Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Wie Schulen die Rückkehr der Abschlussklassen organisieren

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Münchens Schulen versuchen, das Infektionsrisiko gering zu halten - mit Sicherheitsabstand, Seife und neuen Stundenplänen.

Von Ramona Dinauer, München

Vor den Türen riecht es nach blühendem Raps, im leeren Schulgebäude dominiert der Geruch von Putzmittel. Seit der vergangenen Woche laufen im Max-Planck-Gymnasium in Pasing die Vorbereitungen für die Rückkehr der ersten Schüler - nach sechs Wochen coronabedingter Zwangspause. Und das bedeutet nicht nur akribische Reinigung, sondern vor allem ein großes Tische-Rücken. In den Klassenzimmern, in denen normalerweise 32 Schüler sitzen, dürfen an diesem Montag nur noch 15 Platz nehmen - hinter jedem Doppeltisch einer. "Gruppen- oder Partnerarbeiten darf es ab dem 27. April nicht mehr geben", sagt Schulleiter Ulrich Ebert. "Für die innovativeren Lehrer wird das eine ganz schöne Umstellung, denn im Wesentlichen sind wir auf Frontalunterricht beschränkt." Aber immerhin, Ebert hat wieder persönlichen Kontakt zu seinen Schülern, 120 von ihnen aus der zwölften Jahrgangsstufe werden sich in den kommenden Wochen aufs Abitur vorbereiten.

Überall im Freistaat kehrt an diesem Montag das Leben zumindest schrittweise zurück in die Klassenzimmer. In München sollen 3402 Schüler und Schülerinnen in 160 Abschlussklassen an städtischen Schulen wieder unterrichtet werden, ebenso ein Teil der 20 000 Berufsschüler. Damit das Infektionsrisiko gering bleibt, müssen alle Schulen die Vorgaben des Kultusministeriums einhalten: Mindestens eineinhalb Meter Abstand müssen für die Schüler auch in den Klassenzimmern möglich sein. Da das bei mehr als 30 Jugendlichen in einem Raum knapp wird, werden die Klassen geteilt, maximal 15 Schüler sollen gemeinsam unterrichtet werden. Das Verhalten der älteren Schüler könnte zeigen, welche Maßnahmen bei den Jüngeren im nächsten Schritt der Schulöffnung umsetzbar sind - und welche nicht.

An der Mittelschule an der Schleißheimer Straße wird auf das Abstandsgebot so deutlich wie möglich hingewiesen. Jeder Einzelplatz steht in einem Rechteck, das mit Klebestreifen am Boden markiert ist. Lernen werden so vorerst die vier neunten Klassen sowie die zehnte Klasse im Mittlere-Reife-Zug. Außerdem sieht der Hygieneplan vor, dass die fünf Abschlussklassen unterschiedliche Eingänge und Toiletten nutzen, erklärt Schulleiter Klaus Petri.

Helfen soll zudem eines der 390 "Starterpakete", welche die Münchner Feuerwehr verteilt. 80 000 Gesichtsmasken für Schüler und Lehrer, die das Kultusministerium organisiert hat, haben die Einsatzkräfte am Wochenende verpackt und ausgeliefert. Anders als in öffentlichen Verkehrsmitteln gilt in den Schulen zwar keine Maskenpflicht, am Max-Planck-Gymnasium beispielsweise sollen in den Klassenzimmern aber Masken getragen werden, sagt Ebert. Der Schulleiter hat vergangene Woche sogar 2200 Gesichtsmasken auf eigene Faust bestellt.

Vorgeschrieben sind laut Hygieneplan des Kultusministeriums dagegen Seife und Papierhandtücher in möglichst vielen Klassenzimmer. Da zu Seife und Handtüchern auch fließendes Wasser gehört, muss man sich am Max-Planck-Gymnasium aus den digital am besten ausgestatteten Räumen zurückziehen. Denn wo statt einer Tafel ein Whiteboard hängt, brauchte es bislang auch keine Waschbecken.

Ob die Rückkehr an die Schulen trotz des Infektionsrisikos richtig ist, dazu gibt es bei Lehrern und Schülern unterschiedliche Ansichten. Als vor gut sechs Wochen die Entscheidung gefallen sei, dass es keinen Unterricht mehr gebe, seien viele ihrer Schüler und Schülerinnen schockiert gewesen, sagt Regina Lotterschmid, Schulleiterin der städtischen Artur-Kutscher-Realschule. Nun berichteten die Lehrkräfte, "dass die jungen Leute der Abschlussklassen sehr motiviert sind".

Der Rückkehr an die Schule blickt auch Alicia Brandtner von der StadtschülerInnenvertretung München positiv entgegen. "Es ist jedoch für uns alle eine Herausforderung, sich nach so langer Zeit nicht mit einer Umarmung begrüßen zu dürfen", sagt die 17-Jährige. Grundsätzlich stehe die Schülervertretung hinter der Entscheidung der Staatsregierung, die Schulen für die Abschlussklassen wieder zu öffnen. "Wenn wir das nicht ausprobieren, werden wir auch nicht wissen, ob es funktionieren kann. Allerdings glauben wir, dass die Umsetzung zu einem Problem werden könnte. Werden sich die Schüler an die Hygienemaßnahmen halten? Muss bei einer Verweigerung mit Sanktionen gerechnet werden?" Manche Schüler und Schülerinnen haben gar kein Verständnis für die Wiederaufnahme des Schulbetriebs, aus Angst, sich oder ihre Angehörigen anzustecken, und weil sie faire Prüfungen unter diesen Umständen für unmöglich halten. Weil die StadtschülerInnenvertreung anderer Meinung sei, erreichten sie auch Hasskommentare, sagt Alicia Brandtner.

An der Schule von Ulrich Ebert will bislang keiner der Zwölftklässler den Unterricht boykottieren. Auch die Gymnasiasten, deren Eltern zu einer Risikogruppe gehören, sollen am Montag zurück ans Max-Planck-Gymnasium kommen. So sehen es die Vorgaben des Kultusministeriums vor. Haben hingegen Schüler selbst ein entsprechendes fachärztliches Attest, müssen sie nicht zum Präsenzunterricht erscheinen, erklärte Kultusminister Michael Piazolo. Für diese Schüler stelle man sicher, dass es Lernangebote für zu Hause geben werde.

Von den 35 Lehrkräften, die die zwölfte Klasse am Max-Planck-Gymnasium betreuen, gehören drei Lehrer zu einer Risikogruppe. Doch auch diese wollen laut Ebert wieder unterrichten. So muss die Q12 des Gymnasiums auf keinen Lehrer verzichten. Um den Unterricht unter den neuen Vorgaben überhaupt möglich zu machen, mussten die Schulen ganz neue Stundenpläne erstellen. Nachdem die Klassen nun geteilt sind, muss jeder Lehrer seine Stunde zweimal halten.

Das Engagement lobt auch Stadtschulrätin Beatrix Zurek: "Ich danke den städtischen Lehrkräften, dass sie momentan so viele verschiedene Aufgaben mit Bravour meistern - Homeschooling, Notbetreuung und nun auch wieder Präsenzunterricht."

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SZ vom 27.04.2020
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