Süddeutsche Zeitung

Stimmkreis 104 München - Milbertshofen:Es kann nur eine geben

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In Milbertshofen kämpfen drei Frauen um den direkten Einzug in den Landtag. Und alle drei haben eine realistische Chance auf den Sieg

Von Heiner Effern

Was für eine Schlange. Hunderte Menschen stehen am Einlass, die Stimmung geht schon Richtung Party. Ein Blick in die Gesichter zeigt: Darunter müssen viele Erstwähler sein, direkt am Eingang des Backstage. Katharina Schulze soll an diesem Abend hier auftreten, auch sie ist noch jung, erst 33 Jahre alt. Schulze ist so etwas wie ein grüner Polit-Star in Bayern. Aber dass die Fraktionsvorsitzende im Landtag und Direktkandidatin im Stimmkreis Milbertshofen die Jugend in solchen Massen anzieht? Eine etwas schüchterne Lotsin mit einem Grünen-Shirt unter der Jacke antwortet Gästen, denen diese Frage ins Gesicht geschrieben ist: Zu Schulze geht es in die nächste Halle. Keine Schlange, viele dünn besetzte Tische, Landtagswahlkampf.

Auch Katharina Schulze gelingt es nicht, junge Leute so zu mobilisieren wie der Rapper Azet, der die Halle nebenan voll gemacht hat. Das wäre auch ein bisschen viel erwartet - obwohl Schulze es gewöhnt ist, dass man viel von ihr erwartet. Sie soll die Grünen als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl auf Platz zwei in Bayern führen. Und, nun ja, das Direktmandat im Stimmkreis 104 ist auch möglich. Das wäre historisch: Noch nie gewannen die Grünen einen Stimmkreis in Bayern. Zu viel Druck will sie sich jedoch nicht machen, zumindest nicht öffentlich. "Ich spüre viel Rückenwind", sagt Schulze dazu nur. "Die Wähler setzen große Hoffnungen auf uns."

Schulze muss einen schwierigen Spagat bewältigen. Als Spitzenkandidatin soll sie in ganz Bayern unterwegs sein, gleichzeitig aber soll sie zuhause in München punkten. An diesem Abend der Grünen spricht sie als Innenpolitikerin auf einem Podium mit ihrer Parteifreundin Gülseren Demirel und dem Kabarettisten Christian Springer, der gerade eine formidable Wutrede über den politischen Zustand Bayerns gehalten hat. "Mut geben statt Angst machen, das ist 2018 bitter nötig", antwortet Schulze ihm, ganz Landespolitikerin. Der Stimmkreis Milbertshofen kommt nur am Rande zur Sprache: zu viele Autos überall, die hohen Mieten. Darum kümmere sie sich natürlich auch, sagt Schulze. Wann immer sie in München ist. Ihr Team putzt auch ohne sie Klinken an den Wohnungen, 4000 Türen haben sie sich vorgenommen. Die sind aber bereits durch, 7000 ist das neue Ziel. Reicht das für den Sieg? "Ich freue mich, dass es ein Stimmkreis voller Frauen-Power ist", weicht Schulze aus.

In der Tat ist offen, ob sich CSU, SPD oder Grüne in Milbertshofen durchsetzen. Nur eines ist sicher: Eine Frau wird künftig die Wähler zwischen Rotkreuzplatz, dem Westen Schwabings und der Panzerwiese im Norden vertreten. Für die SPD tritt Ruth Waldmann, 47, an, für die CSU Tina Pickert, 33. Alle anderen Kandidaten sind chancenlos im Kampf um das Direktmandat. Doch auch wenn drei Frauen hier den Ton angeben, ihre Ausgangslage ist grundverschieden: Katharina Schulze wird sicher über die Liste in den Landtag einziehen, bei Ruth Waldmann ist das fraglich und bei Tina Pickert nahezu ausgeschlossen. Mit anderen Worten: Die beiden zuletzt genannten kämpfen im Stimmkreis um alles oder nichts.

Bei der vergangenen Landtagswahl schaffte es Ruth Waldmann, als einzige Sozialdemokratin in Bayern ein Direktmandat zu gewinnen. Das will sie natürlich wiederholen, "aber es ist schwieriger als 2013. Die Grünen sind stärker und der SPD-Trend ist ungünstig". So zurückhaltend formuliert sie es, doch selbst einer im Stimmkreis stark vernetzten Politikerin wie ihr fällt es schwer, all die Nackenschläge aus dem Politbetrieb in Berlin und das Schwächeln der Bayern-SPD wegzustecken.

