich gebracht - die letzte Prüfung des schriftlichen Abiturs, das sie in diesen Tagen mit 340 weiteren Abiturienten an drei Gymnasien im Landkreis Dachau geschrieben haben. 129 Schülerinnen und Schüler vom Josef-Effner-Gymnasium (JEG), 118 vom Ignaz-Taschner-Gymnasium (ITG) und 95 vom Gymnasium Markt Indersdorf (GMI).

Für viele Abiturienten und Abiturientinnen waren die schriftlichen Prüfungen bereits am Mittwoch mit der Mathe-Klausur vorbei. Neben Julia und Nathalie entschieden sich nur drei Mitschülerinnen und Mitschüler für Französisch als die letzte Klausur ihrer Schulkarriere.

Doch mit den drei schriftlichen Prüfungen ist es nicht getan, in zwei Wochen steht noch die mündliche Prüfung, das Kolloquium, an. In zwei Fächern werden die Abiturientinnen und Abiturienten dann noch einmal geprüft. Sie bekommen ein Thema zugewiesen, was sie eine halbe Stunde vorbereiten, um anschließend darüber zu referieren und Fragen zu beantworten. Für Julia sind das die Fächer Religion und Chemie, Nathalie hat sich für Physik und Religion entschieden.

Dass nur eine Zwischenetappe geschafft ist, spürt auch jeder, am schon am Mittwoch um 14 Uhr vor den Türen des JEG wartet: Auch lange nach dem Läuten der Schulglocke bleibt der Schulhof leer. Erst viel später kommen vereinzelt Grüppchen von Schülerinnen und Schülern aus dem Gebäude, die jedoch schnell den Heimweg antreten. "Erst mal nach Hause und essen", ist die Antwort vieler. Die Müdigkeit und die Erschöpfung stehen ihnen in das Gesicht geschrieben. So auch bei Lili, Anna und Aylin, alle 18. Die drei Schülerinnen kommen gerade aus der Turnhalle, dem entscheidenden Ort der letzten Tage. Sie sind, das sagen alle drei, "müde, aber glücklich, dass es vorbei ist". Mathe sei schwierig gewesen, Englisch und Deutsch seien besser gelaufen. "Mathe ist immer so ein bisschen eine Wundertüte", erzählen die drei lachend.

"Es fühlt sich so ein bisschen surreal an, dass wir Abitur geschrieben haben"

So ähnlich sehen es auch Filip, Luis, Florian und Vincent, die ebenfalls seit kurzem alle 18 sind. Die vier stehen im Schatten des Hauptgebäudes, lassen die vergangen fünf Stunden der Mathe-Klausur Revue passieren. "Es fühlt sich so ein bisschen surreal an, dass wir Abitur geschrieben haben", sagt Florian. Über den Schwierigkeitsgrad der Klausuren der vergangenen Tage sind sie geteilter Meinung. Dennoch, alle vier sind erleichtert, dass die schriftlichen Prüfungen vorbei sind. Sie sprechen von "tiefer Erleichterung". Wie ihre Mitschülerinnen wollen auch die drei Jungs erst einmal ein paar Tage entspannen, bis sie wieder in das Lernen für die mündliche Prüfung einsteigen.

Ihre Ergebnisse erhalten die bayerischen Abiturientinnen und Abiturienten dann Ende Mai. Bis dahin heißt es abwarten, zittern, bangen und hoffen. Nach 12 Jahren Schule ist das Abitur für viele der erste große Meilenstein. Was in der 5. Klasse nur schwer vorstellbar gewesen sei, sei nun Realität geworden, erzählen Julia und Nathalie am Freitagnachmittag auf einer Bank vor dem Schulgebäude. Beide wirken mitgenommen, aber doch gelassen. Monatelang haben sich die beiden auf das Abitur vorbereitet - parallel zum normalen Unterricht, denn den hatten sie am JEG bis zuletzt.

"Der Stress hat sich aufsummiert: Der normale Schulalltag und das zusätzliche Wissen, dass man sich parallel auf das Abitur vorbereiten muss", sagt Julia. Eine Doppelbelastung, wie sie viele Schülerinnen und Schüler jedes Jahr so kurz vor dem Abitur erfahren. Trotz des großen Meilensteins seien beide vor den Prüfungen nur wenig aufgeregt gewesen, sagen sie. Nur vor der Deutsch-Klausur ein klein wenig - weil es die erste Klausur war. "Wenn man drinsitzt, fühlt es sich gar nicht so weit weg von einer Klausur an. Die Zeit vergeht auch so schnell", sagt Nathalie. Dass sie die letzten Tage Abitur geschrieben haben, ist auch für Julia nur schwer realisierbar. "Ich glaube das kommt erst, wenn wirklich alles vorbei ist und wir auch die Bescheinigung haben, dass wir es geschafft haben." Gemeinsam mit ihren 127 Mitschülern haben Julia und Nathalie in der Turnhalle geschrieben. Ein Rahmen, der trotz allem irgendwie beeindruckend gewesen sei, wie Nathalie sagt: "Bedeutungsvoll ist es definitiv und es hat auch einen fast feierlichen Charakter durch die Größe der Turnhalle."

"Ich finde es ist gerade das Schöne in die Zukunft zu blicken und nicht zu wissen, was passiert"

Jeden Morgen früh aufstehen, aufmerksam zuhören, mitarbeiten, Hausaufgaben machen, Klausuren schreiben, mit Mitschülern den Schulalltag meistern: Ende Mai fällt das für die Abiturientinnen und Abiturienten in Bayern erst einmal weg. Die Freiheit und die Zukunft plötzlich ganz nah - und jetzt? "Den Sommer genießen. Dieses freie Leben, das man hat, ohne Verpflichtungen, sondern alles auf sich zukommen lassen", erzählt Nathalie lächelnd. "Von einem Tag auf den anderen Leben", ergänzt Julia. So richtig konkrete Pläne haben beide noch nicht. Für Julia geht es erst einmal in die Benelux-Länder, für Nathalie nach Spanien. Beide wollen studieren, doch was ist noch nicht so ganz klar, zu vielfältig die Interessen. Aus diesem Grund möchte Julia erst mal Praktika machen. Journalismus, Lebensmittelchemie oder Architektur, sind die Bereiche, die sie am meisten interessieren. Nathalie hingegen möchte eventuell Physik studieren. Neben Mathe war Physik ihr Lieblingsfach in der Schule. Die Klassenkameraden Filip, Luis, Florian und Vincent sind da ein wenig pragmatischer: Sie wollen nicht verreisen, nur ein wenig Urlaub machen vielleicht. Studieren wollen Luis und Vincent Jura und Management, Filip kann sich die Selbstständigkeit im Medienbereich vorstellen, Florian will eine Ausbildung zum Heizungsmechatroniker machen.

Nachdem sie 12 Jahre nach dem Stundenplan gelebt haben, sind all das aber erst einmal nur Pläne, Wünsche, Träume. "Ich finde es ist gerade das Schöne in die Zukunft zu blicken und nicht zu wissen, was passiert", sagt Nathalie und Florian formuliert es so: "Der Sommer kommt, wir sind alle 18 geworden: Das Leben liegt uns zu Füßen." Es ist ein Gefühl von Unbeschwertheit, das sie in diesen Tagen mit vielen Abiturientinnen und Abiturienten teilen dürften.

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