Süddeutsche Zeitung

"Charlie":Der Szenetyp aus Giesing

Lesezeit: 3 min

Untergiesing hat sein erstes hippes Restaurant bekommen. Das Charlie verspricht neben vietnamesischem Essen ein klares Konzept, das an manchen Stellen jedoch etwas zu trendbewusst daherkommt.

Daniel Wüllner

Eröffnet ein neues Restaurant in München, kann man jedem Gast nur anraten, rechtzeitig zu reservieren, um dem Hype und dem nachfolgenden Ansturm entgegenzuwirken. So auch beim Besuch bei Untergiesings neuem Vietnamesen Charlie. Die Alternative würde nämlich bedeuten, an einem Dienstagabend hungrig in einem Stadviertel zu stehen, in dem es sonst nicht viele kulinarische Möglichkeiten gibt.

Bereits vor dem Eintreten stellt sich das Charlie in freundlichen Kinolettern vor: "Hallo, mein Name ist Charlie". Diese ansprechende Höflichkeit setzt sich im Inneren des Lokals fort: Wir werden zu unserem Platz geführt, doch anstatt einen Blick auf die Karte zu werfen, schweift das Auge erst mal über die Inneneinrichtung: Erbstücke vom rustikalen Vorgänger Zum Hackerkrug wurden übernommen und neu interpretiert.

Die Holzbalken wurden mit einem beruhigenden Hellgrau und mit einem dezenten Lilaschleier überstrichen und mit Lampenschirmen aus Metal behängt. Nur einige Baulampen und eine Ansammlungen von diversen Zuckerdosen wirken wie kleine Fremdkörper im gesamten Ambiente.

Die unangestrengente Farbkombination setzt sich in der übersichtlich gestalteten Karte fort. Das Layout lässt viel Platz für Fantasie und zusammen mit den erläuternden Beschreibungen regt es an, sich das Essen bereits beim Bestellen vorzustellen. Vegane Gerichte und biologischer Anbau sind extra als solche ausgewiesen. Die begrenzte Auswahl der Speisen wirkt nicht beschränkend, sondern zeigt eine klare Linie, die sich nur auf das Wesentliche konzentriert.

Beratung bleibt auf der Strecke

Sichtlich begeistert vom Konzept zeigt sich auch die Bedienung. Während die Auswahl des Weines (Entre-deux-Mers AC D. du Bourdieu Vignoble Boudon für 18 Euro) noch ausführlich kommentiert wird, bleibt neben dem Servieren, Erklären und Freundlichsein die Beratung trotzdem etwas auf der Strecke.

Sie erwähnt mit keinem Wort, dass sich unsere bestellten Glücksrollen (vietnamesich: goi cuon) - in Reispapier gewickelte und mit Erdnussdip servierte Fleisch- oder Gemüsetasche - fast identisch mit der Spezialität des Hauses, dem Feuertopf, sind. Hier hätte man in Sachen Abwechslungsreichtum auf die knusprig fritierten Frühlingsrollen (cha goi) verweisen können.

Trotz dieser Doppelung sind die Glücksrollen (für 2,30 Euro je Rolle) eine interessante Vorspeise, sowohl mit Garnelen als auch mit Rindfleisch. Nur die Zitronengrasmarinade auf dem Rind verflüchtigt sich schnell und ist kaum schmeckbar, weshalb man selbst mit Hoisin-Dip aushelfen muss.

Erlebnis Feuertopf

Das Erlebnis des Abends ist der Feuertopf (lau), das vietnamesiche Fondue. Diverse Platten werden gereicht, Apparaturen werden aufgebaut und befeuert, sodass am Ende kaum noch Platz für Getränke auf dem kleinen Tisch ist. Während man in anderen Restaurants die Rollen aus Reispapier nur fertig präsentiert bekommt, darf der Gast hier selbst Hand anlegen.

Ein riesiger Teller mit frischen Kräutern - von Thaibasilikum über Koriander und Zitronenmelisse bis hin frischen Gurken und Sprossen - verspricht eine reichhaltige Auswahl an gesundem Rollmaterial. Von dem Reispapier und den Kräuter kann man für 15 Euro pro Person so viel nachordern, wie man mag, auch wenn die Bedienung lange auf sich warten lässt. Die Fleisch- und Gemüseeinlagen kosten zwischen 5 und 7,50 Euro. Es genügen ein bis zwei verschiedene für zwei Personen.

Eine kleine Abwechselung zum Eintauchen, Herausfischen und Rollen bietet ein Blick auf die gesonderte Karte mit lauter kleinen Extras, die zum Ausprobieren einladen. Wir bestellen ein Getränk auf Eis-Granulat-Basis, das mit Wodka, Limettensaft, Grüntee und Ingwer versetzt ist. Eine gelungene und fruchtige Ergänzung zum Reispapier. Mit diesen Szenegetränk und den anderen Extras weicht das sonst so strikte Konzept von Chefin Sandra Forster, Betreiberin zahlreicher Bars in München, vom Vietnamesich-Veganen ab und versucht eher das Szenepublikum einzuwickeln.

Die Karte verrät, dass das Charlie andere Münchener Kleinunternehmer unterstützt: Neben den Biotees vom Wurzelsepp wird hier Kaffee und Espresso aus der kleiner Untergiesinger Rösterei Fausto serviert. Am Nachmittag verwandelt sich das Charlie mit seinem abgetrennten Nachbarraum und einigen kleinen Tischen an der Claude-Lorrain-Straße zu einem Café. Eine schöne Alternative, um in Untergiesing die letzten Sonnenstrahlen einzufangen und sich rösten zu lassen.

Da auf der regulären Karte kein Nachtisch zu finden ist, entscheiden wir uns für ein Schokobonbon mit Mangopüree, das wir auf der ergänzenden handschriftlichen Speisekarte gefunden haben. Der Kern der zwei kleinen Schokoküchlein zerfließt fast schon beim Anblick und vermischt sich mit dem Püree.

Auch wenn der Service im Charlie nicht besonders gut ist und man seiner strikten Linie nicht immer treu bleibt, so ist es doch ein Abwechselung im Untergiesinger Königreich der Pilsstuben.

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