Süddeutsche Zeitung

Amoklauf in München:So reagierten die Krankenhäuser auf den Münchner Amoklauf

Lesezeit: 3 min

Von Christina Berndt

Die ersten Schüsse waren erst eine gute halbe Stunde zuvor gefallen, da wurden schon Tausende Münchner Ärzte und Pfleger zur Arbeit gerufen. Um 18.26 Uhr am Freitagabend löste das Klinikum der Universität München Großalarm aus, alle 1600 Ärzte und 3200 Pflegekräfte wurden nach Großhadern und zum Campus Innenstadt bestellt. Zwei Minuten später rief ein Computer auch sämtliche Mitarbeiter des Klinikums rechts der Isar zusammen: "Dies ist der Katastrophenalarm des Klinikums rechts der Isar", meldete sich eine Stimme auf den Handys, "bitte kommen Sie in die Klinik." Die Bereitschaft, dem Folge zu leisten, hat selbst die Einsatzleiter überwältigt.

"Binnen einer halben Stunde waren schon mehr als 100 zusätzliche Kollegen vor der chirurgischen Notaufnahme versammelt", sagt Peter Biberthaler, Leiter der Unfallchirurgie am Klinikum rechts der Isar, der den dortigen Katastrophenalarm koordiniert hat. "Alle, die erreichbar waren, sind gekommen, niemand hat sich aus Angst oder Bequemlichkeit ferngehalten."

Sein Kollege Wolfgang Böcker von der Universität München spricht von ähnlichen Erfahrungen: "Wir hatten Hunderte Mitarbeiter da, die bereit waren, zu helfen", sagt er. "Das war wirklich eine tolle solidarische Leistung." Auch an den städtischen Kliniken in Bogenhausen und Schwabing und an privaten Häusern hielt man sich bereit, um Opfern zu helfen.

Gekommen waren nicht nur Ärzte und Pfleger, auch administrative Mitarbeiter, Reinigungspersonal und Seelsorger wurden gebraucht. "Es gibt natürlich Fachbereiche wie die Chirurgie, die stärker zur Hilfe prädestiniert sind als andere", sagt Böcker, "aber jede helfende Hand ist wichtig". Einen Verband anbringen, Patienten trösten - auch dazu werden Krankenhausmitarbeiter im Notfall gebraucht.

Von "Katastrophenalarm" sprachen sie am Klinikum rechts der Isar, am Freitagabend galt die Maximalstufe. An der Universität München hingegen bereitete man sich auf einen "MANV" vor, einen "Massenanfall von Verletzten", Stufe 3. Das Vorgehen aber war an allen Häusern ähnlich: OP-Teams wurden gebildet, um im Notfall parallel operieren zu können. Die Ärzte und Pfleger warteten, zum Teil schon in OP-Kluft, in den Operationssälen auf die Patienten.

Auf den Intensivstationen wurden all jene Patienten zusammengelegt, die wenig Überwachung benötigten, um möglichst viel Raum für Notfälle bereitzuhalten. Die Hörsäle wurden bereitgehalten, um dort leichtere Fälle wie Knochenbrüche oder Platzwunden zu versorgen, falls sich eine hohe Zahl von Verletzten einfinden würde. "Es war ein Knistern in der Luft", erzählt ein Oberarzt, "das Gefühl, das letzte Zünglein an der Waage zu sein, ob es jemand schafft oder nicht, das ist schon etwas Besonderes."

Schuss- und Stichverletzungen kommen selten vor, aber die Chirurgen sind dafür ausgebildet

Bald wurden tatsächlich die ersten Schwerstverletzten eingeliefert. Am Rechts der Isar war dies ein 15-jähriges Mädchen mit einer Schusswunde am Kopf. Es starb trotz aller Bemühungen. Zwei nicht so schwer verletzte Patienten dagegen überlebten. In Großhadern wurden insgesamt nur fünf Menschen versorgt, die Opfer des Amoklaufs oder seiner Folgen waren. Zwei waren schwer verletzt: Ein junger Mann wurde mit einem Bauchdurchschuss eingeliefert. Knapp war es auch für eine junge Amerikanerin: Sie war in Panik aus dem zweiten Stock ihrer Unterkunft in der Nähe des Stachus gesprungen und brach sich einen Wirbel. "Das Rückenmark wurde aber nicht verletzt", sagt Wolfgang Böcker. "Ihr geht es wieder gut."

Die Schussverletzungen waren für die Ärzte die größte Herausforderung. "In den USA haben sie so etwas täglich in der Notaufnahme, hier kommt es zum Glück selten vor", sagt Wolfgang Böcker. Allerdings hätten viele seiner Leute schon in Amerika gearbeitet und dort Erfahrungen gesammelt. Seit geraumer Zeit fließe die Behandlung von Schuss- und Stichverletzungen zudem in die Aus- und Weiterbildung deutscher Chirurgen ein.

Im Laufe des Abends zeigte sich in allen Häusern, dass ein solches Großaufgebot an Ärzten und Pflegern nicht nötig gewesen wäre. "Wir hatten mit 20 bis 50 Patienten gerechnet", sagt Böcker. Es habe sich aber bald gezeigt, dass die Nachrichten offenbar beunruhigender waren als die tatsächliche Situation. Sicher war trotzdem lange nichts. Wie sich die Lage entwickelte, erfuhren auch die Einsatzleiter nur aus den Medien. "Die Polizei war kaum mehr erreichbar, auch für uns nicht", sagt Wolfgang Böcker. Kurz vor Mitternacht dann wurden in beiden Universitätsklinika viele Ärzte und Pfleger nach Hause geschickt. Für die Zukunft wünschen sich die Einsatzleiter vor allem eine bessere Kommunikation mit der Polizei.

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SZ vom 25.07.2016
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