Süddeutsche Zeitung

Kommunales Haushaltsrecht:"Das lähmt eine Stadt gewaltig"

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Dachau hat aufgrund von Steuereinbußen durch die Corona-Krise Probleme, einen genehmigungsfähigen Haushalt für das Jahr 2021 aufzustellen. Ein Finanzexperte erklärt, was das im schlimmsten Fall bedeuten kann.

Interview von Jacqueline Lang, Dachau

Die Stadt Dachau ringt um einen genehmigungsfähigen Haushalt. Aber was genau bedeutet das eigentlich und was passiert, wenn es ihr nicht gelingt, einen Haushalt aufzustellen? Ein Gespräch mit Hans-Peter Mayer, Finanzreferent und Direktor beim Bayerischen Gemeindetag, über schwierige politische Verhandlungen, die Pflichtaufgaben einer Kommune und Corona-Sonderregelungen.

SZ: Die Stadt Dachau hat nach aktuellem Stand wohl keinen genehmigungsfähigen Haushalt. Was genau bedeutet das?

Hans-Peter Mayer: Es bedeutet, dass die Voraussetzungen nicht gegeben sind, die dauerhafte Leistungsfähigkeit zu belegen. Es bedeutet, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit im Verwaltungshaushalt eine Deckung nicht hergestellt werden kann. Es bedeutet, dass die Gemeinde in eine sogenannte haushaltslose Zeit kommt. Ihre Spielräume sind dadurch noch enger, sie kann nur auf der Basis der bisher genehmigten Haushalte weiter agieren, darf nur gesetzliche Verpflichtungen erfüllen, aber nichts Neues mehr angehen. Das lähmt eine Stadt ganz gewaltig.

Welche Aufgaben sind denn tatsächlich gesetzlich verpflichtend? Denn wenn wir etwa eine Straße als Beispiel nehmen, dann kann diese zwar noch befahrbar sein, aber trotzdem erneuerungsbedürftig.

Das Schlimme ist, die freiwilligen Aufgaben kommen in die Diskussion, aber genau die machen natürlich eine Gemeinde oder Stadt lebenswert. Das sind harte Diskussionen, die da zu führen sind. Bei dem Beispiel mit den Straßen, wie Sie es geschildert haben, wird man bei kleineren Schäden versuchen, nur Kleinigkeiten auszubessern, um das Geld dann wiederum für andere Themen zu haben. Das wird vielleicht Kinderbetreuung sein oder auch bezahlbarer Wohnraum.

Und im Umkehrschluss: Was sind die notwendigen Aufgaben?

Zur Daseinsversorgung gehören Wasser, Abwasser, klassischerweise das Rathaus und der Bürgerservice, aber auch etwa das Standesamtswesen- und Personalamtswesen. All das sind Dinge, die eine Kommune unbedingt aufrechterhalten muss. Alles was aber in den Bereich Kultur und Vereinsförderung fällt, das würde in so einem Fall - und das ist das Schwierige - auf einen Prüfstand kommen müssen.

Was müsste die Stadt Dachau tun, um doch noch einen genehmigungsfähigen Haushalt hinzubekommen?

Es wird eine sehr harte politische Diskussion darüber werden, welche Leistungen man zurückstellt, wo man sparen kann. In der Vergangenheit gab es auch schon Städte, die mussten Einrichtungen schließen. Da stand dann etwa die Bibliothek oder das Hallenbad zur Disposition. Das ist aber fatal, weil auch das letztlich natürlich notwendig ist. Die Politik ist gefordert, hier einen Konsens zu finden.

Was macht eine Stadt oder Gemeinde, wenn sie letztlich keinen genehmigungsfähigen Haushalt zustande bekommt?

Das Optimum wäre immer, dass das nur ein Zustand von Wochen und Monaten ist. Denn wenn eine Gemeinde zu Beginn des neuen Jahres keinen Haushalt hat, dann hat sie das ganze Jahr Zeit, noch einen aufzustellen. Das kann man letztlich zu jedem Zeitpunkt nachholen, auch wenn der rechtliche Rahmen vorgibt, der Rechtsaufsicht einen genehmigungsfähigen Haushalt bis Ende November vorzulegen. Es gab in ganz Bayern aber auch vor Corona viele Gemeinden, die das in diesem Zeitraum nicht geschafft haben und ihren Haushalt erst im ersten Quartal des neuen Kalenderjahrs vorgelegt haben. Noch ist also eigentlich nichts passiert. Nur wenn es eine Gemeinde innerhalb eines Jahres nicht schafft, dann wird das im Folgejahr noch massivere Einschnitte zur Folge haben, etwa Personaleinsparungen. Das wiederum beeinträchtigt aber natürlich ganz enorm die Zukunftsfähigkeit.

Könnte man nicht für einen genehmigungsfähigen Haushalt einfach mehr Schulden aufnehmen?

Das ist nicht ganz so leicht, denn eine Gemeinde darf nur einen Kredit aufnehmen, wenn er über den Haushalt genehmigt ist. Als Stadt muss man den Nachweis erbringen, dass man dauerhaft Zins und Tilgung bedienen kann und da gibt es Grenzen. Wenn diese Grenze überschritten ist, dann kommt die Rechtsaufsicht und verweigert den Kredit. Eine Gemeinde kann zwar nie insolvent gehen, aber wenn sie zu stark verschuldet ist, dann gibt es auch in Zukunft kaum noch Spielräume. Derzeit forschen wir sozusagen am offenen Herzen, denn man muss einfach schauen, wie wir durch diese Krise kommen.

Zu den Pflichtaufgaben der Kommunen gehört auch die Kreisumlage. Ist es fair, dass eine Kommune, die selbst in einer Krise steckt, Schulden aufnehmen und auf Dinge verzichten muss, um den Kreishaushalt zu decken?

So wie eine Stadt einen Kredit aufnehmen kann, kann theoretisch auch ein Kreis einen Kredit aufnehmen. Aufgrund der Corona-Pandemie gibt es im Jahr 2021 tatsächlich erstmals Erleichterungen im Haushaltsrecht und es wäre sogar denkbar, dass, wenn es im Verwaltungshaushalt eines Kreises ein Problem gibt, ausnahmsweise vorübergehend ein Kredit für laufende Kosten aufgenommen werden kann.

Das ist also eine Corona-Sonderregel?

Genau, dass ist eine Sonderregelung, die auch nur befristet gültig ist. In der jetzigen Phase werden alle gezwungen sein, auch über Verschuldung nachzudenken und zwar nicht nur auf Ebene der Gemeinden und Städte, sondern eben auch auf Ebene der Landkreise und Bezirke. Zudem müssen beide Seiten aufeinander Rücksicht nehmen. Hier einen Konsens zu finden und diesen den Bürgern zu vermitteln, wird die Herausforderung.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2020
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