Süddeutsche Zeitung

Kreative Ideen:Raum für Möglichkeiten

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In der Pfarrstraße in Dachau eröffnet bald der zweite Coworking-Space Dachaus. Die Betreiberin Maria Luis will damit Menschen Platz bieten, um deren Ideen zu verwirklichen.

Von Jacqueline Lang und Andreas Förster, Dachau

Noch vor wenigen Tagen sah es eher trostlos aus im Inneren der Pfarrstraße 5: Der große Raum war nahezu leer, nur ein paar Regale und Stühle standen herum. Jetzt sind die Schaufenster mit Folie verhangen. Wer aber nicht durch, sondern von außen auf die Scheiben blickt, merkt: In den Räumlichkeiten, die seit Ende November leer standen, tut sich langsam wieder etwas. "The day you plant the seed is not the day you eat the fruit." Der Tag, an dem du den Samen pflanzt, ist nicht der Tag, an dem du die Frucht isst, steht da zum Beispiel auf einem der Fenster in schön geschwungener Schrift, "Hello Dachau", auf einem anderen.

"Hello Dachau", das ist auch der Name von Maria Luis neuester Idee. Man darf das durchaus wörtlich verstehen. Die gebürtige Berlinerin, die seit gut zwei Jahren mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Dachau lebt, hat im August 2019 eine gleichnamige Facebookseite sowie ein Instagramprofil erstellt. Zu Beginn ging es ihr gar nicht so sehr um eine neue Geschäftsidee, sondern vielmehr darum, Gleichgesinnte kennenzulernen. Angefangen hat alles mit der Einladung zu einem ersten Treffen bei einem Kaffee im Café Samstagskinder, das war im Oktober 2019. Als dann aber die Räumlichkeiten mitten in der Altstadt frei geworden seien, da habe sie sich entschlossen "einfach zu springen". Mit Erfolg: Anfang März will Luis mit Hello Dachau den zweiten Coworking- und Meetingspace in Dachau eröffnen.

Menschen sollen einen Raum dafür finden, ihre Ideen auszuarbeiten

Die gelernte Eventmanagerin arbeitet aktuell noch in Teilzeit für eine Firma in Bremen, Homeoffice macht es möglich. Doch neben der Arbeit hat sie vor einiger Zeit eine Ausbildung zum systemischen Coach gemacht und solche Coachings möchte sie nun auch in Dachau anbieten - aber gleichzeitig immer die Möglichkeit haben, sich mit anderen Menschen auszutauschen. Deshalb die Idee mit dem Coworking. "Ich schaffe mir das, was ich selbst brauche", sagt Luis. "Wie eine Raupenaufzuchtstation" stellt sie sich das vor.

Menschen wie sie sollen einen Raum dafür finden, ihre Ideen auszuarbeiten, weiterzuentwickeln und wenn sie so weit sind, sollen ihnen "Flügel wachsen". Damit der Raum sich für möglichst viele verschiedene Konzepte eignet, plant Luis ein modulares Raumkonzept, das Mehrfachnutzungen möglich macht. Doch warum überhaupt einen eigenen Coworking-Space eröffnen, wo es doch den "Coworking Sp8ce" in Dachau bereits gibt? Das habe sie sich natürlich auch angeschaut, sagt Luis, aber das sei einfach nicht das Richtige gewesen, weil es sich eher an ITler als Menschen aus der Kreativbranche richte.

Auch Katja Caspari hat schon länger die Idee eines sich selbst tragenden Gründerzentrums in Dachau. Bislang jedoch blieb das Vorhaben ohne Erfolg. Obwohl die Wirtschaftsförderung "im Juni 2018 den Auftrag bekam, ein entsprechendes Konzept auszuarbeiten", so Caspari, die für die SPD bei der Stadtratswahl kandidiert. Die Sozialdemokraten hatten zuvor auf ihre Initiative hin den Antrag in den Stadtrat eingebracht. "Bisher liegt noch kein Ergebnis vor", bestätigt Stadtkämmerer Thomas Ernst. Es ist nicht die erste Enttäuschung, die 42-Jährige als Selbständige in Dachau erlebt. Schon als Firmengründerin fühlte sie sich von der Dachauer Wirtschaftsförderung im Stich gelassen, die ihr bei der Standortsuche Immoscout und beim Thema Vernetzung das Onlinenetzwerk Xing empfahl. Nachdem sie ihr Büro zunächst sprichwörtlich in der eigenen Garage aufgebaut hatte, rief sie 2014 einen Gründerstammtisch ins Leben. "Ich wollte sehen, was andere Selbständige aus der Region machen, wie sie zu günstigen Räumen kommen und wie sie die für sie wichtigen Kontakte knüpfen", erzählt Caspari. Durch den Austausch sei die Idee mit dem Gründerzentrum entstanden. "Durch den Stammtisch habe ich viele Gründer kennengelernt und kenne das Potenzial, das in Dachau schlummert. Und es können noch mehr werden", ist sich die Caspari sicher. Großes Potenzial sieht auch Luis. In ein paar Gründerinnen hat sie sogar schon Weggefährtinnen gefunden: Innenarchitektin Alice Homann, Illustratorin Sophie Reusche und Grafikdesignerin Nahne Tillmann etwa wollen sich zeitweise einen der sechs Arbeitsplätze mieten und Workshops anbieten.

