Süddeutsche Zeitung

Politischer Volksfestdienstag in Dachau:"Ja, ich kann Oberbürgermeister"

Lesezeit: 3 min

Mit einem Paukenschlag steigt Florian Hartmann auf der Bierzeltbühne in den Kommunalwahlkampf ein und teilt gegen seine Herausforderer aus. Die Genossen sind begeistert.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Es ist 19.15 Uhr an diesem politischen Volksfestdienstag, als Florian Hartmann die Bierzeltbühne betritt und in den Kommunalwahlkampf in Dachau einsteigt. Draußen prasselt der Regen auf das Dach. Im Bierzelt sind mehr als 1500 Menschen. Es ist so kühl, dass viele mit Jacken an den Garnituren hocken. Oben auf dem Podium befreit sich Hartmann aus dem Trachtenjanker, wirft diesen vor sich auf einen Stuhl. Die Strapazen von zehn Tagen Volksfest haben Spuren bei ihm hinterlassen. Er ist erkältet, das hört man. Doch er redet sich warm.

Mit einer Hand umgreift er das Rednerpult. Der andere Arm wird hochschießen, die Hand wird die Mass zum Prosit stemmen und die Faust sich ballen. Dachaus Oberbürgermeister holt zum Rundumschlag gegen seine Herausforderer aus.

Der OB holt zum Rundumschlag gegen seine Herausforderer aus

Er fragt: Solle an der Spitze dieser Stadt jemand stehen, der behaupte, er müsse nach Berlin fahren, wenn es bei Gesprächen mit der Deutschen Bahn hake? Der CSU-Kandidat Peter Strauch hat das einmal gesagt. Hartmann antwortet selbst: "So jemand ist entweder ein Träumer oder ein Prahlhans." Das zündet, im Publikum haut man auf die Schenkel, klatscht und pfeift. Dann poltert Hartmann gegen den ÜB-Kandidaten Peter Gampenrieder, den er wie Strauch nicht namentlich nennt. Ein Kandidat tauche derzeit überall auf, "wo ein paar Würstl auf dem Grill liegen", ruft Hartmann. So jemand gehöre aber nicht ins OB-Büro. Dahin gehöre "jemand, der in den vergangenen Jahren bewiesen hat: Ja, er kann Oberbürgermeister." Vier Worte, die vom Applaus aufgesogen werden. Das Publikum ist jetzt im Rausch. Einer sagt, so habe er den OB noch nie erlebt.

Hartmann will sein Oberbürgermeisteramt im März kommenden Jahres verteidigen. Bisher hat er sich aber rausgehalten aus dem Wahlkampf für die Kommunalwahl. Als die CSU im Dezember ihren Kandidaten präsentierte, gab sich Hartmann irritiert über diesen Frühstart. Vor der Europawahl sagte er noch, er sei im Moment noch nicht auf Kommunalwahlkampf getrimmt. "Wir haben noch zu viele wichtige Aufgaben, die wir als Stadt angehen müssen." Jetzt, an diesem Abend im Bierzelt, vollzieht er eine Kehrtwende: "Ich will einige Dinge klar ansprechen, bevor morgen wieder die Arbeit ansteht."

1500 Menschen kommen zum politischen Volksfestdienstag

Der politische Volksfestdienstag, der immer einen Tag nach offiziellem Ende des Volksfestes über die Bühne geht, ist eine Tradition in Dachau. Jedes Jahr organisiert ihn eine andere Partei. Heuer ist er fest in der Hand der Sozialdemokratie. Im vergangenen Jahr machten die Grünen mit ihrem Festredner und Parteivorsitzenden Robert Habeck das Zelt voll. Auf Seiten der SPD gab es im Vorfeld Befürchtungen, die Reihen bleiben in diesem Jahr so gut wie leer. Doch tatsächlich kommen mehr als 1500 Menschen, auch Vertreter anderer Parteien sind da. Der Hauptredner des Abends ist der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach, der sich im Team mit seiner Kollegin Nina Scheer um den Parteivorsitz der SPD bewirbt. Der Gesundheitspolitiker würde die große Koalition im Bund gerne beerdigen. "Wenn Nina Scheer und ich gewählt werden, werden wir den Parteimitgliedern vorschlagen, die Groko aufzugeben." Es gebe für dieses Bündnis keine Akzeptanz in der Bevölkerung mehr.

Lauterbach will eine "Gesellschaft mit Chancengleichheit für jeden", in welcher nicht die Herkunft darüber entscheide, wer aufsteige. Zudem fordert er, den Klimaschutz und die Begrenzung von Schadstoffen als Staatsziel ins Grundgesetz zu schreiben. Deshalb müsse man sich von der schwarzen Null verabschieden und gezielt in den Klimaschutz investieren. Lauterbach wirft seiner eigenen Partei vor, in der Umweltpolitik "zu sehr gewackelt" zu haben. "Die SPD muss sich da klar und sauber machen."

Es ist eine eher sachliche Rede, bei der das Publikum genau zuhört. Später twittert Lauterbach über den Abend: "Erstaunlich, wie konzentriert im Bierzelt beim Thema Politik zugehört wird."

Lauter und aufgewühlter ist das Publikum beim Auftritt von Hartmann, der Lauterbach an diesem Abend die Show stiehlt. Der 32-Jährige hält die erste Bierzeltrede seiner politischen Laufbahn. Für viele ist das Reden in einem Bierzelt die politische Königsdisziplin. Wer dort oben auf der Bühne steht, muss den Zuhörern unten an den Tischen politische Inhalte mit einer Deftigkeit präsentieren, dass es kracht. Dafür braucht es Gespür, man muss gegen den politischen Gegner ledern, poltern und schimpfen, ohne dabei übers Ziel hinaus zu schießen. Und zugleich muss man authentisch rüberkommen.

Die Musikgruppe Affentheater tritt an diesem Abend auf der Bühne auf. Der Name passe zum Zustand der aktuellen Bundespolitik, sagt Hartmann. Er schimpft über die Deutsche Bahn: "Wir haben einen Schienennahverkehr mit der Zuverlässigkeit der zentralafrikanischen Eisenbahn." Zeit werde am Dachauer Bahnhof zum dehnbaren Begriff. "Der Bundesverkehrsminister ist nicht dafür da, die Interessen der Automobilindustrie zu vertreten, sondern er ist dazu da, die Bahn wieder aufs Gleis zu bringen." Nach seiner Rede sitzt der OB neben seiner Frau an einem Tisch in der ersten Reihe und sagt, es habe ihm großen Spaß gemacht, da oben zu stehen. "Man muss ein bisserl draufhauen. Ich denke, das liegt uns Bayern im Blut."

Die Stimmung im Bierzelt ist an diesem Abend bemerkenswert gut. Es ist wenig davon zu spüren, dass die SPD nach katastrophalen Ergebnissen der vergangenen Wahlen droht, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Letztlich liegt das auch an der Rede von Hartmann. Der Bundestagsabgeordnete Michael Schrodi meint sogar, der OB sei der beste Beweis dafür, "dass die SPD überall Wahlen gewinnen kann, wenn sie das richtige Personal hat".

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Quelle:
SZ vom 22.08.2019
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