Süddeutsche Zeitung

Chöre in Quarantäne:Die Klangqualität leidet - das Gemeinschaftsgefühl wird erhalten

Lesezeit: 3 min

Der Bud Spenzer Heart Chor und der Go Sing Choir müssen isoliert proben. Dank Internet kommen Fans in den Genuss virtueller Lektionen und schöner Videos.

Von Michael Zirnstein

"Wie viele Fäuste braucht es für ein Halleluja: 1, 2, 4, Bier?" Die Frage im begleitenden Chat ist für Fans der Haudraufs Bud Spencer und Terence Hill leicht: vier natürlich. Wer sich in die Internetprobe des Bud Spenzer Heart Chors aus München klickt, kennt wohl die Filme, aus denen diese 60 trinkfesten Sängerinnen und Sänger ihr Repertoire ziehen. Andere Frage: Wie viele Menschen muss man sehen und hören, um mit diesem Chor Spaß zu haben? Erst mal nur einen: Dominik Schauer, den Chorleiter - auch das zeigte diese öffentliche Probe Ende März, mit der man wegen eines "coronisch bedingten" Konzertausfalls die Fans tröstete. So einen Blick hinter die Kulissen gewähren Buds Buddys auch am 4. Mai, 19 Uhr, wieder, da ihr traditioneller Antritt beim Maibaumaufstellen in Untergiesing flachfällt.

Die offene Probe stattdessen wird sicher ein Spaß, wenn Schauer loslegt wie beim viel beachteten Web-Debüt. Auf dem Facebook-Kanal des Chors war zu sehen (und ist im Internetspeicher noch immer), wie er seine "wilde Horde" (das Vokal-Stück von Ennio Morricone aus Mein Name ist Nobody haben sie auch drauf) antreibt: prustet zum Aufwärmen die Lippen wie ein Rennpferd am Start, hopst die Gelenke locker wie Jim Knopf aus der "Augsburger Puppenkiste", und dann fetzt der bärtige Spaßvogel in der Chor-Uniform, dem Holzfällerhemd, mit Ukulele, Gitarre, Klavier und Gesang durch alle Stimmen. Da sieht auch der Laie einmal, was so ein Chorleiter alles draufhaben muss: eine One-Man-Show.

Freilich ist es schade, dass man nicht mitbekommt, was der Rest der Truppe zu Hause treibt; und auch Schauer hat darauf mit der Konferenz-Plattform Zoom nur bedingt Zugriff. Nur einzelne Stimmen könne er herauspicken, erklärt er, sonst leidet die Klangqualität. Aber das Wichtigste sei es, "das Gemeinschaftsgefühl aufrecht zu erhalten", das jetzt freilich leidet, weil sich die Gruppe wegen der Ansteckungsgefahr in "Chorantäne" befindet, jeder für sich. Die montäglichen Proben zieht Schauer also via Social Media durch, mit allem, was dazugehört: Bevor es losgeht, dürfen sich alle auf Zoom ausquatschen, auch in der Pause wird geschwätzt, und die Probe geht (wie sonst im Giesinger Riffraff) nahtlos ins gemeinsame Biertrinken über - die Basis aller gerade so beliebten Kneipenchöre.

Aufs reale Anstoßen müssen auch die Anhänger des Go Sing Choirs verzichten, der beim gegenwärtigen Veranstaltungsverbot als Stay Sing Choir ebenfalls im Internet operiert. Noch Anfang März trafen sich 400 Fans des offenen Chors im Club Strom, um "Bitch" von Meredith Brooks nur für diesen einen Abend und ein Video einzustudieren: großes Gemeinschaftserlebnis, Corona war da in Gedanken noch fern. Wenige Tage später war die Welt eine andere, eine abgekapselte.

Chorleiter Jens Junker und Arrangeur Ian Chapman ließen sich etwas einfallen. Sie luden ihre Fans alle zu einem Abend auf Zoom ein, um passenderweise "So Lonely" von The Police dreistimmig einzustudieren. "Es ist ein Verlust", räumt Junker ein, "man spürt sich nicht. Dafür hat es etwas sehr Intimes, mit so vielen Fremden eine riesige virtuelle Wohnung zu teilen." Der größte Nachteil, auch in der Zoom-App, ist die Latenz, das heißt, die gesendeten Töne würden nie gleichzeitig bei allen ankommen. So sind nur Junker und Chapman im Ping-Pong zu hören, die Mikros der 300 Sänger schalten sie nur gezielt an, etwa wenn sie als Experiment einmal einen satten Akkord klingen lassen wollen.

Hoffnung für Chöre, Bands und Theatergruppen bietet das Crowdfunding-Projekt Digital-Stage. Berliner Forscher entwickeln eine Plattform, die "Einbahnstraßen-Proben" beenden und alle verzögerungsfrei zu Wort kommen lassen will. Eine Testversion für bisher zehn Teilnehmer gibt es auf digital-stage.org. Das wird noch nicht ausreichen, wenn sich die 300 Fans des Stay Sing Choirs am 10. Mai das nächste Mal virtuell treffen, um einen noch geheimen Song zum Muttertag zu erarbeiteten. Den kann man der Mama dann auch schenken, denn wieder werden alle sich am Ende der Probe zum vorgegeben Takt aufnehmen und das Video an Junker mailen. Der hat schon zusammen mit Freunden ein großartiges Werk aus "So Lonely" gebastelt, alle zusammen im aktuellen Splitscreen-Look. Das Tolle: Jeder bleibt hier ein Unikat, immer wieder treten einzelnen Stimmen und Bilder im ergreifenden Gesamtwerk in den Vordergrund.

So prima sieht das auch beim Bud Spenzer Heart Chor aus, aus besonderem Anlass: Zum 81. Geburtstag haben die 60 ihrem verehrten Freund Terence Hill ein Ständchen nach Italien geschickt, der es prompt auf Facebook veröffentlicht hat. Es ist ein Song aus seinem Film Der Supercop und heißt "Super Snooper", was Fans natürlich wissen.

Das Video für Terence Hill ist hier auf Facebook zu sehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4889789
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.04.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.