Süddeutsche Zeitung

Alice Sara Ott in der Isarphilharmonie:Gemeinsam atmen

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Pianistin Alice Sara Ott und das City of Birmingham Symphony Orchestra zeigen in der Münchner Isarphilharmonie die hohe Kunst des Zusammenspiels.

Von Michael Stallknecht

Die vielleicht größte Herausforderung für klassische Musiker bleibt, alte, oft auch altbekannte Stücke so klingen zu lassen, als seien sie erst gestern komponiert. Wie das im Idealfall geht, zeigt in der Isarphilharmonie die Münchner Pianistin Alice Sara Ott im Zusammenspiel mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra (CBSO): Bei Beethovens Drittem Klavierkonzert steigt sie zupackend in den ersten Satz ein, lässt danach Verspieltes ebenso frei anklingen wie Melancholisches, donnert schließlich eine Kadenz an den Grenzen des technisch Möglichen hin, dass das Publikum danach in atemloser Stille auf den Beginn des langsamen Satzes wartet.

Dem verleiht sie mit ihrem weichen, aber nie kernlosen Anschlag Sehnsuchtstiefe, lässt dann das Finale ebenso brillant wie rasant dahinwirbeln. Sicher, so oder auch so hat es Beethoven komponiert. Aber bei Ott kommt an diesem Abend etwas hinzu, was man wohl die Gnade des erfüllten Moments nennen muss. Sie ereignet sich zum einen in den winzigen Zeitverschiebungen, im Rubato, mit dem die Pianistin sich immer wieder vom Orchester unabhängig macht, zum anderen im gemeinsamen Atmen mit dem Orchester, dem wiederholten Dialog mit einzelnen Orchestersolisten. In diesem Wechselspiel wird Beethoven so lebendig, dass Ott zur Zugabe sogar noch das totgerittene "Für Elise" spielen kann, weil sie aus dem Moment heraus ihren ganz eigenen Weg dazu findet.

Vielleicht hat sie ja die vorangegangene Eröffnung mit Präludium und Fuge "The Spitfire" von William Walton inspiriert, die das derzeit auf Europatournee befindliche Orchester ungeniert als Fanfare in den Saal geschmettert hat. Seit einem Jahr wird das CBSO von Kazuki Yamada geleitet, der als Chefdirigent unter anderem Simon Rattle nachfolgt.

In Birmingham muss das Orchester gerade ziemliche Kürzungen hinnehmen, die Stadt will ihren Zuschuss demnächst komplett streichen. Zu spüren ist davon in München nichts, auch nicht bei Edward Elgars "Enigma-Variationen", die nach der Pause auf Beethoven folgen, als weiterer Repertoireklassiker und typisches Tourneestück eines britischen Orchesters zudem. Von denen hat man sicher schon raffiniertere, abgründigere Interpretationen gehört, als Yamada sie bietet. Aber der Japaner lässt sein Orchester so unmittelbar, so direkt, so spielfreudig musizieren, dass man sie in keinem Moment vermisst. Bevor zur Zugabe mit Elgars "Salut d'amour" noch ein Liebesgruß aus Birmingham folgt, den das Münchner Publikum mit Begeisterung zurückgibt.

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