Waldmann ist mit ihrem Markenzeichen, einem kleinen roten Koffer, in den die Menschen ihre Sorgen und Anliegen stecken sollen, im neuen Quartier am Ackermannbogen unterwegs. Natürlich ist auch hier Wohnen das große Thema. Für ihren Spaziergang durchs Viertel, eine beliebte Variante des Wahlkampfs, hat sie sich mit Eva Peralta verabredet. Die Erzieherin ist Sprecherin einer Mietergemeinschaft, deren Gebäude der Wohnungsbaugesellschaft GBW gehörte, bevor diese vom Freistaat an private Investoren verkauft wurde. Seither jage eine Mieterhöhung die nächste, erzählt Peralta, obwohl hier alle Wohnungen sozial gefördert sind. "Es ist fraglich, wie lange wir uns das noch leisten können", sagt sie. Ein Entschädigungsfonds müsse her, der für die Bewohner die Erhöhungen übernehme, fordert Waldmann. Sie werde sich persönlich dafür einsetzen. Klingt gut, aber dafür muss sie erst wiedergewählt werden. Sie weiß, jede Stimme zählt, auch die von Peralta und ihren Mitstreitern. "Alles ist möglich", sagt sie realistisch. "Mandat oder rausfliegen."

Die entscheidenden paar Hundert Stimmen können überall liegen, gut möglich, dass Waldmann mit der Linken um sie ringen muss. Die schicken in den Stimmkreis Milbertshofen ihren Landesvorsitzenden und Spitzenkandidaten Ates Gürpinar. Als der SPD-Tross wieder abgezogen ist, sagt die Erzieherin Peralta von der Mietergemeinschaft: Es sei schon gut, dass sich nun alle Parteien um sie kümmerten. Genau genommen sei aber der Herr Gürpinar der einzige, der sich konstant und schon viel länger ihrer Anliegen angenommen habe. Die Linken wissen genau, warum sie ihn in diesem traditionell linkslastigen Stimmkreis aufbieten: "Die Unterschiede zwischen arm und reich, Schwabing und dem Norden, werden hier sehr deutlich. Wir versuchen da zu sein, wo es wegen der Mieten und den Problemen etwa in der Pflege brennt", sagt Gürpinar auf Nachfrage.

Vom Neubauviertel am Ackermannbogen hinüber nach Westschwabing: Dort wirbt Tina Pickert von der CSU um Stimmen. Sie tritt zum ersten Mal an, ihre Kandidatur kam so überraschend, dass sie auch für manchen Parteifreund anfangs ein unbekanntes Gesicht war. Natürlich kennen auch die Wähler sie kaum. Was hilft da besser als ein Prominenter, in dessen Windschatten man sich selbst bekannt macht? Ein ganz prominenter. Also saust Tina Pickert mit Ministerpräsident Markus Söder einmal im Stechschritt um den Hohenzollernplatz. Brezn verteilen im Akkord, zwei Sätze da, ein Foto hier. "Sie schauen in Echt sympathischer aus als im Fernsehen", sagt eine ältere Dame zu Söder. "Ist nicht schwer", antwortet er. Und ständig verweist er auf die junge Parteifreundin neben ihm. "Eine sehr gute Frau. Die hat Power."

Für den hohen Besuch hat Pickert ein kräftiges Wahlkampfteam zusammengetrommelt, viele tragen blaue T-Shirts mit Logo, dazu blaue Taschen mit der Aufschrift "Das Beste für Bayern". Im Neuhauser, einer Gaststätte in der Nähe, erklärt Pickert später im Zwiegespräch mit dem Ministerpräsidenten, warum sie die beste für den Stimmkreis sei. "Die Digitalisierung ist mein Leib- und Magenthema", sagt sie. Und auch ein bisschen Privates muss sein, das Wählerherz will gewärmt werden. "Ich bin sehr tierlieb. Als Kind habe ich mir Hasen, Meerschweinchen oder einen Hund gewünscht, aber nie bekommen." Als Söder gegen 17 Uhr zum nächsten Termin aufbricht, gibt er vor, wie intensiv der CSU-Wahlkampf hier und überall in Bayern sein soll. Wenn noch wer Fragen oder Anliegen habe, sagt er, "die Tina ist bis Mitternacht hier".

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SZ vom 29.09.2018
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