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Ausstellung "Shoot! Shoot! Shoot!":Im Angesicht der Stars

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Die Fotoausstellung "Shoot! Shoot! Shoot!" im Münchner Stadtmuseum zeigt eine turbulente und legendäre Epoche in der Geschichte von Kunst, Musik, Mode und Film: Die Sechziger- und Siebzigerjahre.

Von Jürgen Moises

Bei einer Ausstellungseröffnung in Paris, die er im Mai 1965 zusammen mit Edie Sedgwick und einer kleinen "Factory"-Entourage besuchte, verkündete der Pop-Art-Künstler Andy Warhol, er wolle von nun an keine Kunst mehr produzieren. Mit der Begründung: "Die Kunst macht mir einfach keinen Spaß mehr; es sind die Menschen, die mich faszinieren." An dieses Diktum hat sich Warhol nicht wirklich gehalten, aber seine Faszination für Menschen, für ganz bestimmte Menschen, hat von da an wesentlich sein Werk bestimmt. Man könnte sogar sagen: Warhol machte diese Begeisterung von da an selbst zur Kunst. Eine Strategie, bei der das Medium Fotografie eine zentrale Rolle spielte.

Wie sehr jedenfalls unser Bild von Andy Warhol und seiner New Yorker "Silver Factory" von der Fotografie geprägt wurde, das zeigt aktuell die Ausstellung "Shoot! Shoot! Shoot!" im Münchner Stadtmuseum. Die Fotos von Warhol & Co., die von Dennis Hopper, Richard Avedon oder Ron Galella gemacht wurden und nicht zuletzt von Andy Warhol selbst, stehen dabei aber nur stellvertretend für eine ganz Epoche, die die etwa 200 Fotos umfassende Ausstellung ins Bild rückt. Die Rede ist von den "Swinging Sixties" und den glamourösen Siebzigern, wie sie sich in der medialen (Selbst-)Darstellung der damaligen, legendären Kunst-, Musik-, Film- und Mode-Szene in Nordamerika und Europa präsentieren. Gesammelt wurden die Fotografien von der Schweizer Privatsammlerin Nicola Erni, die sich im Kontrast zu ihrem Interesse an der Glamourwelt persönlich eher bedeckt hält. Außer dass sie seit 18 Jahren Kunst sammelt und die Ausstellungskonzeption komplett den Kuratoren Ulrich Pohlmann und Ira Stehmann überlassen hat, ist über sie nur wenig zu erfahren.

Eingeteilt ist die Ausstellung, die sowohl im Hinblick auf die Porträtierten als auch auf die Fotografen ein Who's who der Sechziger- und Siebzigerjahre bildet, in insgesamt acht Kapitel, die einen Bogen von der "Factory" und Gesichtern der Pop Art über "Party & Politics", Filmstars und Musik bis hin zur Performance-Kunst, der Mode und schließlich Garry Winogrands Fotoserie "Women are Beautiful" spannen. Diese steht insofern im Widerspruch zur restlichen Ausstellung, als sie Schnappschüsse von anonymen Frauen auf der Straße zeigt. Fast alle anderen Gesichter sind dagegen bekannt, seien es die von Brigitte Bardot, Marcello Mastroianni oder Charlotte Rampling, die der Rolling Stones oder der Beatles, von Twiggy, Francis Bacon oder Roy Lichtenstein. Auch einige der Fotos selbst hat man bereits gesehen, weil sie wie etwa Jeanloup Sieffs Bild des nackten Yves Saint Laurent ikonisch geworden sind.

Den Einstieg macht passenderweise eine Fotografie von Jerry Schatzberg, auf dem man die Warhol-Muse Edie Sedgwick gleich fünffach sieht. Ist das Spiel mit Identitäten, die Suche nach einem neuen Selbst, die Selbstbespiegelung und Selbstvergewisserung einer ganzen Generation doch ein entscheidendes Thema. Ein neues Freiheitsdenken setzt sich hier in Szene, eine "Gegenkultur", die den Schulterschluss zwischen Kunst und Jetset sucht, und die, hat man den Eindruck, alles andere als "normal" sein will.

In den glamourösen Inszenierungen der Siebziger spiegelt sich aber auch ein neuer Individualismus, den Tom Wolfe in einem Essay von 1976 im Begriff der "Me-Decade" zusammenfasste. Wie parasitär und gewinnbringend für beide Seiten dabei das Verhältnis zwischen Fotograf und Star war, das macht die Ausstellung deutlich. Und indirekt auch, wie sich die Glamourwelt verändert hat. Denn heute machen die Stars oft selber ihre Bilder, stellen Handy-Selfies ins Internet. Statt ikonischer Bilder zählt tägliche Instagram-Präsenz, zu der die Bilder der Ausstellung oft wie ein Kontrast wirken. Andererseits haben genau sie den Weg zum Selfie-Wahn, der heute unser Leben prägt, entscheidend mitgeebnet.

Shoot! Shoot! Shoot! Fotografien der Sechziger und Siebziger aus der Nicola-Erni-Collection, bis 15. Januar, Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1

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Quelle:
SZ vom 16.09.2016
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