Süddeutsche Zeitung

Kabarett:"Das politische Kabarett muss sich gerade neu sortieren"

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Seit zehn Jahren hat das "Vereinsheim Schwabing" seine Bühne im Bayerischen Fernsehen. Constanze Lindner hat die Sendung schon 88 Mal moderiert und erklärt den speziellen Kosmos dieser Kneipe und dieses Formats.

Interview von Thomas Becker

Seit zehn Jahren läuft im BR das Format "Vereinsheim Schwabing", eine Fernsehbühne, die die Vielfalt deutschsprachigen Kabaretts aufzeigt und sich der Nachwuchsförderung verpflichtet. Von 23. Juni an gibt es zwölf neue Folgen, immer donnerstags ab 22 Uhr. Ein Gespräch mit Constanze Lindner, die die Sendung in den vergangenen sieben Jahren schon 88 Mal moderiert hat.

SZ: Frau Lindner, die schwierigen Fragen zuerst: Was genau für ein Kosmos ist dieses "Vereinsheim" eigentlich?

Constanze Lindner: Es ist ein ganz spezieller Ort. Ein Kleinod, ein Hort der Gemütlichkeit, der Schrägheit mit Ambition und Lebenslust verbindet. Eine sehr spezielle Mischung, die wir da über all die Jahre kreiert haben. Das Tolle ist, dass wir auch ein ganz spezielles Publikum haben, das unglaublich mitgeht mit allem, was wir da präsentieren: von hochgradig politisch bis extrem schräg, von Slapstick bis Poetry, von Stand-up bis Musikkabarett, komplett querbeet. Es ist diese Mischung, die es ausmacht und den Charakter des Vereinsheims prägt.

Sie sprechen schon über die Sendung. Ich meinte den realen Ort, diese Mischung aus Tischfußball-Kneipe und Kleinkunstbühne.

Da treffen sich die unterschiedlichsten Leute, von der Schwabinger Schickimicki-Tussi bis zum Intellektuellen, der gerade noch die SZ von vorne bis hinten durchgeackert hat. Die sitzen beide am Tresen und haben sich dort auch was zu sagen. Es ist eine Begegnungsstätte verschiedenster Persönlichkeiten, sowohl auf der Bühne als auch am Tresen. Gleichzeitig ist es eine Fußball-Kneipe, was mit hohem Alkoholkonsum einhergeht. Es gibt aber auch herrlich melancholische Abende, bei denen man draußen bei einem Glas Weißwein sitzt und weint. Da ist alles dabei.

Können Sie sich an Ihren ersten Abend dort erinnern?

Mein erster Auftritt am Blickpunkt-Spot-Montag war komplett skurril und schräg. Mit Till Hofmann, Hannes Ringelstetter, Sven Kemmler und Moses Wolff haben wir auf der Bühne eine Art Bürgerversammlung gemacht, arg improvisiert, keiner wusste, was sich daraus entwickelt. Das war 2006, 2012 ging es mit den Fernsehaufzeichnungen los. Ich hatte da noch gar kein Solo-Programm, aber alle meinten, ich müsse irgendwas auf der Bühne improvisieren: "Du gehst jetzt da hin. Mach einfach!" Ab ins kalte Wasser! Das war auch für mich der Einstieg in alles.

Wie war der erste TV-Auftritt?

Das war die zweite oder dritte Sendung, bei Hannes Ringelstetter, und ich war so was von nervös! Weil ich noch nichts hatte, was ich dem Publikum präsentieren konnte. Ich hab' dann eine Nummer gespielt, die zum Glück gut ankam. Dann war das Eis gebrochen, und ich dachte: "Ach, so schlimm ist es ja gar nicht." Von da an war ich Stammgast.

Was haben Sie damals gespielt?

Die Cordula Brödke. Wir mussten da ja alle ran, es gab noch nicht dieses Potpourri an Gästen, das hat sich erst im Laufe der Jahre aufgebaut. Ursprünglich war dieser Montagabend ja auch für alte Hasen gedacht, die vor Premieren unplugged frisch geschriebene Nummern ausprobieren wollten. Otti Fischer war oft da, Michi Mittermeier kommt immer noch regelmäßig. Es hatte noch nicht diesen Mixed-Show-Charakter wie die Sendung jetzt.

Die TV-Präsenz macht die Sendung für Nachwuchskünstler natürlich noch attraktiver.

Da waren schon einige dabei, bei denen man gesehen hat: Das wird groß! Wenn man die über die Jahre so wachsen sieht: krass. Lisa Eckhart war drei Mal da, erstmals vor zehn Jahren. Was mir aber an dieser Sendung so wichtig ist: dass wir nicht immer Leute nehmen müssen, die jeder kennt, sondern dass wir wirklich den Nachwuchs präsentieren dürfen und auch mal absolute Newcomer platzieren können. Und dass das so angenommen wird.

Auch von den Kleinkünstlern.

Torsten Sträter kam mal nach seinem Auftritt im Circus Krone zu uns, weil er unbedingt in die Sendung wollte - weil er die so cool findet. Oder so feine Menschen wie Massimo Rocchi. Auch Werner Schmidbauer war restlos begeistert von der Stimmung der Kollegen untereinander, von diesem total familiären Ankommen, egal ob Superstar oder No-name.

Wie hat sich die Szene in den vergangenen Jahren entwickelt?

Es ist immer deutlicher zu sehen, dass der Nachwuchs kommt, dass er da ist, was eine Zeit lang nicht der Fall war. Mittlerweile gibt es auch viele coole Frauen, die bei uns ein und aus gehen. Ich mache mir da gar keine Sorgen. Ich thematisiere das gar nicht. Für mich sind beide Geschlechter gleich stark.

Wie sieht es auf der inhaltlichen Ebene aus?

Man merkt, dass es bei den großen gesellschaftspolitischen Themen sanfter wird. Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich manche nicht richtig trauen. Das politische Kabarett muss sich gerade neu sortieren. Dass man so richtig für etwas kämpft: Das ist gerade nicht so ausgeprägt. Kann aber auch daran liegen, dass die Regierung kaum Angriffsfläche bietet. Insgesamt wird es feingeistiger, viel zwischen den Zeilen. Generell wird man dieses Formats aber nicht überdrüssig. Es heißt nicht "Ach ja, zehn Jahre", sondern "Geil! Und es werden auch noch 20!"

Und welches Talent ist jetzt das nächste große Ding?

Natürlich alle, die das Sprungbrett Vereinsheim Schwabing nutzen!

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