Süddeutsche Zeitung

Tiere:Die Zwergdeckelschnecke - Münchens künftiges Wappentier?

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Von Thomas Anlauf, München

Es sind Winzlinge, doch für München sind die kleinen Tiere etwas ganz Besonderes: Bayerische Zwergdeckelschnecken kommen nämlich weltweit nur in München vor. Die etwa zwei bis vier Millimeter großen Weichtiere leben ausschließlich an einigen Quellen in Bogenhausen und in einem kleinen Abschnitt eines Bachs, der in die Isar fließt.

Entdeckt wurden die Münchner Zwergdeckelschnecken bereits in den Achtzigerjahren vom Zoologen Hans D. Boeters, doch war zunächst nicht klar, dass sie tatsächlich lediglich in München vorkommen. Bis heute sind sie jedoch nirgends sonst nachgewiesen worden. Selbst in dem Bogenhauser Bachlauf kommt Sadleriana bavarica nur an bestimmten Abschnitten vor. Michael Schrödl, Experte für Weichtiere an der Zoologischen Staatssammlung, hat die kleinen Schnecken schon öfter untersucht. "Die brauchen gleichbleibende Temperaturen", sagt der Biologie-Professor. Das Münchner Quellwasser weise üblicherweise etwa zehn bis elf Grad auf, mit der Entfernung von der Quelle erwärmt sich das Wasser im Sommer oder kühlt im Winter ab, weshalb die Tiere an der Mündung in die Isar eher nicht vorkommen würden. Schrödl vermutet, dass einige Exemplare auch im Untergrund leben, weil sie dort gleichbleibende Temperaturen vorfinden.

Über die Lebensweise der Bayerischen Zwergdeckelschnecke ist bislang nicht allzu viel bekannt. Ihre Verwandten der Gattung Sadleriana, die vor allem in Quellen und klaren Bächen, manchmal aber auch in Höhlen auf dem Balkan und Italien leben, ernähren sich von Algen und Bakterienfilmen im Wasser. Von den Münchner Schnecken gibt es wohl mehrere Hundert Tiere an dem Bach. Wissenschaftler der Zoologischen Staatssammlung schauen regelmäßig an den Quellen vorbei, um zu schauen, ob sich die Population verändert. Doch bislang scheint es ihnen in dem klaren Wasser gutzugehen, obwohl dort auch Hunde im Bach planschen, wie Schrödl beobachtet hat.

Bemerkenswert ist, dass die Bayerischen Zwergdeckelschnecken womöglich ein Relikt aus einer lange zurückliegenden Zeit sind. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Art vor der Würmeiszeit durchaus weiter verbreitet war und während der jüngsten Kaltzeit vor 115 000 bis 10 000 Jahren weitgehend ausgestorben ist. Der heutige Lebensraum der Münchner Schnecke sei "das letzte Stück Isarhang, das nicht von der Würmeiszeit überprägt wurde", sagt Mollusken-Experte Schrödl.

Er geht davon aus, dass die Münchner Zwergdeckelschnecken auch weiter an ihren Quellen leben werden, wenn nichts Gravierendes geschieht - etwa, dass nach einer langen Dürreperiode der Bach austrocknet oder es einen Giftunfall in der Umgebung gibt. Im Referat für Gesundheit und Umwelt will man im Bereich der Quellen künftig sicherstellen, dass Menschen und Tiere nicht aus Versehen auf die Schnecken treten. Die Maßnahme soll "im Rahmen eines Artenhilfsprogramms für diese Art umgesetzt werden", sagt Markus Bräu, Experte für Ressourcenschutz im Umweltreferat.

Die Erbinformationen der Sadleriana bavarica haben die Münchner Wissenschaftler übrigens für alle Fälle gesichert. Schrödl könnte sich auch durchaus vorstellen, dass man einige der winzigen Schnecken in einem öffentlich zugänglichen Aquarium hält. "Das hätte schon Symbolcharakter", sagt er. Schließlich seien die Schnecken "wirklich etwas ganz Besonderes in München". Wer weiß, vielleicht wird die Bayerische Zwergdeckelschnecke ja eines Tages zum Münchner Wappentier.

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Quelle:
SZ vom 16.01.2019
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