Süddeutsche Zeitung

Bayerischer Kabarettpreis:"Die Leute würden sich über den Weltuntergang totlachen"

Lesezeit: 2 min

Till Reiners, Hauptgewinner des Bayerischen Kabarettpreises, bedient im Lustspielhaus zwei Mikrofone gleichzeitig. Kollege Sebastian Hotz, ebenfalls ausgezeichnet, beschwört den "Pissgeruch des Internets".

Von Thomas Becker

Das Lustspielhaus ist ein trubeliger Ort. An handelsüblichen Abenden müssen da fast 200 Leute ihr Plätzchen finden, von den Kellnern verpflegt werden und kurz vor Anpfiff nochmal die Blase leeren oder ein letztes Zigarettchen qualmen. Viel Bewegung im Saal, aber irgendwie kontrollierte Offensive.

Und dann gibt es die Abende, wenn das Fernsehen zu Gast ist. Schon beim Einbiegen in die Occamstraße ist ein aufgekratztes Geschnattere und Gegackere zu hören, als stünde der Abschlussball einer Teenagerhorde bevor oder zumindest die Welturaufführung eines völlig neuen, geheimnisumwobenen TV-Formats. Es geht aber um die Verleihung des Bayerischen Kabarettpreises, eine Übung, die der Bayerische Rundfunk zum 24. Mal vollführt (Ausstrahlung Donnerstag, 21 Uhr). Weil man nicht jedes Jahr die gleiche Show abziehen will, versucht man es stets mit neuen Ideen - aller Ehren wert, kann aber nicht immer klappen.

Die erste Neuerung ist inhaltlicher Art: die Einführung einer Kategorie für Satire, die nicht auf Kleinkunstbühnen, sondern im Netz stattfindet. Phonetisch ist der Creator-Preis gewöhnungsbedürftig, aber dass der erste Preisträger Sebastian Hotz aka El Hotzo heißen muss, darüber herrscht Einigkeit. 25 000 Tweets hat der 27-Jährige seit 2017 verfasst, 1,3 Millionen Follower auf Instagram, eine halbe Million bei X - und sei doch "kein zynisches Internet-Arschloch, kein radikales Twitter-Großmaul, sondern total lieb, empathisch und mausig", findet seine Laudatorin, die "Aspekte"-Moderatorin Salwa Houmsi, die mit ihm den Podcast "Hotz & Houmsi" betreibt.

"Er hat keinen Bock auf selbstdarstellerisches Machotum", sagt Houmsi, seine Tweets gäben "einem vielmehr das Gefühl, dass man nicht allein ist". Hotz, in Lackschuhen und cremefarbenem Anzug, meint, er gehöre eigentlich nicht auf die Bühne, sondern vor den Bildschirm, in diesen "grauenvollen Moloch Internet". Das sei zwar ein guter Ort, um berühmt zu werden, aber ein schlechter, um alt zu werden: "Vielleicht gelingt mir irgendwann die Flucht aus dem Internet. Aber der Pissgeruch des Internets wird immer an mir bleiben, und das ist sehr schön.

Und damit zu Kabarett/Comedy. Hauptpreis-Gewinner Till Reiners führt die überkommene Trennung ad absurdum, indem er abwechselnd in zwei Mikros spricht: Kabarett in das eine, Comedy in das andere. Auch sonst schafft es der gebürtige Duisburger in den zur Verfügung stehenden sechs Minuten spielend, auch den letzten Zweifler von seiner Preiswürdigkeit zu überzeugen. Laudator und Bühnen-Partner Moritz Neumeier sagt: "Man könnte ihn in die Tagesschau stellen, und die Leute würden sich über den Weltuntergang totlachen."

Piechottas Stimme "klingt wie schwerer Schnee"

Am lautesten würde wohl Teresa Reichl lachen: Die Gewinnerin der Kategorie Senkrechtstarter hat die mit Abstand schrillste Lache im Saal, ist Lobredner Christian Springer zufolge "unfähig, klassisches Frauen-Kabarett zu machen: Sie macht, was sie will - und nennt alle Arschlöcher beim Namen." Damit ist das Bühnenwesen der kracherten Niederbayerin trefflich beschrieben. Auch der Jazzer/Singer/Songwriter/Kabarettist Michael Krebs findet warme Worte für Musikpreis-Gewinnerin Anna Piechotta: "Ihre Stimme klingt wie schwerer Schnee, wenn sie vom Tod singt." Die Pianistin mit der furiosen Stimme trage ihre inneren Kämpfe auf der Bühne aus, sei eine Suchende, keine Wissende, zögere, wo andere schon behaupten.

Alles richtig, nur bleibt viel zu wenig Bühnenzeit für die Künstlerinnen und Künstler. Gerade Piechotta gelingt es, in wenigen Minuten eine Wow-Stimmung in den Saal zu zaubern. Wie gern hätte man da länger zugehört, dafür auf den ein oder anderen "Einspieler" verzichtet. Von denen gibt es am Ende noch reichlich zum 70. von Ottfried Fischer, der krankheitsbedingt daheim geblieben ist. Auch da hätte eine konsistente Rede mehr zur Erbauung beigetragen als ein Dutzend baugleicher Geburtstagswünsche. Dass Moderator Hannes Ringlstetter das im Kreuz gehabt hätte, beweist allein dieser Satz über den Jubilar: "Eigentlich hat der liebe Gott Bayern um ihn herumgebaut."

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