Grundsätzlich, so Luis, seien ganz unterschiedliche Modelle möglich: Vom Tagespass bis zur längerfristigen Einmietung ist für sie alles denkbar. Allzu viel will Luis aber bewusst nicht planen, denn alle, die wollen, sollen den Raum und seine Nutzung mitgestalten können. Dadurch, dass sie selbst dort arbeite und die Räumlichkeiten nutze, sei sie allerdings nicht um jeden Preis auf die Mitfinanzierung durch andere angewiesen, betont Luis.

Caspari ist jedoch skeptisch. Der geplante Coworking-Space in der Altstadt ist aus ihrer Sicht zu klein gedacht. "Es wird für Maria Luis eventuell in einer Nische funktionieren und hat absolut eine Daseinsberechtigung. Ich freu mich über jeden Mutigen." Allerdings befürchtet Caspari, dass Luis vermutlich finanziell über kurz oder lang nichts anderes übrig bleiben, als einige Schreibtische fest zu vermieten, um die Kosten zu decken und schon geht das Konzept nicht mehr so richtig auf, wie es mal gedacht war. "Das habe ich zigfach erlebt."

"In diesen zukunftsorientierten Bereichen sollten wir uns profilieren"

Caspari will deshalb größer denken. Auf lange Sicht schwebt ihr vor, Dachau ein eigenes Profil als Wirtschaftsstandort zu verpassen: "Die Stadt kann bei guter Steuerung ein Ort für digitale Fertigungsverfahren, für künstliche Intelligenz, Produktinnovation und Digitalisierung werden", erklärt sie und verweist auf die vorhandene Kompetenz: "Wir haben in Dachau sowohl im Bereich Softwareentwicklung als auch im Bereich additive Fertigung Potenzial." Sie fordert deshalb: "In diesen zukunftsorientierten Bereichen sollten wir uns profilieren." Sie nennt als Vorbilder Freising, das sich schon vor Jahren den Schwerpunkt auf den Bereich Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft legte, oder Augsburg, das sich immer mehr zum Mittelstandskompetenzzentrum für Industrie 4.0 entwickelt.

Caspari ist sicher: Ein Gründerzentrum könne dafür die Weichen stellen, damit die Jungunternehmer aus der Region nicht extra nach München fahren müssten, um sich kompetent beraten zu lassen. Dafür braucht es Platz für Einzelschreibtische, Doppelbüros und Großraumbüros, die für einen bestimmten Zeitraum angemietet werden können, idealerweise auch eine Mietwerkstatt für handwerkliche Entwicklungen, so Caspari. Dazu schnelles Internet, Gemeinschafts- und Kreativflächen.

Im Gründerzentrum wäre eine Gründungsberatung mit zertifizierten Beratern aus verschiedenen Branchen integriert, fährt sie fort. Die Veranstaltungsräume könne man weitervermieten und somit Einnahmen generieren. Es gebe diverse Fördermöglichkeiten, zum einen gibt es Bundeszuschüsse für die Beratungen, weiß Caspari, zum anderen fördere der Bund sogar das Gründerzentrums an sich, weil dadurch Arbeit und Wohnen miteinander verbunden und CO₂-Belastungen verringert werden. Sie hat sich bereits bayernweit viele gute Beispiele angesehen und schwärmt von der Gründervilla in Kempten, vom Innovationszentrum Murnau, vom "Stockwerk" in Gröbenzell und selbst vom MINT-Campus in Dachau, wo sich Berufserfahrung, Kompetenz und der Lernhunger junger Menschen kreativ verbinden. Sie selbst hofft, dass auf dem Areal des noch zu bebauenden MD-Geländes eine Möglichkeit geschaffen wird, ihren Traum vom Gründerzentrum zu verwirklichen.

Wie der Traum von Luis langsam Gestalt annimmt, kann man indes auf Instagram live in den Stories mitverfolgen: Da sieht man, wie Sitzbänke geschliffen, Fließen abgeschlagen und neu verlegt, Wände weiß gestrichen werden. Wenn alles nach Plan läuft wird also zumindest eine der beiden Ideen ab Anfang März Wirklichkeit. Platz bietet Dachau aber noch für mehr.

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Quelle:
SZ vom 04.02.2020
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